| # taz.de -- Günstige Reisen in der Klimakrise: Die Mallorcademokratie | |
| > Der Traum vom Sommerurlaub soll teurer werden. Werden damit demokratische | |
| > Errungenschaften wirklich preisgegeben? Droht gar die | |
| > Zweiklassengesellschaft? | |
| Bild: Klassenlos im Meer vereint, am Strand von Paquera auf Mallorca | |
| Der Spiegel schlägt Alarm: „Nach Jahrzehnten, in denen sich immer mehr | |
| Deutsche immer mehr Reisen, weitere Ziele, bessere Unterkünfte leisten | |
| konnten, scheint das Pendel nun zurückzuschlagen. Malle für alle – aus und | |
| vorbei?“ Der Grund: Das Fliegen soll im Zuge der Klimadiskussion teurer | |
| werden, Regionen setzen verstärkt auf einen qualitativen Tourismus. | |
| Verloren gehe damit ein Stück Gleichheit. | |
| Es ist gut, an jene zu erinnern, die sich mühsam durchs Leben knapsen und | |
| trotzdem nicht genug verdienen, um gepflegt anderswo auszuspannen. | |
| Vermutlich gibt es mehr dieser Menschen als manche Lifestylesoziologen | |
| glauben. Aber die soziale Frage am Flugurlaub festzumachen ist populistisch | |
| und kontraproduktiv. Es wirkt wie Wahlkampf für Laschet. | |
| „70 Euro mehr für einen Mallorcaflug können sich Besserverdienende locker | |
| leisten, für so manche Familie aber kann das den Traum vom Sommerurlaub | |
| beenden“, hat Armin Laschet gesagt. | |
| Klar, [1][Mallorca] bedeutet Ferienfreuden auch fürs kleine Geld. Der | |
| standardisierte Massentourismus, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs | |
| entstand, steht für das Versprechen auf Teilhabe aller am hart erarbeiteten | |
| Wohlstand, für Entschädigung für die Mühen und für die Chance, dem Glamour | |
| der Reichen und Schönen etwas näher zu kommen. Im Wesentlichen wurde dieses | |
| Versprechen produziert von Reiseveranstaltern, die den Reisetraum als | |
| Stückwerk produzieren, als ein unkompliziert buchbares Angebot mit vielen | |
| Facetten, den sogenannten Reisemodulen. | |
| ## Mallorca, das Normalitätsmodell | |
| Und gleichzeitig bedeutet [2][Mallorca] schlichte, dem bürgerlichen | |
| Erfolgs- und Statusdenken verhaftete Ideologie darüber, was man treibt | |
| beziehungsweise treiben sollte, um sich gut und wertvoll und glücklich zu | |
| wähnen. Denn der Zwei-Wochen-Familien-Urlaub bedeutete auch, es „geschafft“ | |
| zu haben im Wohlstandsland. Dabei zu sein. Sich etwas leisten zu können, | |
| indem man sich eine Reise kauft. Konsumismus als gesellschaftlicher | |
| Imperativ. | |
| Mallorca, das bezeichnet ein Normalitätsmodell des letzten Jahrhunderts, | |
| das auf stetigem Wirtschaftswachstum beruht und auf uneingeschränktem | |
| Ressourcenverschleiß, genauer gesagt: dem Verbrauch und der Vermüllung, der | |
| Betonierung der Strände und der Schädigung des Klimas. | |
| Weltweit wurden die Strände ausgebaut mit Bettenburgen und luxuriösen | |
| All-inclusive-Anlagen. Dazu gibt es Spezialangebote für alle Geschmäcker | |
| – für den Sextouristen genauso wie für die Himalajabergsteigerin. Niemand | |
| wurde in den vergangenen Jahren ausgegrenzt oder vergessen. Jeder findet | |
| seinen Reisetraum. | |
| „Wer kann es sich leisten, mit teuren Zugreisen die Welt zu retten?“, fragt | |
| [3][Volkan Ağar] in der taz. „Und sich dabei moralisch über | |
| Mallorca-Pauschalurlauber zu erheben?“ | |
| ## Der „Post-Tourist“ ist souverän | |
| Viele. Der Soziologe Andreas Reckwitz stellt die neue Reisepraxis dem | |
| klassischen „Massentourismus“ entgegen. Während dieser „die industrielle | |
| Moderne“ mit „standardisierten Paketen“ charakterisierte, mache der | |
| spätmoderne Tourismus das Reisen zum „Gegenstand aktiver Gestaltung und | |
| geschickter Zusammenstellung“ einer „kuratierten“ Lebenspraxis. Das ist d… | |
| Habitus der neuen Mittelschichten. | |
| Und bei anhaltender Kritik am Fliegen nimmt dieser „Posttourist“ kurzerhand | |
| die Zugreisen in sein Repertoire mit auf. Der „Posttourist“ ist ein | |
| souveräner Tourist. Er nutzt die Verkehrswege der extrem touristifizierten | |
| Weltgesellschaft. Sicher bewegt er sich durch die dichte Infrastruktur der | |
| internationalen Tourismusbranche. Er findet noch jedes Schnäppchen selbst, | |
| im Netz oder auf Social Media. | |
| Der Klassengegensatz besteht längst nicht mehr nur zwischen oben und unten, | |
| sondern in den Mittelschichten selbst, zwischen den Dauermobilen, global | |
| Orientierten und den eher Sesshaften, denen die Globalisierung den sozialen | |
| Abstieg bescheren wird oder bereits beschert hat. Wenn sich vor den | |
| Coronalockdowns die Besucher-Hotspots häuften, an denen sich die Menschen | |
| drängelten und überall von Overtourism die Rede war, dann, weil | |
| Billigflieger dorthin flogen, die Mittelschichten weltweit diese | |
| Infrastruktur nutzten und international der Wohlstand dieser | |
| Mittelschichten wuchs. | |
| Sollte Reisen vor dem Hintergrund der Klimadebatte und dem touristischen | |
| Ausverkauf vieler Regionen teurer werden, dann entsteht keine neue | |
| Klassengesellschaft. Wir leben längst darin. Die Reichen und Schönen haben | |
| es schon immer verstanden, sich ihre Ressorts zu sichern und die | |
| Habenichtse draußen zu halten. Und bestenfalls in der Massenabfertigung zu | |
| befrieden. Notwendige Einschränkungen und Regulierungen der allgemeinen | |
| Reisetätigkeit durch die Politik, faire Preise für faire Produkte gelten | |
| vielen als Bedrohung der politisch verbürgten Rechte. Reisen ist heute | |
| billig zu haben – Gleichheit war es nie. | |
| Die Diskussion vom teurer werdenden Normalurlaub reitet unverdrossen das | |
| alte BRD-Modell einer auf Ressourcenverbrauch orientierten | |
| Wohlstandsgesellschaft. Von damals ist auch der Kronzeuge, den der Spiegel | |
| bemüht: Horst Opaschowski, Tourismusfachmann, der vom Glück spricht, das | |
| die Bürger mit dem Urlaub für sich einfordern. | |
| Die Retrodiskussion unterschlägt auch den enormen Einfallsreichtum und die | |
| Entwicklungen in der Reisebranche. Dass etwa Bewegung und Natur immer | |
| gefragter sind und überholte Reiseformen wie Campen oder Radeln reaktiviert | |
| wurden. Dass Abhängen und Feiern im Freien neue Hochkonjunktur hat, auch | |
| weil es spontane Begegnung verspricht. Oder dass sich Europa kulturell | |
| aufpoliert hat und die Infrastruktur für jede Art Urlaub sehr gut geworden | |
| ist – alles leicht zugänglich über Apps, Websites, Foren und andere | |
| Communitys. Der Billigflieger nach Malle aber ist kein Demokratisierer, | |
| geschweige denn Garant des Urlaubsglücks für alle. | |
| 22 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christel Burghoff | |
| Edith Kresta | |
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