# taz.de -- Debatte zum touristischen Umbau: Anleihen am Gestern | |
> Die Natur bleibt die Grundlage des Tourismus. Doch diese ist immer mehr | |
> bedroht, weswegen wirklich nachhaltige Reiseprojekte nötig sind. | |
Bild: Benidorm in Spanien | |
Alle wollen nachhaltig sein. Zumindest im Tourismus. Und mit anhaltender | |
Coronapandemie auch 2022 wird ein Umbau des Tourismus immer dringender | |
gefordert. Unserer expansiver Reiselebensstil ist nicht nur bedroht, | |
sondern durch die Klimadebatte längst uncool geworden. Sicher ist auch: es | |
gibt viele neue, innovative Projekte, community based, ökologisch, | |
nachhaltig, umweltschonend und klimagerecht. Das Projekt Romanische Straße | |
hat beispielsweise dazu beigetragen, Quedlinburg und Magdeburg als | |
historische Orte zu beleben; der Camino nach Santiago de Campostela ist so | |
berühmt, dass sich die Frage gar nicht stellt, ob er wirtschaftlichen | |
Nutzen in die Region gebracht hat. | |
Doch die Strukturen und massiven Wachstumsprozesse des Großtourismus lassen | |
solche kleinteiligen Initiativen weniger als eine Verbesserung denn als | |
marginale Bereicherung der touristischen Angebotspalette erscheinen. Dabei | |
sind gerade diese kleinteiligen Ansätze die notwendige Grundlage zur | |
Nachhaltigkeit. Sie sind das Rückgrat eines Paradigmenwechsels im | |
Tourismus. Und dieser steht zweifelsohne an. | |
[1][Die Hochzeit der touristischen Geldmaschinen] scheint vorbei, auch wenn | |
touristische Großprojekte in China oder Abu Dhabi immer wieder fröhlich | |
Urzustände feiern. Zumindest in Europa scheint die Epoche, als die | |
Mittelmeerküsten gnadenlos zu Betonburgen umgebaut wurden und | |
Touristenmassen in Billigfliegern die Sonnenstrände fluteten, überholt. | |
Selbst der so entstandene Hotspot Benidorm rüstet um. | |
Benidorm, auch das mediterrane Manhattan genannt, hat als erste spanische | |
Stadt das Zertifikat „Intelligente Tourismusdestination“ erworben. Was | |
soviel bedeutet wie digitaler Umbau zwecks besserer Ressourcennutzung, | |
Ladestellen für E-Autos und Radwegenetz. Die Stadt hat 180.000 Einwohner | |
und wird im Sommer von rund einer halben Million Menschen bevölkert. | |
## Reines Greenwashing? | |
Diese Modernisierungen sind zu begrüßen, vielerorts sind sie bereits | |
Standard, aber sind sie wirklich nachhaltig? Den ökologischen Fußabdruck | |
des durchschnittlichen Benidorm-Touristen dürften diese Zukunftsreformen | |
kaum kleiner machen, denn das Hauptproblem liegt im Transport. Und nach | |
Benidorm ist das in der Regel der Billigflieger. | |
Wenn Werbeprofis das neue Benidorm jetzt als nachhaltig verkaufen, klingt | |
das nach Greenwashing. Zumindest muss man die Standards für Nachhaltigkeit | |
hinterfragen, denn mittlerweile gilt sogar die Verdichtung a la Benidorm in | |
Hochhausbettenburgen als nachhaltige Strategie für die Zukunft und als eine | |
Alternative zum exzessiven Flächenverbrauch im Tourismus. Benidorm plant | |
die eierlegende Wollmilchsau, was bedeutet: zukunftsorientiert, prämiert, | |
und immer weiter wie bisher, ohne am Geschäftsmodell etwas ändern zu | |
müssen. | |
Auch [2][die italienische Amalfiküste] will nachhaltiger und ökologischer | |
werden. Unter dem Namen „Authentic Amalfi Coast“ will nun ein Netzwerk aus | |
Dutzenden privaten Unternehmen, Veranstaltern von Wandertouren, | |
Gastronomen, Olivenölproduzenten, Biobauern und kommunalen Akteuren | |
nachhaltige Reiseangebote entwickeln. | |
Es ist der Versuch, den Tourismus breiter aufzustellen. Das soll zu einer | |
besseren Verteilung der Reisegäste in der Region führen und mehr | |
einheimische Produzenten auch im Hinterland mitverdienen lassen. Die | |
Achillesferse und dringlichste Aufgabe dort ist der Verkehr. In hunderten | |
engen Kurven windet sich die einzige Straße, die Amalfitana, von Positano | |
nach Vietri sul Mare. | |
## Stau im Zitronenhimmel | |
Angedacht ist nun ein Parkleitsystem und ein Monitoring entlang der Küste. | |
Es soll nur noch denjenigen Zutritt zur Amalfitana gewährt werden, die | |
verbindlich einen Parkplatz reserviert haben. Außerdem will man den Verkehr | |
verstärkt auf emissionsarme Fähren umlegen. | |
Die beiden Standbeine des Nachhaltigkeitskonzepts – Umland und Verkehr –, | |
sind ökologisch eine Verbesserung. Interessant ist vor allem der geplante | |
Austausch mit den Produzenten vor Ort. Doch da gibt es ein Problem: es gibt | |
kaum noch Fischer, Winzer und Zitronenbauern, die die pittoresken Terrassen | |
bewirtschaften. Wie man Menschen dazu bewegt, Knochenarbeit auf sich zu | |
nehmen und in die mühsame Landwirtschaft zurück zu gehen, darüber geben die | |
Nachhaltigkeitskonzepte keine Auskunft. | |
Doch Natur ist und bleibt die Grundlage des Tourismus. Nachhaltiger | |
Tourismus ist vor allem auf Kulturlandschaft angewiesen, die – wie an der | |
Amalfiküste – bäuerlich geprägt ist. Denn diese Kulturlandschaft hat auch | |
unser Gefühl für schöne, harmonische Landschaft geformt und prägt unsere | |
Erwartungen an die Alpen, die Toskana, die Mittelgebirge. Für diese | |
Landschaftsbilder braucht es entsprechende Wirtschafts- und | |
Bearbeitungsmethoden. | |
Auch bäuerliche Landwirtschaft bedeutet Natureingriffe, die aber nicht | |
zerstörerisch sein müssen. Ganz im Gegenteil: An der jahrhundertealten | |
Bewirtschaftung der Alpenregionen hat der [3][Geograph Werner Bätzing] | |
erforscht, wie Bauerngesellschaften biologisch-kulturelle Vielfalt und ein | |
ökologisches Gleichgewicht hervorgebracht haben, indem sie sich nicht nur | |
am Ertrag, sondern vor allem an der Reproduktion der natürlichen Grundlagen | |
orientiert haben. | |
## Who cares ist die Frage | |
Wenn Nachhaltigkeit im Tourismus diskutiert wird, müsste bäuerliche Arbeit | |
für die Landschaftsgestaltung mitgedacht und subventioniert werden. Denn | |
dieses ist nicht nur beschwerlich, sondern kann sich kaum in der Konkurrenz | |
mit der Agrarindustrie halten. Die wenigen Biobauern kompensieren längst | |
nicht die vielen Defizite. | |
Touristische Modernisierung à la Amalfi und Benidorm leisten notwendige | |
Schadensbegrenzung – im Unterschied zu Konzepten, die von vornherein auf | |
kleinteilige Lösungen und ökologische Qualität setzen. Eine erfreuliche | |
Entwicklung ist beispielsweise [4][ein neues Netzwerk europäischer | |
Veranstalter]. Sie wollen touristische Projekte aus den Regionen sichtbar | |
machen. Projekte wie die europäischen Kulturrouten, Wanderrouten wie die | |
Alpenüberquerung Grande Traversata delle Alpi ( GTA) oder Radtouren | |
propagieren umweltverträgliches Reisen möglichst ohne klimaschädigende | |
Flugaktivität. | |
Doch Überlegungen zum nachhaltigen Tourismus haben mit Ressentiments zu | |
kämpfen, wenn sie sich an Praktiken und Reiseformen aus der Vergangenheit | |
orientieren, die wir längst glaubten abstreifen zu können. Etwa Wandern | |
oder andere klassische Freizeitaktivitäten im Freien. Vieles wirkt gestrig. | |
Das zweite Problem ist, dass kleinteilige Ansätze auf den ersten Blick oft | |
popelig und unbedeutend wirken: etwa die Pflege von Streuobstwiesen und | |
insektenfreundlicher Blumenstreifen oder das Propagieren von | |
Mikroabenteuern in der Umgebung. Und drittens: nicht alles, was bislang als | |
Ökotourismus gefördert wurde, ist in jeder Hinsicht sinnvoll. Etwa die | |
EU-Subventionierung ländlicher Unterkünfte, der Casas Rurales in Spanien, | |
die allzuoft als Wohnungen für die Kindeskinder enden. Oder die Ausweisung | |
und Ausschilderung europaweiter Kultur- und Wanderwege, deren Unterhalt und | |
Pflege endet, wenn die EU-Gelder enden. | |
Die Frage „who cares?“ ist für jedes Nachhaltigkeitsprojekt von | |
entscheidender Bedeutung. Man braucht sich keinen Illusionen hinzugeben: | |
der Wandel zur Nachhaltigkeit ist harte Arbeit, vor allem vor Ort. | |
4 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christel Burghoff | |
Edith Kresta | |
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