| # taz.de -- Die These: Vergesst die Jungen nicht | |
| > Wir sind alle urlaubsreif. Aber deshalb genau da weiterzumachen, wo wir | |
| > vor Corona aufgehört haben, wäre grundfalsch. | |
| Bild: Es bewegt sich wieder was: Das erste Kreuzfahrtschiff seit Langem im Hafe… | |
| Die Deutschen schwirren wieder aus. Corona scheint in Europa weitgehend im | |
| Griff, endlich kann man raus und reisen. Die Tourismusbranche freut sich, | |
| man sieht am Himmel, dass sich was tut: Wo lange nur Wolken und Weite war, | |
| hinterlassen jetzt wieder Flugzeuge ihre Spuren. Der Flugverkehr liegt | |
| inzwischen [1][bei 30 Prozent] im Vergleich zu 2019, bei den Inlandsflügen | |
| sind es schon 50 Prozent. | |
| Auch die Kreuzfahrtschiffe stechen wieder in See. Kürzlich legte nach über | |
| einem Jahr Pause das erste schwimmende Hotel in Mallorca an, Pulks von | |
| UrlauberInnen liefen durch Palma. In anderen Häfen sieht es ähnlich aus. | |
| Gerade die doppelt geimpften Alten wollen wieder los nach der langen Zeit | |
| zu Hause, es muss ja nichts Großes sein, vielleicht erst mal nur eine kurze | |
| Kreuzfahrt auf einem Fluss, zur Abwechslung? Wer noch keine Pläne hat, | |
| macht spätestens jetzt welche. Klar, alle sind nach diesem Jahr | |
| urlaubsreif. Beim Reisen genau da anzuknüpfen, wo wir vor Corona aufgehört | |
| haben, fühlt sich trotzdem grundfalsch an. | |
| Denn es ist ja etwas passiert in der Zwischenzeit. Das höchste deutsche | |
| Gericht hat [2][sehr deutlich gemacht]: Die CO2-Menge, die wir angesichts | |
| der Klimaerwärmung noch ausstoßen können, ist endlich. Jede Freiheit, die | |
| sich die Menschen heute nehmen, geht auf Kosten der Freiheit der Menschen | |
| von morgen. Zugespitzt heißt das: Die Reise, die sich Eltern und Großeltern | |
| heute gönnen, können ihre Kinder und Enkel später nicht mehr machen. Nur | |
| verständlich, wenn die Jungen da fragen: Muss diese x-te Reise wirklich | |
| sein? Findet ihr nicht, dass ihr uns noch etwas übrig lassen solltet? | |
| Das Fliegen und Kreuzschifffahren ist dabei vor allem Symbol: Der Tourismus | |
| macht [3][Schätzungen zufolge] weltweit fünf Prozent der | |
| Treibhausgasemissionen aus. Die größten Verursacher sind hierzulande nach | |
| wie vor die Energiewirtschaft und die Industrie. Egal sind Flüge und | |
| Kreuzfahrten trotzdem nicht, sie stehen beispielhaft für einen | |
| CO2-intensiven Lebensstil. | |
| Schon vor Corona war viel von einem Generationenkonflikt die Rede. | |
| Jugendliche von Fridays for Future riefen beim Klimastreik: „Wir sind hier | |
| und wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ Mit einem genervten „Ok | |
| Boomer“ wurden all jene Ältere im Netz bedacht, die die Belange der Jungen | |
| abtaten. Die [4][New York Times] schrieb im Oktober 2019: „Now it’s war – | |
| jetzt ist Krieg“. Die Generation Z, also jene, die Ende der 90er bis etwa | |
| 2010 zur Welt kamen, verliere angesichts des Klimawandels und der | |
| finanziellen Ungleichheit die Geduld. | |
| Von einem Krieg der Generationen zu sprechen mag übertrieben sein. Wenn | |
| sich allerdings jetzt, nachdem das Argument der Generationengerechtigkeit | |
| höchstrichterlich bestätigt wurde, nichts wirklich ändert, kann sich der | |
| Konflikt durchaus zuspitzen. Etwa in den Familien. Während Corona mussten | |
| die Jungen Rücksicht nehmen auf die Alten. Sie konnten nicht in die Schule | |
| oder zur Uni, mussten Abstand halten. Wollte man die Großeltern besuchen, | |
| musste man vorher in Quarantäne, um ja kein Risiko einzugehen, viele Junge | |
| haben das sehr ernst genommen. | |
| Angesichts der Klimakrise wäre es nun an Eltern und Großeltern, Rücksicht | |
| zu nehmen. Passiert das nicht, sollte man sich nicht wundern, wenn die | |
| Jungen richtig sauer werden. Das wird schnell moralisierend und unangenehm. | |
| Aber was sollen sie anderes tun? | |
| Tatsächlich kann es übergriffig wirken, wenn die Jungen den Alten | |
| vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. Wir sind es nicht gewohnt, | |
| dass andere mitreden bei der Frage, wie wir leben. Welchen Beruf wir | |
| wählen, welche PartnerIn, wie und wo wir wohnen – die Familie verliert bei | |
| diesen Entscheidungen seit Jahrzehnten an Einfluss. Die individuelle | |
| Autonomie ist eine Errungenschaft, sie verträgt sich nur nicht gut damit, | |
| dass sich unser aller Verhalten nicht nur jeweils auf uns selbst sondern | |
| auch auf andere auswirkt – wie es bei Corona oder beim Klima zu beobachten | |
| ist. | |
| Umso wichtiger wäre es, dem Klimawandel als Gesellschaft zu begegnen. Dass | |
| es auch da einen großen Unwillen gibt, Veränderungen anzugehen, hat zuletzt | |
| die Aufregung über steigende Benzinpreise gezeigt. Nun wurde das | |
| überarbeitete Klimagesetz verabschiedet, immerhin. Dass das | |
| Bundesverfassungsgericht die Regierung erst dazu zwingen musste, zeugt auch | |
| von den Widerständen. | |
| Wie sich das Thema Klimawandel auf das Verhältnis der Generationen | |
| auswirkt, ist wissenschaftlich bislang wenig erforscht. [5][Martin | |
| Beckenkamp] von der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in | |
| Berlin hat deshalb 2020 gemeinsam mit Studierenden in einer nicht | |
| repräsentativen [6][Studie] untersucht, wie verschiedene Altersgruppen den | |
| Klimawandel wahrnehmen. Sie konnten dabei keinen Generationenkonflikt | |
| nachweisen. „Ob Menschen den Klimawandel als Risiko sehen, hängt viel mehr | |
| von ihrer Einstellung ab als von ihrer Zugehörigkeit zu einer Generation“, | |
| sagt Beckenkamp. Es gebe die „Omas for Future“, die Maßnahmen gegen den | |
| Klimawandel fordern, ebenso wie junge Leute, die viel fliegen und kein | |
| Problem damit haben. | |
| Sicherlich ist es auch eine Frage des Milieus, welche Rolle das Klimathema | |
| spielt. Es gibt jedoch darüber hinaus ein Problembewusstsein, das viele | |
| junge Menschen verbindet. „Jugendliche und junge Erwachsene fühlen sich von | |
| der Politik in vielen Belangen benachteiligt, sie finden kein Gehör. Das | |
| ist natürlich auch als Generationenkonflikt zu verstehen“, sagt [7][Henrike | |
| Knappe] vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in | |
| Potsdam. | |
| Knappe beschäftigt sich mit der politischen Repräsentation von zukünftigen | |
| Generationen. In vielen wichtigen Entscheidungspositionen säßen die 50- und | |
| 60-Jährigen. Nur 14,4 Prozent der Wahlberechtigten sind bei der kommenden | |
| Bundestagswahl unter 30 Jahre alt. „Das merkt man dann auch an den | |
| Wahlprogrammen der Parteien. Die Belange der jungen Erwachsenen sind nicht | |
| so wichtig“, sagt Knappe. | |
| Dass die das genauso wahrnehmen, zeigt eine repräsentative Umfrage unter | |
| 16- bis 26-Jährigen, die die [8][Generationen-Stiftung] diese Woche | |
| veröffentlicht hat. Darin sagten 83 Prozent der Befragten, dass die | |
| derzeitige Regierung die Interessen junger Menschen trotz vieler Proteste | |
| in den letzten Jahren ignorierte. 70 Prozent stimmten folgender Aussage zu: | |
| „Wenn ich daran denke, wie meine Zukunft in 50 Jahren aussehen wird, habe | |
| ich große Angst.“ | |
| Mit dieser Angst sollten die Mittelalten und Alten sie nicht alleine | |
| lassen. Die Wahl des Verkehrsmittels ist das eine. Das andere ist die Wahl | |
| im September: Dann werden die Weichen gestellt für entscheidende Jahre, | |
| auch in der Klimapolitik. Sind die Älteren bereit, Einschränkungen im Sinne | |
| der Jüngeren hinzunehmen? | |
| Dafür gibt es zumindest Hoffnung, schaut man sich die Forschung zum | |
| Verhältnis der Generationen – jenseits des Klimathemas – an. Die | |
| Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern sind grundlegend | |
| stabil. Ältere seien durchaus bereit, Jüngere finanziell und emotional zu | |
| unterstützen, sagt der Sozialwissenschaftler Karsten Hank von der Uni Köln. | |
| „Auf beiden Seiten gibt es ein großes Verständnis für die Belange der | |
| jeweils anderen Seite und auch die Bereitschaft, Rücksicht zu nehmen.“ Hank | |
| ist überzeugt: Viele Ältere wollten ihren Kindern eine gute Welt | |
| hinterlassen. | |
| In der „[9][heute-show]“ gab es vor Kurzem einen satirischen Beitrag zu | |
| einer Kreuzfahrt. Ein gut gebräunter Weißhaariger sitzt mit Cocktailglas im | |
| Liegestuhl und erklärt sich solidarisch mit der „gearschten Generation“ der | |
| Jungen. Rücksicht nehmen will er schon, aber später. Er sagt: „Wir waren | |
| zuerst da. Punkt. Das ist wie hier am Buffet. Da kann ich auch nicht | |
| rumheulen: Die Shrimps sind alle. Oder das CO2. Ja dann komm halt früher!“ | |
| Das ist lustig. Aber wir sollten aufpassen, dass die Wirklichkeit anders | |
| aussieht. | |
| 27 Jun 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.dfs.de/dfs_homepage/de/Presse/Pressemitteilungen/2021/11.06.202… | |
| [2] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/20… | |
| [3] https://www.unwto.org/sustainable-development/climate-action | |
| [4] https://www.nytimes.com/2019/10/29/style/ok-boomer.html | |
| [5] https://www.hmkw.de/hochschule/lehrende/fachbereich-psychologie/martin-beck… | |
| [6] https://projekte.zum.de/wiki/Generationenkonflikt_und_Klimakrise/Generation… | |
| [7] https://www.iass-potsdam.de/de/menschen/henrike-knappe | |
| [8] https://www.generationenstiftung.com/ | |
| [9] https://www.youtube.com/watch?v=L7NWlgWlFJA | |
| ## AUTOREN | |
| Antje Lang-Lendorff | |
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