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# taz.de -- Klimaschutz in der Luftfahrt: Nur grünes Fliegen ist schöner
> An diesem Montag startet die erste Produktion von CO2-neutralem
> Flugbenzin in Deutschland. Zurück geht die Anlage auf eine
> Klimaschutzorganisation.
Bild: Klimaneutral durch die Lüfte: Die Produktion des Flugzeug-Treibstoffs so…
Hallen, Rohre, Ventilatoren und Tanks vor sattgrünen Wiesen: Nach einer
Hightechrevolution sieht es auf dem Gelände des Energiekonzerns EWE im
Städtchen Werlte im Emsland nicht aus. Und doch blicken Flugindustrie und
KlimaschützerInnen auf die Anlage. Am Montag kommt Bundesumweltministerin
Svenja Schulze, Kanzlerin Angela Merkel schickt eine Videobotschaft. Werlte
ist wichtig. Denn die unscheinbaren Tanks und Rohre produzieren eine große
Hoffnung der Luftfahrt: den Traum vom grünen Fliegen.
Das Pilotprojekt heißt „FairFuel“: Zum ersten Mal wird in Deutschland
Flugbenzin produziert, dass CO2-neutral ist und in der Praxis angewandt
wird. Gebaut hat die Anlage kein Energiekonzern und keine Airline – sondern
[1][eine Klimaschutzorganisation: die gemeinnützige
Atmosfair-Gesellschaft.] Die bietet bisher einen CO2-Rechner für Flugreisen
und Kompensationsprojekte für die CO2-Schulden durchs Fliegen.
Jetzt geht Atmosfair einen großen Schritt weiter: „Wir zeigen, dass
CO2-neutrales Kerosin machbar ist, und wir sind dabei schneller als die
großen Konzerne“, sagt Dietrich Brockhagen, der umtriebige
Atmosfair-Geschäftsführer. Mit der gemeinnützigen Tochterfirma Solarbelt
wollen die KlimaschützerInnen ihr FairFuel nicht nur in die Raffinerien und
Turbinen bekommen, sondern auch den Großen der Branche „eine Messlatte
vorgeben“, wie Brockhagen sagt. Der Anspruch: Wer als erster auf dem Markt
ist, setzt Maßstäbe. Und die sollen so grün wie möglich sein, wenn jetzt
gerade das Thema klimaneutrales Fliegen richtig abhebt.
Dabei nämlich droht nach Brockhagens Ansicht eine Menge Greenwashing.
Weltweit werden hektisch Projekte geplant und gebaut, um das Fliegen von
seinem Image als Klimakiller zu erlösen. Ölkonzerne wie Shell und Total
preisen ihr [2][„synthetisches Kerosin“], das [3][Weltwirtschaftsforum] und
die [4][EU-Kommission] setzen auf die klimaneutrale Ersatzdroge „ReFuel“.
„Viele dieser Lösungen verringern aber nur den CO2-Ausstoß“, kritisiert
Brockhagen. „Nur wir bieten jetzt ein wirklich CO2-neutrales Kerosin.“
## Technisch kein Hexenwerk
Technisch ist das innovativ, aber kein Hexenwerk: Ein Elektrolyseur trennt
per Ökostrom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Mit CO2 aus der
Biogasanlage oder aus der Luft wird der Wasserstoff über einen
Zwischenschritt zu Synthesegas und über das bewährte
Fischer-Tropsch-Verfahren zu synthetischem Kraftstoff, „Syncrude“,
umgewandelt. Eine Raffinerie macht Kerosin der Marke „Jet A1“ daraus. Das
kostet bisher noch mehr als doppelt so viel wie normales Kerosin. Aber wer
es kauft wie etwa die Lufthansa, kann damit werben, er fliege teilweise
klimaneutral.
Dieses Etikett ist heiß begehrt: Wer behaupten kann, er fliege, ohne das
Klima zu belasten, hat die Nase vorn. Weltweit ist der Flugverkehr für etwa
zwei Prozent der Treibhausgase (etwa so viel wie Deutschland) und [5][für
etwa fünf Prozent des Klimawandels (durch Schadstoffe und Wolkenbildung)
verantwortlich.] Das Wachstum ist enorm und eine Alternative zum Kerosin
technisch kaum möglich.
Seit 2016 hat sich die Luftfahrtbranche [6][zu einem Klimaplan
durchgerungen], ab 2020 soll der Luftverkehr nur noch klimaneutral wachsen.
Dafür suchen die Airlines CO2-Zertifikate etwa aus Waldprojekten oder eben
klimaneutrale Brennstoffe. Und es gibt Quoten: Ab 2026 muss dem deutschen
Kerosin 0,5 Prozent synthetischer Kraftstoff beigefügt werden, 2030 sollen
das schon 2 Prozent sein. Das braucht 2026 immerhin 50.000 Tonnen an
synthetischen Kraftstoffen. Die es aber bisher auf dem Markt nicht gibt.
FairFuel soll da ein bisschen Abhilfe schaffen. Ein kleines bisschen: 350
Tonnen pro Jahr, knapp ein Prozent des Bedarfs, soll die Anlage liefern.
Die Anlage in Werlte habe Atmosfair „ohne Kredite und ohne Subventionen“
gebaut, sagt Brockhagen, die Höhe der Investitionen will er nicht nennen.
Nur soviel: „Das war teuer. Wir haben lange darauf gespart.“
Wichtig ist dem Geschäftsführer aber vor allem die Vorbildfunktion: Man
habe sehr genau darauf geachtet, alle Komponenten des Projekts nachhaltig
zu gestalten: CO2 aus Lebensmittelabfällen oder aus der Luft, nicht aus
Kohle, Öl oder Zement. Der Ökostrom für den Elektrolyseur kommt von
Windanlagen aus der Gegend ohne EEG-Förderung, die sonst abgeschaltet
würden.
## Lufthansa ist einer der ersten Kunden
„Zusätzlich bauen wir ein Zertifizierungssystem auf, mit dem die Kunden
nachweisen können, wie viel CO2-neutrales Kerosin sie bezogen haben“, sagt
Brockhagen. Mit FairFuel will er schaffen, was Atmosfair bereits bei der
CO2-Kompensation gelungen ist: Als „Goldstandard“ ein Ökosiegel zu
etablieren, mit dem sich die ganze Branche vergleichen muss.
Die Lufthansa ist einer der ersten Kunden. Bisher nutzt sie synthetische
Treibstoffe aus biologischen Grundstoffen, die bei Umweltgruppen teils als
problematisch gelten. „Nachhaltige Kraftstoffe sind zentral, um den
CO2-Fußabdruck der Luftfahrt zu verringern“, sagt eine
Lufthansa-Sprecherin, „die Zukunft sehen wir im synthetischen PtL-Kerosin“,
wie es FairFuel bietet. „Wichtig ist, dass es in ausreichenden Mengen
angeboten wird“, heißt es.
„Was Atmosfair da macht, ist ein guter Ansatz“, sagt Harry Lehmann, es sei
schnell realisierbar und mache Druck auf andere. Lehmann hat lange im
Umweltbundesamt zur Klimaneutralität geforscht, jetzt baut er in Cottbus
für die bundeseigene [7][GmbH Zukunft-Umwelt-Gesellschaft das „PtX Lab
Lausitz“ auf.] Mit dem Geld aus den Milliardentöpfen für den
Braunkohleausstieg sollen hier die Treibstoffe der Zukunft auf den Markt
gebracht werden.
Lehmann plant also etwas Ähnliches wie Atmosfair – eine Anlage für
synthetische Kraftstoffe, nur deutlich größer. Er lobt den geplanten
„Goldstandard für Zertifikate“: Damit nämlich könnte FairFuel auch etwa …
Brasilien oder Nigeria entstehen, wie es Atmosfair plant, und von dort das
Klima entlasten. „Der Atmosphäre ist es egal, wo die Treibhausgase
eingespart werden.“
Nicht egal ist es aber für Atmosfair, dass auch das grünste Kerosin durch
andere Schadstoffe und Wolkenbildung zum Klimawandel beiträgt. Kann man
damit wirklich „sorgenfrei fliegen“?, fragen sich die
Atmosfair-KlimaschützerInnen in einem internen Dokument. Ihre Antwort:
„Grünes E-Kerosin ist ein wichtiger Einstieg in klimaschonendes Fliegen und
kann richtig angewendet langfristig auch das klimaneutrale Fliegen
bringen.“ Aber dann sagen sie, was sie schon bei ihren
Kompensationsangeboten immer sagen – und was ihr eigenes Geschäftsmodell
untergräbt: „So lange gilt: Weniger fliegen ist besser für das Klima.“
3 Oct 2021
## LINKS
[1] https://www.atmosfair.de/de/
[2] https://www.shell.com/business-customers/aviation/the-future-of-energy/sust…
[3] https://www.weforum.org/agenda/2021/07/what-6-executives-europe-aviation-se…
[4] https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/1…
[5] https://www.nature.com/articles/s41467-021-24091-y
[6] https://www.icao.int/environmental-protection/pages/a39_corsia_faq2.aspx
[7] https://www.z-u-g.org/aufgaben/ptx-lab-lausitz/
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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