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# taz.de -- Billigflüge und Klimaschutz: Das 29-Euro-Paradoxon
> Die Aufregung der CDU über das angebliche Billigflugverbot zeigt: Der
> Paradigmenwechsel in der Klimapolitik ist noch nicht bei allen
> angekommen.
Bild: Ein Billigflug gehört offensichtlich zu den Grundrechten der Deutschen
Den [1][29-Euro-Flug nach Mallorca] muss man sich offenbar als verbrieftes
Grundrecht aller Deutschen vorstellen. Kaum hatte Grünen-Kanzlerkandidatin
Annalena Baerbock in einem Interview festgestellt, dass eine klimagerechte
Besteuerung von Flügen solche Dumpingpreise stoppen würde, echauffierten
sich die üblichen Verdächtigen in kalkulierter Empörung.
[2][CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet] gab den engagierten Kämpfer
für Kleinverdiener und die FDP regte sich über den „Verbotsfetisch“ der
Grünen auf. Dabei hatte Baerbock gar kein Verbot gefordert. Die eingeübten
Reflexe funktionieren also noch, obwohl das Bundesverfassungsgericht die
Politik in einem historischen Urteil dazu verpflichtete, Freiheitsrechte
künftiger Generationen beim CO2-Ausstoß mitzudenken.
Weder die CDU noch die FDP haben offenbar den fundamentalen Umbruch
verstanden, der damit einhergeht. Bemerkenswert ist zum Beispiel der
Widerspruch in Laschets Logik. Der Mann, der Kanzler werden will, wirft
sich schützend vor [3][Billigflüge], fordert aber gleichzeitig einen
höheren CO2-Preis. Jener würde nicht für Flüge gelten, denn die werden vom
EU-Emissionshandel erfasst.
Aber ein CO2-Preis würde den Verbrauch fossiler Energien an anderer Stelle
verteuern, etwa beim Sprit oder Heizöl, das ist seine Logik. Laschet wirbt
also in der Theorie für eine Maßnahme, die den Konsum der Deutschen über
Preisanreize ökologischer macht. Angesichts dessen hochgradig
klimaschädliche 29-Euro-Trips für unantastbar zu erklären, ist, mit
Verlaub, eine verwegen realitätsfremde Vorstellung. Laschet vertritt ein
Paradoxon.
## Klimaschutz? Theoretisch schon
Aber er ist nicht allein, bisher markierte diese widersprüchliche Haltung
sozusagen den State of the Art der deutschen Klimaschutzdebatte. Beim
wolkigen Versprechen, Klimaschutz ernst zu nehmen, war man sich schnell
einig. Aber sobald konkrete Schritte diskutiert wurden, ging ein Aufschrei
durch die Republik. Ein [4][Tempolimit]? Freiheitsberaubung. [5][Weniger
Fleisch essen]? Ökodiktatur! Weniger [6][Verbrenner]? Nichts gegen diese
Meisterleistung deutscher Ingenieure.
Doch der Irrsinn, ungebremsten Konsum mit Freiheit gleichzusetzen, ist ein
Relikt der Vergangenheit. Das [7][Karlsruher Urteil] hat die Politik auf
das unerbittliche Korsett der physikalischen Realität hingewiesen. Unter
seinem Eindruck hat die Große Koalition ein Klimaschutzgesetz aufgesetzt,
das diesen Namen wirklich verdient. Bis 2030 soll der Treibhausgasausstoß
um mindestens 65 Prozent sinken, selbst die Grünen fordern in ihrem
Wahlprogramm nur etwas mehr, nämlich 70 Prozent.
Die CDU hat sich mit dieser Selbstverpflichtung in eine Revolution
gestürzt, die sie noch gar nicht in Gänze durchdrungen hat. Wer angesichts
der Banalität, dass Billigflüge mit fossilem Kerosin mit ernsthaftem
Klimaschutz nicht zu vereinbaren sind, in Schnappatmung verfällt, wird
feststellen müssen, dass dies eine Marginalie ist – verglichen mit anderen
nötigen Schritten.
Laschet agiert also vor allem alte Reflexe aus. Wo ist die Debatte über
unseren Fleischkonsum, der überall auf der Welt zerstörerische Wirkung
entfaltet? Wo sollen all die Windräder stehen, die für den massiven Zubau
der erneuerbaren Energien nötig sind? Wie sehen die autofreien Städte der
Zukunft aus? Das wären lohnende Felder für eine Volkspartei. Laschet wird
sich noch umschauen, zu welchen Schritten er seine Leute bringen muss.
Ausgerechnet die Partei, die zu behäbiger Status-quo-Anpassung neigt, muss
riesige Veränderungen unter hohem Zeitdruck managen. Es ist zum Beispiel
ein billiger Trick von CDU und FDP, immer dann ihr soziales Gewissen zu
entdecken, wenn es um die Verhinderung von Klimaschutz geht. Bei ihrem Nein
zu einem höheren Mindestlohn ist der CDU der Kleinverdiener ja herzlich
egal.
Diese Instrumentalisierung wird auffallen, wenn es in den ökologischen
Debatten konkreter wird – ebenso wie andere Widersprüche in der
christdemokratischen Argumentation. Auch Armin Laschet wird lernen müssen,
dass Klimaschutz, der auch über Preispolitik gestaltet wird, ohne sozialen
Ausgleich nicht zu machen ist.
22 May 2021
## LINKS
[1] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/baerbock-will-kurzstreckenfl…
[2] https://www.aero.de/news-39664/Laschet-gegen-Verbot-von-Kurzstreckenfluege.…
[3] /Streit-um-Flugreisen/!5647436
[4] /Streit-ueber-Tempo-auf-Autobahnen/!5652928
[5] /Neue-Studie-zu-Peak-Meat/!5757216
[6] /Autoexperte-ueber-Ende-der-Verbrenner/!5745341
[7] /Nach-Beschluss-des-Verfassungsgerichts/!5765549
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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