Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Klimapaket der Bundesregierung: Das Gespenst des Murksismus
> Schwarz-Rot verspricht für das Klimapaket einen „großen Wurf“. Dafür a…
> ähnelt es zu sehr seinen Vorgängern, die alle scheiterten.
Bild: Keine Verbote, keine Schulden. Die Klimaminister der Union
BERLIN taz | Eine funktionierende Bürokratie hat einen großen Vorteil: Die
Regierung dokumentiert auch ihr Scheitern ganz genau. Wer das sehen will,
der muss nur den „Klimaschutzbericht 2018“ auf Seite 33 aufschlagen. Da
führen die Gutachter des Umweltministeriums fein säuberlich auf, wie das
„Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ aus dem Jahre 2014 weit hinter den
eigenen Zielen zurückgeblieben ist: Statt der minus 40 Prozent, die noch
vor fünf Jahren mit einem Bündel von Maßnahmen und viel Geld erreicht
werden sollten, verfehlt Deutschland sein Ziel praktisch so, als hätte es
das „Aktionsprogramm 2020“ nie gegeben.
Das ist Geschichte, aber sie könnte sich wiederholen. Die Bundesregierung
steht kurz davor, das nächste praktisch wirkungslose Aktionsprogramm zu
beschließen. Denn was das „Klimakabinett“ am 20. September entscheiden
will, hat zwar den Anspruch, ein „großer Wurf“ und „kein Klein-Klein“ …
sein. Aber was in den vorbereitenden Papieren steht und welche Deals die
Unterhändler gerade schmieden, sieht eher so aus, als würden sie es wieder
vermurksen. Als würden sie daran scheitern, dass wir unsere Klimaziele bis
2030 und die „Klimaneutralität“ bis 2050 erreichen.
Denn die Konzepte der Groko ähneln sich in einem Punkt: Niemand soll
merken, dass wir das Klima schützen. Keine Ökosünde wird verboten, jede
halbwegs sinnvolle Aktion wird subventioniert. Gegen Ölheizungen,
Verbrennungsmotoren, Massentierhaltung oder Billigflüge sollen Forschung,
Innovationen und Subventionen helfen.
Für die dringend benötigten Investitionen werden keine offiziellen Schulden
gemacht, sondern Schattenhaushalte gebildet. Den mündigen Staatsbürgern
will niemand etwas zumuten. Denn die Regierung hat Angst vor den Falschen:
Sie fürchtet potenzielle deutsche „Gelbwesten“ – und nicht die realen
Konsequenzen der Klimakrise.
Drei Irrtümer
Die Groko kultiviert ihre Irrtümer. Einer lautet: Es reicht, mit mehr Geld
und noch mehr Maßnahmen die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Aber
die Physik lässt uns keine Zeit. Der finanzielle Druck aus Brüssel ist
enorm. Und der politische Druck von der Straße fordert Schluss mit
Pillepalle.
Der nächste Irrtum, beliebt bei der CDU/CSU: Es braucht keine Verbote. Die
Erfahrung von 40 Jahren Umweltpolitik, von gescheiterten
Selbstverpflichtungen der Industrie und reihenweise verfehlten Umweltzielen
spricht dagegen. Dann heißt es, Umwelt und Klima seien Gewinnerthemen nur
für die Grünen. Zumindest für SPD, FDP und Union, das zeigt das letzte
Jahr, sind es auch Verliererthemen.
Dritter Irrtum, beliebt bei den Sozialdemokraten: Der Markt und ein
CO2-Preis funktionieren nicht, schon gar nicht der Emissionshandel. In
Wahrheit erreicht der Europäische Emissionshandel die CO2-Ziele sehr genau,
wenn er nicht von der Politik daran gehindert wird.
Weil die Materie so komplex ist, besteht eine große Gefahr: dass die
Koalition sich statt klarer Entscheidungen auf Luftbuchungen einigt, wie
sie etwa der Verkehrsbereich schon aufweist. Und dass die nur halbwegs
interessierte Öffentlichkeit das kaum mitbekommt. Schon jetzt diskutieren
alle nur über billige Bahntickets, das Ende der EEG-Umlage oder eine
Million Ladesäulen für E-Autos. Das aber sind klimapolitische Peanuts.
Veranwortlichkeiten statt Ziele
Was also muss die Koalition am 20. September liefern, um den Triumph des
Murksismus zu verhindern?
Es braucht einen klaren und überprüfbaren Pfad, wie die CO2-Emissionen von
2020 bis 2030 sinken sollen: eine Zielvorgabe für jedes Jahr, die das
verbleibende Kohlenstoffbudget abbildet.
Zweitens müssen in der Bundesregierung die Verantwortlichkeiten
festgeschrieben werden, was die einzelnen Ressorts für diese Ziele zu tun
haben und wer die Strafzahlungen an die EU zu leisten hat, wenn das nicht
klappt. Die alte Maxime „Die Umweltministerin ist zuständig“ ist genau die
organisierte Verantwortungslosigkeit, die das Problem verursacht hat.
Diese beiden Ziele sind der Kern des „Klimaschutzgesetzes“, das
SPD-Umweltministerin Svenja Schulze vorgelegt hat. Wenn die SPD sie sich in
der Substanz abhandeln lässt, verdirbt sie sich ihre Ökobilanz.
Die Sozialdemokraten wiederum müssen akzeptieren, dass CO2 überall einen
Preis bekommt – ob als Steuer oder durch den Emissionshandel. Ein solches
Preissignal ist im real existierenden Kapitalismus der beste Weg, um
Ressourcenverbrauch zu steuern. Wie das Geld dann wiederum gerecht an die
Bevölkerung zurückgegeben wird, damit nicht die Armen überproportional die
Zeche zahlen, ist gute alte SPD-Übung.
Und schließlich: Wenn SPD-Finanzminister Olaf Scholz nun plötzlich sein
Herz für die Nachhaltigkeit entdeckt hat, sollte er zuallererst im eigenen
Haushalt aufräumen. Jedes Jahr mit 50 Milliarden Euro Steuergeld an
direkten und indirekten Subventionen die Zerstörung von Klima,
Artenvielfalt und Natur zu finanzieren, ist schlichter Irrsinn.
Ein solches Paket wäre der „große Wurf“, von dem die Koalition seit Monat…
redet. Am 20. September werden wir sehen, ob sie dazu den Willen und die
Kraft hat.
18 Sep 2019
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
IG
Schwerpunkt Klimawandel
Schwarz-rote Koalition
Bundesregierung
Weltklimaabkommen
Annalena Baerbock
Schwerpunkt Fridays For Future
Schwerpunkt Fridays For Future
Schwerpunkt Klimawandel
CSU
Bundeswehr
Landwirtschaft
Schwerpunkt Klimawandel
CO2-Emissionen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Billigflüge und Klimaschutz: Das 29-Euro-Paradoxon
Die Aufregung der CDU über das angebliche Billigflugverbot zeigt: Der
Paradigmenwechsel in der Klimapolitik ist noch nicht bei allen angekommen.
Anton Hofreiter über das Klimapaket: „Herausholen, was möglich ist“
Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter wirft der Bundesregierung
„Politikversagen“ vor. Und er kündigt Verhandlungen im Bundesrat an.
Eckart von Hirschhausen übers Klima: „Es braucht Protestler und Profis“
Er ist Gründer von „Doctors for Future“, Mediziner und Kabarettist. Eckart
von Hirschhausen erklärt, warum er den Klimawandel mitverbockt hat.
Greta Thunbergs Erfolg: Flugscham verwirrt die USA
Greta Thunberg wird den Amerikanern nicht das Fliegen austreiben. Aber die
Idee der Flugscham könnte zu anderen Veränderungen inspirieren.
CSU-Fraktionsklausur im Kloster Banz: In Aufbruchstimmung
Die größte Niederlage der CSU-Geschichte ist noch kein Jahr her, doch die
Partei fühlt sich wieder in Topform. Söder startet die nächste Offensive.
CO2-Ausstoß der Bundeswehr: Auf Kriegsfuß mit dem Klimaschutz
Die CO2-Emissionen der Bundeswehr im Inland sind in den letzten fünf Jahren
fast nicht gesunken. Das Verteidigungsministerium ist trotzdem zufrieden
Erwarteter Klimaplan der Bundesregierung: Tierzahl und Fleisch sind tabu
Der geplante Klimabeschluss wird in puncto Landwirtschaft wenig bringen.
Forscher sagen: Ohne die Tierzahlen zu reduzieren, geht es nicht.
Klimapaket der Bundesregierung: Groko streitet über Starterlaubnis
Die Koalition in Berlin ringt weiter um das Klimapaket. Kanzlerin Angela
Merkel wird ungeduldig und mahnt den Willen zu einem „wirklichen Kraftakt“
an.
Klimaschutz-Paket der Koalition: 40 Milliarden Euro fürs Klima?
Union und SPD sollen sich auf ein Maßnahmenpaket für den Klimaschutz
geeinigt haben. Bei der CO2-Bepreisung gibt es noch keine Einigung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.