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# taz.de -- Kooperativen auf Mallorca: Damit alle etwas davon haben
> Nachhaltiger Urlaub auf Mallorca – geht das überhaupt? Zumindest kann man
> die Landwirte unterstützen, indem man lokale Produkte kauft.
Bild: Ein Schaf im Olivenhain auf Mallorca
Urlauber verlaufen sich nur selten auf den Platz am Rande der Altstadt von
Palma, auf dem an diesem Morgen ein Dutzend Bio-Bauern ihre Stände
aufgebaut haben. Vor ihnen türmen sich dicke Melonen, knackige Paprika,
zuckersüße Feigen und vor allem viele, viele Tomaten, weil die im
mallorquinischen Sommer nun einmal besonders gut gedeihen. Es ist Dienstag
und somit Markttag hier auf der Plaça del Bisbe Berenguer de Palou, die
etwas abseits der touristischen Sehenswürdigkeiten der Inselhauptstadt
liegt. Während sich die Urlauber eher in den traditionellen Markthallen
tummeln, in denen es neben Äpfeln aus Südafrika und Trauben aus Chile vor
allem Gemüse aus andalusischen Gewächshäusern gibt, kommen auf den
Bio-Markt in erster Linie Einheimische, die ganz bewusst nach lokalen
Produkten suchen.
Einer der mallorquinischen Bauern, die hier ihre Waren feilbieten, ist Toni
Seguí. Der 28-Jährige bewirtschaftet gemeinsam mit seinen Eltern und seiner
Schwester Margalida einen 300-Hektar-Betrieb etwa 30 Autominuten entfernt
in der Nähe von Inca. Dort ist er unter anderem für 300 Schafe und 100
Ziegen verantwortlich. Aus deren Milch macht Margalida Käse, den es dann
auch im eigenen Hofladen zu kaufen gibt. „Weil ich bescheuert bin“, lautet
Tonis Antwort auf die Frage, warum er Landwirtschaft betreibt, obwohl es
doch so viel einfacher und auch einträglicher wäre, sich einen Job im
Tourismus zu suchen. „Ich mache das, weil es das ist, was meine Familie nun
einmal macht. Schon immer.“
Es ist noch gar nicht allzu lange her, da war [1][Mallorca eine ganz und
gar landwirtschaftlich geprägte Insel.] 100.000 Bauern gab es noch in den
1960er Jahren. Heute sind es knapp 4.000. Ihr Durchschnittsalter: 61 Jahre.
Etwa eineinhalb Prozent des Bruttoinlandsproduktes entfallen noch auf den
Agrarsektor. Enorme Ackerflächen sind in den vergangenen Jahrzehnten mit
Ferienhäusern oder Autobahnen zugebaut worden. 90 Prozent aller
Lebensmittel, die auf der Insel konsumiert werden, kommen per Schiff vom
Festland. „Die Landwirtschaft ist auf Mallorca vom Aussterben bedroht“,
sagt Joan Simonet, Vorsitzender des Bauernverbandes Asaja.
[2][Schuld daran ist auch der Tourismus], findet er. „Der sorgt zwar für
Reichtum. Aber dieser Reichtum muss auch verteilt werden“, sagt Simonet.
„Es ist doch absurd, dass die Urlauber auf Mallorca durch Olivenhaine
wandern und Schafe fotografieren, die Landwirte aber überhaupt nichts davon
haben.“ Dabei seien sie es, die durch ihre Arbeit die Schönheit der
mallorquinischen Landschaft erhalten. Die Touristen sollten wenigstens
darauf pochen, dass ihnen in den Restaurants und Hotels lokale Produkte
serviert werden. „Man muss auf Mallorca keine Pizza essen und Rioja
trinken“, sagt Simonet.
## Tourismus muss der Landwirtschaft was bringen
Das sieht man auch beim Verband der ökologischen Landwirtschaft (APAEMA)
so. Deshalb läuft dort derzeit eine Kampagne, deren Ziel es ist, den Absatz
von mallorquinischem Bio-Lammfleisch zu erhöhen. Sie richtet sich direkt an
Restaurants und Hotels, die in der Regel lieber das billigere, aus
Neuseeland importierte Fleisch kaufen als das aus heimischer Produktion.
Die mallorquinischen Landwirte seien dann gezwungen, ihre Lämmer zu
Dumping-Preisen zu verkaufen. „Der Tourismus muss auch der Landwirtschaft
etwas bringen“, so das Motto der Kampagne.
Im gleichen Maße, wie der Agrarsektor im Laufe der vergangenen Jahrzehnte
an Bedeutung verloren hat, erlebte das Geschäft mit den Urlaubern seinen
Aufschwung. Fast 1.800 Übernachtungsbetriebe gibt es mittlerweile auf der
Insel, mit mehr als 400.000 Betten. In mehr als einem Dutzend der 53
Gemeinden übersteigt die Zahl der Hotelplätze die der Einwohner. Jeder
dritte Arbeitnehmer ist direkt in der Tourismusbranche beschäftigt. Im
letzten Vor-Corona-Jahr 2019 kamen fast zwölf Millionen Urlauber nach
Mallorca – die Zahl dürfte in diesem Jahr übertroffen werden.
„Der Tourismus auf der Insel hat vor langer Zeit aufgehört, nachhaltig zu
sein“, sagt Jaume Adrover, Sprecher der tourismuskritischen Organisation
Terraferida. Der beste Beleg dafür sind die natürlichen Ressourcen. Schon
in den 1990er Jahren wurde mehr Wasser auf Mallorca verbraucht, als
vorhanden war. Mit speziellen Tankschiffen musste damals Trinkwasser vom
Festland auf die Insel gebracht werden. Heute ist die Versorgung von
Mallorquinern und Urlaubern nur dank der Entsalzungsanlagen gesichert, die
in der Zwischenzeit gebaut wurden. „Man hätte damals sagen müssen: So groß
sind unsere natürlichen Wasservorkommen, bis dahin können wir wachsen und
nicht weiter.“
## Kampf ums Wasser
Adrover kennt das Problem aus eigener Anschauung. Er ist im Hauptberuf
Bio-Landwirt und baut im Inselosten vor allem Gemüse an. Einer der Brunnen,
auf die er angewiesen war, wurde mit der Zeit auch von immer mehr
Landhausbesitzern aus der Umgebung genutzt, zum Füllen der Pools etwa. „Am
Ende war ich der einzige Bauer weit und breit.“ Durch das Absinken des
Grundwasserpegels drang schließlich Meerwasser ein, der Brunnen versalzte,
bis er nicht mehr zum Gießen zu gebrauchen war. Adrover musste ganze
Ackerflächen aufgeben, weil er sie so nicht mehr bewirtschaften konnte.
Eine Antwort auf die Probleme der Bauern hat man in Sóller, ganz am anderen
Ende Mallorcas, bereits vor mehr als 100 Jahren gefunden. So lange gibt es
dort schon die Landwirtschaftskooperative Sant Bartomeu, deren Motto
lautet: Gemeinsam sind wir stärker. Die durchschnittliche Größe der
Orangengärten, für die das fruchtbare Tal berühmt ist, beträgt gerade
einmal 0,5 Hektar, sagt die Agraringenieurin Margalida Morey, die bei der
Kooperative für die Qualitätskontrolle zuständig ist. „Bei dieser geringen
Größe sind Innovationen einfach nicht rentabel – es sei denn, du tust dich
mit anderen zusammen.“ 354 Mitglieder hat die Kooperative derzeit.
Diese können nun seit einiger Zeit eine Maschine nutzen, die die
Kooperative angeschafft hat und die das Sortieren der Orangen nach Größe
ermöglicht – eine Voraussetzung dafür, dass die Früchte an Restaurants und
Hotels verkauft werden können: Nur die mittelgroßen Orangen passen nämlich
in eine herkömmliche Saftmaschine. Die Folge: Heute gehören lokale
Tourismusbetriebe zu den Hauptkunden der Kooperative. Außerdem gibt es
einen Laden, in dem man alle möglichen Produkte aus dem Sóller-Tal bekommt:
Marmelade, Olivenöl, Obst und Gemüse. Das nutzen auch viele Urlauber, die
in den zahlreichen Ferienhäusern der Umgebung abgestiegen sind.
Süße Orangen
[3][Wie Landwirtschaft und Tourismus voneinander profitieren können], lässt
sich auch ein paar Straßen weiter gut beobachten, wo Tomeu Deyà in 17.
Generation Olivenöl produziert, wie er mit Verweis auf den enormen
Stammbaum erklärt, der im Esszimmer an der Wand hängt und bis ins 16.
Jahrhundert zurückreicht. Can Det heißt das Haus seiner Urahnen. Die
Pflastersteine in der Eingangshalle und im schattigen Innenhof sind vom
vielen Hin und Her der Jahrhunderte ganz blank gescheuert. Hier bewirtet
Deyà Gäste, serviert ihnen frisch gepressten Orangensaft und eine Brotzeit
mit Olivenöl von tausendjährigen Olivenbäumen, gepresst in der Olivenmühle
nebenan – der ältesten auf der ganzen Insel, die noch funktionstüchtig ist,
wie Deyà anmerkt.
Die Hälfte aller Olivenhaine der Umgebung wird schon nicht mehr
bewirtschaftet, schätzen Experten. Das liegt daran, dass sie einst als
Terrassengärten an den Berghängen angelegt wurden, was zwar auch heute noch
schön aussieht, die Ernte aber ganz ungemein erschwert. Maschinen können in
dem abschüssigen Gelände nämlich kaum genutzt werden. „Bei uns ist vieles
noch immer Handarbeit“, sagt Deyà. Die Menschen müssten bereit sein, für
mallorquinische Produkte einen höheren Preis zu zahlen. „Natürlich bekommst
du südafrikanische Orangen im Großmarkt billiger“, sagt Deyà. „Aber die
sind dann auch nicht am Baum gereift und nicht so süß wie meine.“
Dass Mallorcas Landwirte Unterstützung brauchen, hat nun auch die
balearische Regional-Regierung erkannt. Seit einiger Zeit sind alle
touristischen Betriebe dazu verpflichtet, zumindest drei Prozent der
angebotenen Lebensmittel bei lokalen Produzenten einzukaufen. „Viel ist das
zwar nicht“, sagt Bauern-Präsident Joan Simonet. „Aber immerhin: Es ist ein
Anfang.“
2 Sep 2022
## LINKS
[1] /Debatte-zum-touristischen-Umbau/!5814897&s=kresta+burghoff/
[2] /Guenstige-Reisen-in-der-Klimakrise/!5789623
[3] /Tourismus-neu-denken/!5729445
## AUTOREN
Jonas Martiny
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