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# taz.de -- Reisen im Zentrum von Spanien: Auf verlassenen Pfaden
> Ehemalige Zugstrecken werden im Westen Spaniens zu Radwegen. Sie führen
> durch eine wenig bekannte Kulturlandschaft.
Bild: In Hervas, dem Höhepunt der Tour, gibt es eines der besterhaltenen jüdi…
Berghänge, Hügel, Sträucher, Stein- und Korkeichen … soweit das Auge
reicht. Extremadura, im Westen Spaniens, ist eine der am dünnsten
besiedelten Gegenden der Iberischen Halbinsel. Die Region macht genau das
jetzt zum Aushängeschild für den Tourismus. Stillgelegte Bahnstrecken
wurden zu Vías Verdes, Grünen Wegen, umgebaut. Schienen und Schwellen
wurden herausgerissen, das Gleisbett wurde zum Fahrradweg. Wo einst
Passagiere, Vieh oder Eisenerz transportiert wurden, sind bequeme
Radstrecken durch eine einzigartige Kulturlandschaft entstanden.
Die längste – die Via Verde Ruta de La Plata – beginnt in der nördlichen
Nachbarregion Castilla y León. Noch kommt sie nur aus dem kleinen Ort
Navalmoral de Béjar auf der Nordseite der Sierra de Béjar, den westlichsten
Ausläufern des Gredosgebirges. Doch bald schon soll es weiter im Norden, in
Salamanca, losgehen.
Es geht über den Pass von Béjar. Dieser wurde bereits seit Römerzeiten für
die sogenannte Ruta de Plata – Silberweg – durch den Westen des heutigen
Spaniens genutzt. Bis heute ist die Römerstraße zu sehen. Sie dient den
Pilgern als Jakobsweg. Neben der alten Zugstrecke führt auch die
Nationalstraße über diesen flachsten Pass von Gredos.
Mit sanftem Gefälle geht es auf dem alten Gleisbett hinunter ins
Ambroz-Tal. Ziel: Das rund 70 Kilometer entfernt liegende Plasencia, die
viergrößte Stadt Extremaduras, Bischofsitz mit einer einzigartigen
Doppelkathedrale, die es erlaubt die Entwicklung der spanischen
Kirchenarchitektur zu studieren.
Vorbei an den Berghängen von Gredos mit ihren bis in den Frühsommer hinein
schneebedeckten Gipfeln, durchfahren wir einen Tunnel und kommen wir
schließlich nach einer alten Eisenbahnbrücke zum Höhepunkt Tour, nach
Hervas. Der Ort in der Provinz Cáceres nennt eines der besterhaltenen
jüdischen Viertel in ganz Spanien sein Eigen. Verwinkelte Gässchen ziehen
sich den Hang hinauf. Fachwerkhäuser aus Kastanienholz und luftgetrockneten
Lehmziegeln säumen die Gassen. So manche Tür schmückt bis heute der
Davidsstern. Im Schatten der Kirche Santa María, deren Ursprünge auf den
mittelalterlichen Orden der Tempelritter zurückgehen, lebten einst 45
jüdische Familien.
## Sefardische Spuren
Die Sefarden, die iberischen Anhänger des hebräischen Glaubens, waren im
13. Jahrhundert nach Hervás gekommen. Ende des 14. Jahrhunderts folgten
zahlreiche Flüchtlinge aus Kastilien und Andalusien, wo im Jahre 1391
Progrome gegen die religiöse Minderheit ausbrachen.
Die Neuankömmlinge im damals nur mehrere Hundert Einwohner zählenden Ort
verdingten sich als Ärzte, Weber, Sattler und Weinbauern. Bald schon wurde
Hervás zum reichsten Dorf der Umgebung und zum Zentrum des kulturellen und
wirtschaftlichen Lebens. Die Hälfte der jüdischen Steuergelder des
Fürstentums Béjar, zu der Hervás einst gehörte, kamen von hier. Eine
Synagoge entstand.
Hervás erlebte seine Blüte im 15. Jahrhunderts. Die christliche und
jüdische Religion lebten friedlich miteinander, bis 1492 die katholischen
Könige Fernando II. von Aragon und Isabel I. von Kastilien ganz Spanien
unter ihre Herrschaft brachten. Für die sefardische Kultur war dies das
Ende. Die neuen Herrscher bestimmten per Erlass vom 31. März 1492, dass
alle Juden zum christlichen Glauben überzutreten hatten oder das Land
binnen vier Monaten verlassen mussten. Die Sefarden ließen sich überall im
Mittelmeerraum nieder. So manche Familie bewahrt bis heute den Schlüssel
ihres einstigen Hauses in Hervás auf.
Doch nicht nur Kirchen haben die Tempelritter im Süden des Gredosgebirges
hinterlassen. Sie legten auch Kastanienhaine an. Die ältesten Bäume liegen
unweit der Vía Verde in der Nähe des Dorfes Torre de Veón. Die Wälder laden
vor allem im Herbst zu langen Spaziergängen ein.
Die Zuglinie entlang der Ruta de la Plata kam einst aus Astorga, wo sie
Anschluss an andere Linien bis hinauf zum Atlantik fand. Nach Plasencia
ging es weiter in den Süden bis zum Hafen von Sevilla. Es war eine der
wenigen Strecken, die nicht sternförmig über die Hauptstadt Madrid liefen.
Seit sie 1996 endgültig stillgelegt wurde, muss, wer etwa von Plasencia
nach Salamanca will, wieder über die Hauptstadt Madrid fahren. Aus rund 130
Kilometern werden so über 450 Kilometer.
## Schafe und weiße Kühe
Neben Personen wurden auf der Strecke meist die für Extremadura typischen
Merinoschafe und einheimische weiße Kühe transportiert. Die weißen Kühe hat
das gleiche Schicksal ereilt wie den Zug. Die zähe, dem heißen Sommer und
den kalten Wintern auf dem ausgedehnten Weideland mit Stein- und Korkeichen
trotzende Rasse ist weitgehend aus der Landschaft verschwunden. Da sie
nicht so schwer wird wie andere Kuhrassen, sind die weißen Kühe einfach
nicht mehr rentabel. Nur am Rande des Nationalparks Monfragüe am Tajo sind
sie wieder zu sehen. Dort werden sie auf dem Gut Haza de la Concepción der
extremenischen Regionalregierung gezüchtet.
Auch hier unweit des tief eingeschnittenen Canyons des Tajos – wegen der
zahlreichen Geier und Adler beliebt bei Vogelbeobachtern – lädt eine Via
Verde zum Radfahren ein. Die Vía Verde de Monfragüe war einst eine
Nebenstrecke der Ruta de la Plata für den Transport ebenfalls für Güter-
und Personenverkehr und Teile einer Linie, die von Madrid bis Portugal
führte. Es geht fast ausschließlich durch sanftes, hügeliges Weideland mit
Stein- und Korkeichen. Hier weiden die schwarzen iberischen Schweine.
Höhepunkt ist Malpartida de Plasencia, etwa fünf Kilometer von der Strecke
entfernt mit der zum historischen und künstlerischen Erbe ernannten Kirche
San Juan Bautista.
Auch Industrie hatte das vergessene Estremadura einst. Die Via Verde de la
Jayona – so benannt nach einer Eisenerzmine die heute als Naturdenkmal
besucht werden kann. Wer sich für Geologie interessiert, kann hier den
Zusammenstoß zweier Erdplatten mitten im Bergwerk sehen. Vier der 11 Ebenen
des Bergwerks können besucht werden. Es ist eine Mischung aus Stolen und
Tagebau, die sich seit der Stillegung 1921 zu einem einzigartigen Biotop
gewandelt hat. Die Bahnstrecke, die ausschließlich dem Güterverkehr diente,
hatte einen Anschluss an den Zug nach Plasencia.
Wer nach längeren Routen sucht, der kann die Vías Verdes mit den alten
Viehtriebwegen, die das Netz der Caminos Naturales verbinden, nutzen. Oder
besser noch, in Plasencia den Eurovelo 1 der vom Nordkap kommenden zum Kap
San Vicente in Portugal führt, einschwenken und so die beiden
extremenischen Weltkulturerbestädten Cáceres mit seinen Palästen und Kirche
sowie Merida mit einem der am besten erhaltenen römischen Amphitheatern
besuchen.
9 Oct 2022
## AUTOREN
Reiner Wandler
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