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# taz.de -- Konferenz zur Klimaneutralität: Indien geht auf Konfrontationskurs
> Die internationale Klimadiplomatie kommt immer wieder zu der Frage
> zurück, vor der sich vor allem die reichen Länder gern drücken: Was ist
> gerecht?
Bild: Sichtlich verstimmt: Indiens Energieminister Raj Kumar Singh bei der virt…
Berlin taz | Neutralität ist das Wort der Stunde in den internationalen
Debatten um Klimaschutz. Bis 2050 will zum Beispiel die Europäische Union
klimaneutral werden. Das heißt: höchstens noch in einem Tempo Treibhausgase
ausstoßen, dass Bäume, Moore und möglicherweise auch Technologien sie
vollständig wieder aus der Atmosphäre herausziehen.
Die USA wollen in dem Zeitraum CO2-neutral werden – gleiches Prinzip, aber
eben nur auf das Treibhausgas Kohlendioxid bezogen, nicht etwa auch schon
auf Methan und Lachgas. China will an diesen Punkt zehn Jahre später
kommen, also 2060.
Auf einer virtuellen [1][Konferenz] der Internationalen Energieagentur am
Mittwoch hat Indien diese Herangehensweise nun kritisiert: Zu vage findet
der indische Energieminister Raj Kumar Singh diese langfristigen Ziele, wie
er in einer Gesprächsrunde mit Vertreter:innen mehrerer Länder sagte.
„Wir hören von Ihnen, dass Ihre Länder 2050 oder 2060 klimaneutral werden
wollen – aber 2060 ist weit weg“, wandte er sich vor allem an den
US-Klimabeauftragten John Kerry, EU-Klimakommissar [2][Frans Timmermans]
und Chinas Energieminister Zhang Jianhua.
## Eine Frage der Fairness
„Was Sie in den nächsten fünf Jahren machen, das wollen wir wissen“, sagte
Singh ungewöhnlich scharf für einen informellen Gipfel, bei dem es mehr um
Austausch als um konkrete Verhandlungen geht.
Auch Wissenschaftler:innen mahnen an, dass bisher nicht plausibel ist,
wie die hehren Langfristziele erreicht werden sollen. „Wir sehen die
Emissionen noch bis nach 2030 steigen, was die Regierungen nicht auf den
richtigen Pfad für ihre ambitionierten Klimaneutralitätsversprechen
bringt“, sagte Bill Hare vom Thinktank Climate Analytics im Dezember bei
der Vorstellung [3][einer ensprechenden Analyse]. „Die kurzfristigen Ziele
sind nicht ein bisschen, sondern total auf Abwegen.“
Bei Singhs Aussagen schwingt auch mit, dass Indien selbst unter Druck steht
zu benennen, wann es die Emissionen netto auf null senken, also klima- oder
CO2-neutral werden will.
Zu Beginn der Konferenz rief Alok Sharma, den die britische Regierung zum
Präsidenten der nächsten Weltklimakonferenz in Glasgow ernannt hat, alle
Länder dazu auf, „sich der Netto-Null-Welt zu verpflichten“.
Singh argumentierte, dass eine solche Anforderung für Entwicklungsländer
unangemessen sei, weil sie zur Klimakrise weniger beitragen. An die
Vertreter:innen der reicheren Länder gewandt sagte er: „Sie haben
Länder, die den weltweiten Durchschnitt bei den Emissionen pro Person um
das vier-, fünf-, sechs- oder zwölffache übersteigen.“
Unter dem Kyoto-Protokoll, dem Vorgänger des aktuell gültigen Pariser
Weltklimaabkommens, gab es auch formell die Unterteilung in Industrie- und
Entwicklungsländer. Nur erstere waren zum Klimaschutz verpflichtet,
letztere lediglich dazu angehalten.
Die Begründung: Erstens haben reiche Länder im globalen Norden den
Klimawandel hauptsächlich verursacht und zweitens haben sie mehr Geld, um
Maßnahmen dagegen zu ergreifen.
Diese strikte Trennung haben die Staaten mit dem Paris-Abkommen
größtenteils aufgehoben – unter anderem, weil die Trennlinien bei den
Emissionen und den finanziellen Ressourcen in einigen Fällen verschwimmen.
China etwa ist längst der größte CO2-Emittent, wenn auch nur in absoluten
Zahlen, nicht pro Einwohner:in. Und Katar hat das zweitgrößte
Pro-Kopf-Einkommen auf der Welt. Trotzdem gelten beide als
Entwicklungsländer.
Kriterien dazu, welches Land wie viel zum internationalen Klimaschutz
beitragen muss, liefert das Paris-Abkommen nicht. Deshalb flammt der Streit
darüber immer wieder auf.
## Ein globales CO2-Budget fehlt
Er ist zuweilen diffus, weil sich die Staaten noch nicht einmal darauf
geeinigt haben, wo die 100-Prozent-Marke beim Klimaschutz liegt. Sprich:
Wie viel Risiko man in Kauf nehmen will, bei einem katastrophalen
Klimawandel über 1,5 Grad oder zwei Grad Erderhitzung zu landen – und wie
viel Treibhausgas entsprechend noch insgesamt in die Atmosphäre gelangen
darf.
Berechnungen für verschiedene Szenarien mit unterschiedlichem Risiko gibt
es zum Beispiel vom Weltklimarat IPCC, aber entscheiden muss sich die
Politik. Solange wird zwangsläufig darüber diskutiert, wie man ein Budget
aufteilt, das noch gar nicht bestimmt ist.
Bislang setzen die meisten Staaten statt auf mengenbasierte Ziele eben auf
Zeitmarken, zum Beispiel die Klimaneutralität in einem bestimmten Jahr.
„Wenn Sie bis dann noch wie jetzt weiter emittieren, überlebt das die Welt
nicht“, warf Singh seinen Gesprächspartner:innen vor.
Je nachdem, wie die Kurve der Emissionsreduktion bis zur Klimaneutralität
aussieht, kann das schließlich sehr unterschiedliche Mengen an Treibhausgas
bedeuten. Die Jahreszahl ist für sich genommen also nicht sehr
aussagekräftig.
In der Europäischen Union ist diese Diskussion angekommen. Dort verhandeln
das Parlament und der Rat der EU-Regierungen gerade über ein neues
Klimagesetz. Das soll die [4][Klimaneutralität im Jahr 2050 in die
Umsetzung bringen] – also genau von dem vagen Versprechen wegbringen, das
Singh kritisiert.
Das EU-Parlament drängt darauf, zumindest ab dem Zwischen-Klimaziel für
2040 einen Budget-Ansatz zu verfolgen. Der Ministerrat sperrt sich in der
Frage bisher.
1 Apr 2021
## LINKS
[1] https://www.iea.org/events/iea-cop26-net-zero-summit
[2] /Klimakommissar-ueber-EU-Gesetz/!5716003
[3] /Auswirkungen-der-Klimakrise/!5734762
[4] /EU-praesentiert-Klimagesetz/!5669526
## AUTOREN
Susanne Schwarz
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