| # taz.de -- Alternative Italienreise: Hier also blühen sie | |
| > Die italienische Amalfiküste ist berühmt für ihre aromatischen Zitronen, | |
| > aber das Leben dort ist längst nicht so süß wie deren Fruchtfleisch. | |
| Bild: Die Zitronenplantage der Familie Aceto | |
| Steile Felsen, enge Buchten, Terrassen voller Wein und Zitronen, kleine | |
| Städtchen, Paläste, Kirchen und in den Berg geschlagene Klöster – die | |
| vierzig Kilometer lange Amalfiküste ist das real existierende | |
| Italienklischee. Schon in den 50er Jahren war die Gegend ein touristischer | |
| Hotspot, im Laufe der Zeit wuchs ihre Beliebtheit sogar noch: Vor der | |
| Pandemie kamen Hunderttausende Touristen pro Jahr an den Küstenstreifen | |
| nahe Neapel, darunter viele aus den USA, aber auch aus Deutschland. Über | |
| die enge, kurvige Küstenstraße mit ihren imposanten Ausblicken auf das | |
| Tyrrhenische Meer und das Lattarigebirge quälen sich täglich zahllose | |
| Reisebusse. Darin: Tagestouristen, die für ein paar Stunden die hübschen | |
| Ortschaften fluten. | |
| Das gesamte Gebiet umschließt 11.231 Hektar zwischen dem Golf von Neapel | |
| und dem Golf von Salerno und wird von der Unesco als Weltkulturerbe | |
| geschützt. Das Rückgrat dieser felsigen Kulturlandschaft sind die | |
| Terrassen, auf denen Wein und Zitronen wachsen. Die Anbaufläche in Hanglage | |
| muss seit Generationen gehegt, gepflegt und kultiviert werden: | |
| Trockenmauern aus Tuffkalk geben dem Hang Stabilität, damit es nicht zur | |
| Erosion kommt. „Wir sind die letzten Verteidiger der Umwelt hier“, sagt | |
| Salvatore Aceto. „Immer ist etwas zu tun. Wenn man nicht eingreift, stürzen | |
| die Mauern ein.“ | |
| Aceto ist Zitronenbauer in sechster Generation. Die Steilhänge der | |
| Amalfiküste seien eine Herausforderung, das Zitronenpflücken anstrengende | |
| Handarbeit. „Es ist ein harter Job, den die Italiener nicht mehr machen | |
| wollen“, sagt er. Ukrainer leisten bei ihm die Schwerarbeit. Die aufwendige | |
| Pflege und Ernte der Zitronen macht diese teuer, der Ertrag ist | |
| überschaubar. | |
| Um wirtschaftlich überleben zu können, hat Aceto daher ein zweites | |
| Standbein: Er führt Touristen durch die Terrassen, seine Frau bewirtet die | |
| Gäste im Zitronenhain. Die gelbe Zitrone hat das Bild der Amalfiküste | |
| geprägt, sie ziert Stoffe, Decken, Porzellan. Die Schale ist etwas dicker, | |
| das Weiße nicht bitter, sondern voller Aroma. Die Amalfizitrone ist purer | |
| Saft mit einer süßlichen Note, genau wie ihr Verkaufsschlager: der | |
| Limoncello, ein Zitronenlikör. | |
| ## Authentisch muss es sein | |
| Zwei Eiswürfel, ein Schuss Limoncello, die dreifache Menge Prosecco, bei | |
| Bedarf noch Mineralwasser und etwas Zitronenmelisse als Deko – fertig ist | |
| der Limoncello Spritz. Valentino Esposito mixt den Sommerdrink in seinem | |
| Limoncello-Geschäft oberhalb von Positano. Das, so versichert er, sei der | |
| authentische Geschmack der Amalfiküste. | |
| Und authentisch muss es sein, das ist das neue touristische Ideal. Schon | |
| länger haben die Reisenden genug von überfüllten Orten und | |
| Sehenswürdigkeiten, durch Corona wurden sie zusätzlich sensibilisiert. | |
| Unter dem Namen [1][„Authentic Amalfi Coast“] will nun ein Netzwerk aus | |
| Dutzenden privaten Unternehmen, Veranstaltern von Wandertouren, | |
| Gastronomen, Olivenölproduzenten, Biobauern und kommunalen politischen | |
| Akteuren – bereits 14 Gemeinden sind dabei – nachhaltige Reiseangebote | |
| entwickeln. | |
| Es ist der Versuch, den Tourismus zu diversifizieren und breiter | |
| aufzustellen. Das soll zu einer besseren Verteilung der Reisegäste in der | |
| Region führen und mehr einheimische Produzenten auch im Hinterland | |
| mitverdienen lassen. Wanderungen, Fahrradtouren, Kulturreisen, | |
| Kulinarisches oder Tierbeobachtung setzen verschiedene Schwerpunkte. | |
| Wie mehr Nachhaltigkeit erreicht werden soll, erklären zwei einflussreiche | |
| Bürger der Region: Andrea Ferraioli, Hotelier in Praiano und Präsident der | |
| lokalen Vereinigung für Tourismusentwicklung, und Daniele Milano, der | |
| Bürgermeister von Amalfi. Sie sind sich einig: Der Verkehr ist die | |
| Achillesferse einer neuen Tourismuspolitik. Und die dringlichste Aufgabe. | |
| In Hunderten Kurven windet sich die Amalfitana von Positano nach Vietri | |
| sul Mare. Sie ist die einzige Straße, die die Küste entlangführt, eine enge | |
| Achterbahn über steilen Abhängen, auf der nicht nur die waghalsigen | |
| Motorradfahrer Unfälle bauen. In der Hochsaison ist zudem der alltägliche | |
| Stau im Zitronenhimmel vorprogrammiert. | |
| ## Ohne Reservierung keine Zufahrt | |
| Angedacht sei nun ein Konzept für ein Parkleitsystem und ein Monitoring | |
| entlang der Küste. Es solle nur noch denjenigen Zutritt zur Amalfitana | |
| gewährt werden, die verbindlich einen Parkplatz reserviert haben, sagt der | |
| Bürgermeister. Außerdem wolle man den Verkehr verstärkt auf emissionsarme | |
| Fähren umlegen. „Bei uns herrscht viel Individualismus“, sagt Andrea | |
| Ferraioli auf die Frage, wie weit es mit der konkreten Umsetzung sei. Doch | |
| inzwischen sei der Leidensdruck sehr groß. „Wir sind dabei, ernsthaft neue | |
| Wege zu diskutieren“, versichert er. | |
| „Wir brauchen ein Netz aus Wanderwegen. Damit diese nicht in Sackgassen | |
| enden, sondern die Leute auf ausgeschilderten Wegen von Dorf zu Dorf laufen | |
| können“, sagt der Wanderführer Peter Hoogstaden. Das beende zwar nicht den | |
| katastrophalen Verkehr auf der Küstenstraße, aber es sei ein Schritt in | |
| Richtung eines anderen touristischen Angebots. Allerdings sei es ihm in den | |
| vergangenen Jahren kaum gelungen, einzelne Lokalpolitiker für kleinere | |
| Landschaftsprojekte zu begeistern, fügt er skeptisch hinzu: „Hier und da | |
| wurde ein Naturpfad beschildert. Doch ist ein Weg erst eingeweiht, | |
| interessiert sich keiner mehr für seinen Zustand.“ | |
| Der Niederländer lebt seit Jahren an der Amalfiküste. „Wir sollten die | |
| Saumpfade der Bauern nutzen. Darein muss man investieren“, sagt er. | |
| Wandertourismus liege im Trend, er sei längst keine Nische mehr. Inzwischen | |
| hätten auch die politisch Verantwortlichen das Problem zumindest erkannt: | |
| Hoogstaden ist beauftragt, zusammen mit Experten einen Plan zur Entwicklung | |
| und vor allem auch zum Erhalt der Wanderwege auszuarbeiten. | |
| ## Beim Wandern Wildrauke und Rosmarin sammeln | |
| Der 40 Jahre alte Giacomo Miola führt seine Gäste auf dem „Pfad der Götter… | |
| – vorbei an abstürzenden Terrassen, die niemand mehr pflegt – hinauf zum | |
| Kloster San Domenico mit weitem Blick aufs Meer. Der treppenreiche Weg | |
| schlängelt sich von Praiano weiter bis Positano. „Gastronomic Trekking“ | |
| nennt Miola seine Touren, auf denen er Salbei, Wildrauke und Rosmarin | |
| sammelt, um diese später gemeinsam mit seinen Gästen zu köstlichen | |
| Gerichten zu verarbeiten. | |
| Miola ist in Montepertuso geboren und dann wie viele zum Studium nach | |
| Norditalien gezogen. Aus der Ferne habe er die Schönheit seiner Heimat | |
| schätzen gelernt. Er kam mit neuen Ideen zurück, ist heute Vizepräsident | |
| von [2][Slow Food Italia]. Mit seinem Angebot will er vor allem die | |
| Produzenten von Käse und Wein und die lokalen Fischer und Bauern fördern | |
| und stärker in das Tourismusgeschäft einbeziehen. | |
| „Der Tourismus sollte im Austausch mit den lokalen Produzenten stehen“, | |
| sagt er. „Nur so ergibt er Sinn für eine Region. Wir dürfen nie vergessen, | |
| dass wir von der Landwirtschaft kommen.“ Heute komme ein Großteil des Käses | |
| aus Deutschland, Fisch werde importiert. Landwirtschaft und Fischerei seien | |
| für die wenigsten hier rentabel. Das müsse sich ändern. | |
| Und eigentlich müssten die verbliebenen Terrassenbauern wie Salvatore | |
| Aceto, die mühsam ihre Anbauflächen kultivieren, als Landschaftspfleger | |
| vergütet werden. Denn sie sind es, die die über Jahrhunderte gewachsene | |
| Schönheit der Amalfiküste erhalten. | |
| 19 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://authenticamalficoast.it/ | |
| [2] https://www.slowfood.it/ | |
| ## AUTOREN | |
| Edith Kresta | |
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