# taz.de -- Slow Food in Uganda: Kentucky Fried Maniok | |
> Der neue Vorsitzende der weltweiten Slow-Food-Bewegung kommt aus Uganda. | |
> Kein Zufall: Das Land setzt auf biologischen Anbau. | |
Bild: Die Landwirtin Noel Nanyunja verwendet alte, trockenheitsresistente Sorte… | |
KAMPALA taz | Als ich zur Schule ging, wurden wir zur Strafarbeit auf den | |
Acker geschickt“, erzählt Edward Mukiibi und lacht über das ganze Gesicht. | |
Heute ist der junge Ugander einer der einflussreichsten Landwirte Afrikas. | |
„Ich habe viele Stunden Gartenarbeit leisten müssen“, erinnert er sich, | |
„weil ich immer zu spät zum Unterricht kam.“ Bereits als 16-jähriger Sohn | |
einer Bauernfamilie hatte er sich vorgenommen, die Strafarbeit auf dem | |
Schulacker zu ändern. Er brachte Samen von zu Hause mit und überredete | |
seine Freunde, den Schulgarten mit neuen Gemüsesorten auf Vordermann zu | |
bringen. Von da an schmeckte das Schulessen besser. | |
Zwanzig Jahre später sitzt Mukiibi in einem Gartenrestaurant hinter der | |
Katholischen Kirche im Stadtviertel Nsambya, hoch oben auf einem der | |
zahlreichen Hügel von Kampala. Mit seinen Projekten war Mukiibi in Uganda | |
so erfolgreich, dass er dieses Jahr zum internationalen Präsidenten der | |
[1][Organisation Slow Food mit Sitz in Turin] gewählt wurde. Die weltweite | |
Graswurzelbewegung ist in den 1980ern in Italien entstanden und | |
mittlerweile in 160 Ländern aktiv. Ihr Ziel: Nachhaltig globale | |
Ernährungssicherheit herstellen und Biodiversität erhalten, indem regionale | |
Lebensmittel mithilfe traditioneller, biologischer Verfahren angebaut | |
werden. | |
Mukiibi bestellt Matooke – Kochbananen, mit Gemüse und Nusssoße – eine | |
ugandische Spezialität, die schon Kleinkinder vorgesetzt bekommen. | |
Restaurantbesitzerin Betty Nakato kommt persönlich zum Tisch, um Mukiibis | |
Bestellung aufzunehmen. Sie begrüßen sich herzlich. | |
## Gekocht wird, was auf den Äckern wächst | |
Die ältere, füllige Frau ist Mitglied in Ugandas Slow-Food-Verband für | |
Köche. Mukiibi will mit seiner Initiative in den zahlreichen Restaurants | |
der Hauptstadt wieder mehr heimische Gerichte anbieten, gekocht mit dem, | |
was auf den Äckern der Bauern wächst. | |
Nur einen Steinwurf entfernt, im Partyviertel Kabalagala mit den | |
zahlreichen Pizza- und Burgerrestaurants, Sportbars und Diskotheken, hat | |
die US-amerikanische Kette Kentucky Fried Chicken aufgemacht, wo fünf | |
Chickenwings umgerechnet fast 10 Euro kosten. Ein Vermögen für die Ugander. | |
„Die reichen Leute gehen zu KFC, weil sie dem westlichen Lebensstil | |
nacheifern“, sagt Mukiibi. | |
„Dabei haben sie keine Ahnung, was sie da zu sich nehmen.“ Mittlerweile | |
sind auch in Uganda westliche Volkskrankheiten wie Diabetes und Übergewicht | |
auf dem Vormarsch. Mukiibi will das ändern, sagt er und zeigt gen Osten: | |
„Dort draußen in den Dörfern ist der Wandel schon in vollem Gange.“ | |
Uganda mit seinen fruchtbaren Böden und dem milden Tropenklima entlang des | |
Äquators gilt als der Gemüsegarten Afrikas. UN-Hilfsagenturen wie das | |
Welternährungsprogramm (WFP) kaufen hier ein, um die Geflüchteten in den | |
Lagern der umliegenden Krisengebiete wie Somalia, Südsudan, Kongo [2][oder | |
Äthiopien] zu ernähren. | |
Die extreme Dürre der letzten Monate in Ostafrika hat [3][die Zahl der | |
Hungerleidenden enorm ansteigen lassen]. Über 21 Millionen Menschen haben | |
nicht genügend zu essen, und es ist kein Ende in Sicht. Die Böden sind | |
trotz einsetzender Regenzeit zu ausgetrocknet, um säen zu können. So wird | |
es auch in naher Zukunft keine Ernte geben. Hilfswerke warnen vor einer | |
Hungerkatastrophe. | |
Noel Nanyunjas Gemüsegarten in einem kleinen Dorf im Speckgürtel der | |
Hauptstadt Kampala wirkt hingegen, als hätte es keine Dürre gegeben. Die | |
Bananenstauden sind knallgrün, die Paprika leuchten feuerrot und der | |
Kürbisstrauch trägt gelbe Blüten. Die Bäuerin mit den violett gefärbten, | |
kurzen Haaren steht barfuß zwischen Rosmarin und Frühlingszwiebeln und | |
harkt Unkraut. Schweiß rinnt ihr über die Stirn. Trotz der mittlerweile | |
einsetzenden Regenzeit brennt die Sonne. Doch ihr Ackerboden ist nicht | |
trocken, im Gegenteil: Regenwürmer ringeln sich darin, er riecht nach Torf. | |
Nanyunja zeigt nach oben auf den Avocadobaum, die Kaffeesträucher und die | |
Bananenstauden, die dazwischen emporwachsen und dem Acker Schatten spenden, | |
sodass der Boden die Feuchtigkeit halten kann. „Unsere traditionelle | |
dreidimensionale Anbauweise hat uns vor dem Hunger bewahrt“, sagt sie und | |
deutet auf die Bohnenranken und Jampflanzen, die sich an den Stauden | |
emporschlängeln. „So haben schon meine Urgroßeltern angebaut“, sagt sie | |
lachend. | |
Die 60-Jährige ist Gründungsmitglied von Slow Food in Uganda und | |
Vorsitzende der Frauengruppe im Bezirk Mukono, 30 Kilometer westlich von | |
Kampala. Darin organisieren sich die Bäuerinnen, um traditionelles Wissen | |
über die afrikanischen Anbauweisen zu bewahren und weiterzugeben. „Wir | |
tauschen auch Samen“, sagt sie und pflückt eine grau-braune Jamknolle. | |
„Diese extrem trockenheitsresistente Sorte war fast ausgestorben“, sagt | |
sie. „Jetzt pflanzen wir sie wieder an.“ | |
Uganda ist [4][eines der wenigen Länder Afrikas], das eine radikale | |
Trendwende hingelegt hat. Bis vor wenigen Jahren setzte die Regierung noch | |
auf den Ausbau der industrialisierten Landwirtschaft. Ausländische | |
Investoren wurden eingeladen, Soja-, Reis- oder Maisplantagen anzulegen – | |
Monokulturen unter Einsatz von Chemikalien. Im Jahr 2015 hatte der | |
Agrarkonzern Monsanto in Kampala ein Büro eröffnet, hybride Samen an die | |
Kleinbauern in Mukono verteilt und Werbung für das Pflanzengift Glyphosat | |
im Radio geschaltet. Ugandas Präsident Yoweri Museveni, selbst | |
leidenschaftlicher Farmer und im Besitz der größten Rinderherde Ostafrikas, | |
pries stolz seine Biochemiker. Diese züchteten in neu errichteten | |
Forschungslaboren in Mukono genetisch manipulierte Bananensorten und | |
versuchten, die heimischen Langhornkühe mit europäischen Kühen zu kreuzen, | |
um den Milchertrag zu steigern. | |
Dann gründete Mukiibi im Jahr 2015 in Mukono ein Landesbüro der weltweiten | |
Slow-Food-Bewegung. Die NGO übte scharfe Kritik an einem von Museveni | |
geplanten Gesetz, um genetisch manipulierte Nahrungsmittel zuzulassen. Das | |
machte den 76-jährigen Präsidenten hellhörig. „Er hat uns zugehört“, | |
erinnert sich Mukiibi an das Treffen mit Museveni im Jahr 2016: „Wir | |
erklärten ihm, dass seine Langhornkühe aussterben, wenn die Regierung | |
diesen Weg geht.“ | |
Das hat gewirkt. Kurz darauf war das Gesetz vom Tisch. Monsanto schloss das | |
Büro und Museveni rief die Nationale Agrarökologiestrategie aus, in welcher | |
er die Kleinbauern unterstützen wollte, um wieder heimische Sorten | |
anzubauen, [5][ohne Chemie und ohne Gentechnik]. „Esst Maniok statt Brot“, | |
hatte er im Mai den 42 Millionen Ugandern geraten, als die Weizenpreise auf | |
dem Weltmarkt aufgrund des Ukrainekriegs in die Höhe schnellten und die | |
Regenzeit in Ostafrika ausfiel. Mit Erfolg: Uganda blieb bislang von der | |
Hungerkatastrophe weitgehend verschont. | |
Bäuerin Nanyunja winkt, ihr zu folgen. Hinter einem Holzverschlag, in dem | |
Ziegen und Hühner übernachten, häuft sich Kompost, Küken picken im Unrat: | |
„Unsere Hausabfälle, der Ziegen- und Hühnermist sowie die Asche von unserem | |
Holzkohleofen machen die richtige Mischung“, erklärt sie. „Der Kompost darf | |
in keinem Biogarten fehlen.“ | |
## Slow Food will Schulgärten reformieren | |
Nanyunjas Acker dient für Slow Food Uganda als Modellgarten. Hier trainiert | |
die Bäuerin junge Mitstreiterinnen, aber auch Lehrer und Lehrerinnen aus | |
den umliegenden Schulen, die ihre Schulgärten umstrukturieren wollen, ganz | |
nach Mukiibis Idee. Er hat sich als Ziel gesetzt, mit seiner NGO mindestens | |
10.000 Schulgärten in Afrika zu reformieren. | |
Auch Biologielehrer Mathias Kasaga hat sich hier vor vielen Jahren von | |
Bäuerin Nanyunja den Bioanbau erklären lassen. Jetzt kniet er im blauen | |
Poloshirt mit drei seiner Schüler auf dem Karottenbeet hinter dem | |
Schulgebäude der Kibirige-Memorial-Grundschule und gräbt Möhren aus. „Das | |
ist die letzte Ernte vor den Weihnachtsferien“, erklärt er. Bevor die | |
Schule bis Februar dichtmacht, müsse er noch neues Gemüse aussäen, sagt er. | |
„Damit wir wieder etwas zu essen haben, wenn das Semester beginnt.“ | |
Wie viele Schulen und Internate in der Umgebung ist auch die | |
Kibirige-Memorial-Grundschule Mitglied bei Slow Food. Die rund 250 | |
Grundschüler bauen hier nicht nur ihr eigenes Schulessen an, sondern lernen | |
von Kasaga auch, wie man biologische Landwirtschaft betreibt. | |
Kasaga zeigt auf den 16-jährigen Brandon, einen drahtigen Jungen, der neben | |
ihm kniet und Unkraut rupft. Er sei für den Schulgarten verantwortlich. | |
Eine Strafarbeit? Brandon lacht: „Nein, uns allen macht die Arbeit sehr | |
viel Spaß“, sagt er. Er selbst wolle Bauer werden, deswegen habe er | |
unbedingt diese Schule besuchen wollen. „Hier lerne ich alles, was ich | |
dafür brauche.“ | |
Uganda hat eine der höchsten Geburtenraten weltweit, die | |
Jugendarbeitslosigkeit ist enorm. Als Teil der neuen Agrarpolitik bemüht | |
sich die Regierung, der Jugend die Landwirtschaft als Berufsbild | |
schmackhaft zu machen. Die Slow-Food-Bewegung sorgt dafür, dass nachhaltige | |
Landwirtschaft immer beliebter wird: „Meine Eltern haben immer viel Chemie | |
gesprüht“, berichtet Brandon. Auf dem Gemüseacker der Schule habe er | |
gelernt, biologischen Dünger und Insektenschutz anzuwenden. „Das habe ich | |
meinen Eltern beigebracht“, sagt er und lächelt verlegen. | |
25 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.slowfood.com/de/ | |
[2] /Aethiopien-wartet-auf-Weizenlieferungen/!5873739 | |
[3] /Hungersnot-in-Afrika/!5859660 | |
[4] /Westafrika-entdeckt-lokale-Kueche/!5750854 | |
[5] /Ziele-in-der-Agrarforschung/!5372961 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
## TAGS | |
Zukunft | |
Uganda | |
Slow Food | |
Äthiopien | |
Hunger | |
Tourismus | |
IG | |
Essen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nach Äthiopien-Reise: Baerbock ruft zu Schulterschluss auf | |
Der russische Krieg in der Ukraine begleitet Außenministerin Baerbock auch | |
auf ihrer Ostafrika-Reise. Es geht außerdem um Kriegsverbrechen und Kaffee. | |
Gates-Stiftung in Afrika: Das Ende der Grünen Revolution? | |
Bill Gates will industrielle Landwirtschaft und Hybridsaatgut fördern. | |
Erzeuger:innen kritisieren den Ansatz. Es geht ums System. | |
Slow Food an der Amalfiküste: Edle Tropfen | |
Ein Fischerdorf in Italien wehrt sich gegen den Massentourismus. Und | |
profiliert sich dabei als Heimat einer ganz besonderen Fischsoße. | |
Ugandische Aktivistin über Klimawandel: „Das ist Umwelt-Kolonialismus“ | |
Die ugandische Klimaaktivistin Hamira Kobusingye wünscht den | |
G7-Regierungschefs ein schlechtes Gewissen. | |
Neuer kulinarischer Trend: Vom Waldboden essen | |
Nicht nur Wild und Pilze, auch Flechten, Zapfen und Nadeln stürmen die | |
Teller. Aber ist es wirklich so unproblematisch, sich im Forst zu bedienen? |