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# taz.de -- Maßnahmen gegen die Klimakrise: Ein Flug alle drei Jahre
> Ab Montag berät der Weltklimarat IPCC über seinen nächsten Bericht. Zum
> ersten Mal wird jetzt auch über Verzicht für die Reichen debattiert.
Bild: Während Menschen in Industriestaaten seltener abheben sollen, dürfen Fl…
Die Maßnahmen für die Rettung des Weltklimas klingen drastisch: Bis 2050
sinkt der Autoverkehr in den Städten der Industrieländer um 81 Prozent; der
Wohnraum schrumpft pro Einwohner um 25 Prozent; die Zahl von elektrischen
Geräten wie Waschmaschinen wird halbiert; der Fleischkonsum geht schon bis
2030 um 60 Prozent zurück. Und in ein Flugzeug steigen die BürgerInnen
eines Industrielandes nur noch alle drei Jahre.
Dieses Verzichtsszenario ist der Kern einer umfassenden Studie, wie das
Ziel erreicht werden kann, die Erderwärmung bis 2100 unter 1,5 Grad zu
halten – und zwar nicht mit Wirtschaftswachstum und neuer Technik, sondern
durch Verhaltensänderungen und staatliche Ver- und Gebote. Errechnet wurde
das [1][„Societal Transformation Scenario“ (STS) vom Thinktank „Konzeptwe…
Neue Ökonomie“ im Auftrag der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung.] Es
liegt bisher nur auf Englisch vor und wurde im Dezember von der Stiftung
ohne großes Aufsehen online präsentiert.
Mit gutem Grund. Denn das 90-seitige Konzept stellt sich quer zu fast allen
anderen bislang debattierten Auswegen aus der Klimafalle. Über diese
Modelle berät die zuständige Arbeitsgruppe III des Weltklimarats IPCC
[2][ab Montag wieder, um den 6. Sachstandsbericht des Expertengremiums
vorzubereiten] (siehe Kasten). Es könnte im anstehenden Wahlkampf in
Deutschland und in der Klimadebatte für heftige Debatten sorgen.
Denn das „Szenario für einen Umbau der Gesellschaft“ fordert etwas ganz
anderes als bislang die meisten IPCC-Modelle, die auf mehr
Windkraftanlagen, E-Mobile, besser gedämmte Gebäude und den Aufbau einer
Wasserstoffwirtschaft setzen: Das neue Szenario lehnt ewiges
Wirtschaftswachstum ab. Es will weniger produzieren und konsumieren,
kürzere Arbeitszeiten, Entschleunigung, einen Umbau des Steuersystems. „Die
ökonomische Aktivität zu reduzieren, um die Nachfrage nach
energieintensiven Dienstleistungen und Produkten zu verringern, ist eine
effektive und viel sicherere Art, die Emissionen zu reduzieren, als viele
technologische Optionen“, heißt es in dem Papier.
Damit bürsten die AutorInnen die aktuellen ökonomischen Modelle für eine
klimaneutrale Wirtschaft gegen den Strich. Denn bisher kalkulieren die
allermeisten [3][„Integrated Assessement Models“ (IAM), mit denen das IPCC
arbeitet], ein regelmäßiges Wirtschaftswachstum ein. Umweltschäden in der
Zukunft werden demnach „diskontiert“, das bedeutet, mit künftigem Reichtum
aus dem Wachstum bezahlt.
Technologischer Fortschritt führt in dieser Sichtweise dazu, dass Wachstum
und CO2-Emissionen zu „entkoppeln“ sind – grünes Wachstum ohne Klimasch�…
also möglich ist. Hauptmotiv der IAMs ist demnach: der bestmögliche
Klimaschutz zum volkswirtschaftlich geringsten Preis – die ökonomisch
billigste Variante zur Rettung des Klimas.
Das wachstumkskritische „STS“-Szenario hält dagegen: Eine weltweite
Entkopplung von Wachstum und Emissionen erscheine nach bisherigen
Erfahrungen „unmöglich oder wenigstens sehr unwahrscheinlich“. Außerdem
stützten sich die IAMs, deren interne Algorithmen kaum nachvollziehbar
sind, auf Risikotechnologien wie Atomkraft oder die unterirdische
CO2-Speicherung (CCS). Die Studie nutzt daher ein weitaus simpleres
Rechenmodell, den „Global Calculator“, der weniger Details ausspucke, dafür
aber transparent arbeite.
Vor allem stellt das Böll-Szenario heraus, wie groß der Einfluss von
Politik und Konsumenten auf die Emissionen ist: Bisher werde „das Potenzial
von fundamentalen gesellschaftlichen Veränderungen vernachlässigt“. Das
„gute Leben für alle“ sei mit weniger Produktion und Konsum möglich. Daf�…
müssten aber vor allem die Industrieländer zurückstecken: Weil größtenteils
sie historisch mit ihren Emissionen das Klima verändert haben, bekommen
Schwellen- und Entwicklungsländer künftig mehr Verschmutzungsrechte.
Konkret: Während im Globalen Norden nach diesem Szenario das
Verkehrsaufkommen auf den Stand von 1990 sinken muss, steigt es im Süden
bis zu diesem Wert; der Wohnraum nähert sich dem Wert in den reichen
Ländern an, der Fleischkonsum, die Ausstattung mit Haushaltsgeräten und der
Kalorienverbrach bleiben gleich. Menschen aus dem Globalen Süden dürfen
alle zwei Jahre fliegen – auch weil die Gefahren des Klimawandels zu
erhöhter Mobilität führen könnten, heißt es. „Wir nehmen einen kulturell…
Wandel an, nach dem Fliegen wieder etwas Ungewöhnliches wird.“
Die Studie setzt ebenfalls auf technischen Fortschritt und gibt einzelne
Beispiele für ihre Annahmen, dass Menschen anders wohnen, reisen,
produzieren und essen können und wollen. Es gehe um einen grundsätzlichen
Umbau weg vom derzeitigen Kapitalismus: Statt auf „materielles Wohlergehen
mit Wachstum, Wettbewerb und Profiten“ müsse der Fokus darauf liegen,
„konkrete menschliche Bedürfnisse zu erfüllen und dem allgemeinen
Wohlergehen zu dienen, Kooperation, Sorge, Solidarität und Nachhaltigkeit
voranzubringen“. Das gehe aber nicht als Öko-Diktatur: „Dieser Umbau sollte
nicht erscheinen als das Resultat irgendeines Masterplans, der von oben
aufgesetzt wird, er wird von unten entwickelt.“
19 Apr 2021
## LINKS
[1] https://www.boell.de/de/2020/12/09/societal-transformation-scenario-staying…
[2] https://www.ipcc.ch/assessment-report/ar6/
[3] https://www.carbonbrief.org/qa-how-integrated-assessment-models-are-used-to…
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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