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# taz.de -- Kampf gegen die Erderhitzung: Kalter Krieg oder Klimaschutz
> Nächste Woche will US-Präsident Biden sein Land als Ökogroßmacht
> präsentieren. Aber der Konflikt mit China gefährdet alles.
Bild: Maske gegen die Luftverschmutzung: Peking, Dezember 2019
Auf den ersten Blick erinnert die Situation an 2014: John Kerry fährt nach
China, um einen großen Klimadeal vorzubereiten. Vor sieben Jahren war Kerry
US-Außenminister und führte Geheimverhandlungen, die den Durchbruch für das
Pariser Weltklimaabkommen ein Jahr später möglich machten. Heute ist John
Kerry US-Klimabeauftragter und für drei Tage in Schanghai. Er muss für
seinen Präsident Joe Biden dessen großen „Leaders Summit on Climate“ am 2…
und 23. April vorbereiten. Ob er etwas erreicht, wird über den
prestigeträchtigen virtuellen Gipfel seines Chefs entscheiden – und über
die globale Klimapolitik des entscheidenden Jahres 2021.
Die Lage ist kompliziert. Die beiden Supermächte und größten
CO2-Verschmutzer sind auf Konfrontationskurs. Sie streiten um
Menschenrechte in Hongkong und Xinjiang, Gebietsansprüche im
Südchinesischen Meer und Handelsfragen. Erst im März wurde der neue Kalte
Krieg bei einem [1][frostigen Treffen von US-Außenminister Antony Blinken
mit chinesischen Spitzenpolitikern in Alaska deutlich.]
Bidens Gipfel, zu dem er die 40 wichtigsten Staatschefs der Welt geladen
hat, soll nun vieles auf einmal liefern: Das Signal, dass die USA beim
Klima wieder zurück sind; den Anspruch der Amerikaner auf Führung auch
gegenüber der EU und den Chinesen; die Rechtfertigung für Biden zu Hause,
dass sein 2-Billionen-Paket für den Green Deal richtig ist; den Anstoß zu
einem Jahr voller Ambitionen im internationalen Klimaschutz – und die
Hoffnung, dass die USA und China, die beiden „800-Pfund-Gorillas im
Klimazirkus“, wie ein US-Diplomat sagt, für die gemeinsame Bekämpfung der
Erderhitzung ihren Kalten Krieg nicht weiter eskalieren lassen.
„Dieser Gipfel ist ein Balanceakt, bei dem die US-Regierung alles richtig
machen muss, wenn sie Erfolg haben will“, sagt Susanne Dröge, Expertin für
internationale Klimapolitik bei der deutschen Stiftung Wissenschaft und
Politik. Die USA müssten führen – aber auch möglichst demütig daherkommen,
weil sie unter dem Klimaleugner-Präsidenten Donald Trump vier Jahre lang
Vertrauen zerstört haben.
Kerry bereitet dieses Image auf internationalen Bühnen seit Wochen vor.
„Wir sind stolz, wieder da zu sein“, sagte er auf dem virtuellen
Klimaanpassungsgipfel Ende Januar. „Wir kommen mit Bescheidenheit.“ Die
Nachricht: Wir sind entschlossen, mit China ideologisch, militärisch und
politisch die Konfrontation zu suchen, aber beim Klima zu kooperieren.
Bestes Beispiel: Während Kerry in Schanghai redet, besucht eine
US-Delegation demonstrativ Taiwan, das von China unter Druck gesetzt wird.
Man wolle mit China das Klimathema als „eigene Fahrspur auf dem Highway
offenhalten“, sagt der ehemalige US-Klimadiplomat Todd Stern in einem
Onlinebriefing, aber es werde „keinen Tauschhandel geben, nach dem Motto:
Ihr bewegt euch beim Klima, wir sind still in der Taiwan-Frage.“
Wie kein Präsident zuvor hat Joe Biden die Klimapolitik in das Zentrum
seiner Amtszeit gestellt. Wie versprochen führte er per Unterschrift am
ersten Tag seiner Amtszeit sein Land zurück ins Pariser Abkommen.
Rechtzeitig zum Gipfel werden die USA nun ihren lange erwarteten Klimaplan
für die UN-Verhandlungen vorlegen. Der Text ist noch geheim, aber der
Inhalt ziemlich klar: Eine Reduktion der Treibhausgase bis 2030 um etwa 50
Prozent gegenüber 2005, dann Bidens sonstige Versprechen: [2][100 Prozent
Ökostrom bis 2035, ein klimaneutrales Land bis 2050, Milliarden für
Forschung, den Ausbau von Ökoenergie und neue Stromtrassen, der Aufbau
einer E-Auto-Industrie und Ladestationen, gedämmte Häuser.] „Das alles
ist angelegt, um eine riesige Zahl von Jobs zu schaffen“, sagt Stern.
So will er die Menschen zu Hause überzeugen. Denn keines von Bidens
Klimazielen ist bisher als Gesetz verabschiedet oder mit Geld aus dem
Kongress ausgestattet. Er ist von allen Seiten unter Druck: Die
Republikaner und auch manche Demokraten im Kongress lehnen die Maßnahmen
ab. Dagegen fordert die [3][Jugendklimabewegung „Sunrise Movement“ ein
Investmentprogramm für den „Green New Deal“ von 8 und nicht nur 2
Milliarden Dollar.] Und 310 große Unternehmen und Investorengruppen
unterstützen Bidens Kurs in einem offenen Brief.
Bidens Gipfel soll auch signalisieren, dass er diese Stimmen hört. Die
Einladung versammelt die wichtigsten Player weltweit: Klimavorreiter wie
Großbritannien und die EU, Opfer wie die Marshallinseln, aber auch Bremser
wie Brasilien, Australien und Saudi-Arabien. Alle werden gebraucht, wenn
2021 erfolgreich werden soll – bei den Treffen der G7, der G20, dem
UN-Biodiversitätsgipfel und schließlich beim UN-Klimagipfel im schottischen
Glasgow im November.
Das Jahr hat allerdings nicht gut begonnen: Der chinesische Fünfjahresplan
machte keine Versprechen zu mehr Klimaschutz. Die Frühjahrstagung von
Weltbank und Internationalem Währungsfonds brachte keinen Durchbruch bei
der Finanzierung.
Immer noch überlagert die Coronapandemie die Klimakrise. Und anders als
gehofft nutzen die Regierungen die Wiederaufbauprogramme wenig, um ihre
Volkswirtschaften grüner und stabiler zu machen. Von den insgesamt etwa
14,6 Billionen Dollar an Wirtschaftshilfen in der Coronakrise fließen in
den 50 wirtschaftlich stärksten Ländern der Welt 2020 nur etwa 2,5 Prozent
in eine „grüne Erholung“. [4][Das ist das Fazit des „Economy Recovery
Projects“ der britischen Oxford-Universität und des UN-Umweltpogramms
Unep.]
Insgesamt zeigt sich eine Tendenz, die die Fachleute beunruhigt.
Langfristig versprechen bislang über 127 Staaten, bis 2050 „klimaneutral“
zu sein – den kurzfristigen Weg dahin lassen die meisten aber offen.
Vorreiter ist hier die EU, die mit ihrem verschärften Klimaziel und dem
„Green Deal“ einen Fahrplan festlegen will, aber bis zum Biden-Gipfel auch
noch um ihr „Klimagesetz“ ringt.
## Unmut über fehlende Kurzzeitpläne
Lösen die Staaten diese Versprechen für Klimaneutralität, also
Null-Emissionen bis 2050 ein, würde das die Erderhitzung bis 2100 auf 2,1
Grad reduzieren, hat eine Studie der [5][Thinktanks Climate Analytics und
New Climate Institute ergeben.] Das wäre nahe an der magischen Grenze von
„deutlich unter 2 Grad“ aus dem Pariser Abkommen. Wahrscheinlich hätte das
immer noch deutlich schlimmere Folgen für Natur und Menschen als die
angepeilten 1,5 Grad, wie der Weltklimarat IPCC dargelegt hat. Aber
verglichen mit den Zielen der Länder, die 2015 in Paris auf dem Tisch
lagen, wäre es ein großer Fortschritt – damals ging man von 2,7 bis 3,7
Grad Erderhitzung aus.
Deshalb hat das Abkommen festgelegt, dass die knapp 200
Unterzeichnerstaaten alle fünf Jahre neue – und verbesserte – Ziele,
„Nationally Determined Contributions“ (NDC), vorlegen müssen. Bislang
nehmen die Staaten das aber kaum ernst. Zur ursprünglichen Frist im Februar
2020 hatten nur vier Staaten überhaupt ein neues NDC parat, Ende 2020 waren
es gerade mal 75. Und diese Pläne (die allerdings von Schwergewichten wie
China, Japan und USA noch nicht vorliegen) [6][würden nach UN-Schätzungen
die Emissionen bis 2030 gegenüber 2010 nur um ein halbes Prozent senken –
dabei müssten sie für die Paris-Ziele um 45 Prozent fallen.]
Die UN-Klimachefin Patricia Espinosa äußerte sich entsprechend enttäuscht.
„Im Moment ist es so, als würden wir ein Minenfeld mit verbundenen Augen
betreten“, sagte sie bei der Vorstellung der Zahlen im Februar. „Wir
brauchen jetzt konkrete Pläne, um so schnell wie möglich aus der fossilen
Energiegewinnung auszusteigen.“ UN-Generalsekretär António Guterres
sprach von der „Alarmstufe Rot für den Planeten“.
Der Unmut über fehlende Kurzzeitpläne brach Ende April beim indischen
Energieminister Raj Kumar Singh auf einer virtuellen Konferenz durch. „Wir
hören von Ihnen, dass Ihre Länder 2050 oder 2060 klimaneutral werden wollen
– aber 2060 ist weit weg“, wandte er sich vor allem an John Kerry,
EU-Klimakommissar Frans Timmermans und Chinas Energieminister Zhang
Jianhua. „Was Sie in den nächsten fünf Jahren machen, das wollen wir
wissen!“
Zumindest hat der Biden-Gipfel das Thema wieder hoch auf die Agenda
gesetzt. Am Freitagvormittag schalteten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel,
der französische Präsident Emmanuel Macron und der chinesische Staatschef
Xi Jinping virtuell zusammen. Merkel und Macron begrüßten nach offiziellen
Angaben noch einmal Chinas Ziel für 2060 – und „unterstützten den Ansatz
Chinas, auch kurzfristige Einsparziele anzupassen“.
## USA als „Saboteur der Klimathemen“
Inoffiziell machen die Europäer aber auch klar, was sie von China erwarten:
Die CO2-Emissionen sollen dort spätestens 2025 sinken, neue Kohlekraftwerke
dürfe es nicht geben, und China müsse aufhören, im Ausland Kohle zu
finanzieren.
China selbst zeigt sich sehr selbstbewusst und erklärte zu Kerrys Besuch in
der Parteizeitung Global Times, man habe Washington einen „Olivenzweig“
geschickt, sei aber kein bloßer „Besucher“ des Gipfels, sondern agiere auf
Augenhöhe. Immerhin habe China die „Verantwortung für das globale
Klima-Regime geschultert“, während die USA unter Trump zum „Saboteur der
Klimathemen“ geworden sei.
Das ist ein Vorwurf, den die Demokraten rund um Biden durchaus ernst
nehmen. Wie soll die Welt den USA trauen, wenn ein nächster
republikanischer Präsident die Ampeln beim Klimaschutz wieder auf Rot
stellt, so wie es George W. Bush mit dem Kioto-Protokoll und Donald Trump
mit Paris getan haben? „Ich hoffe darauf, dass in vier Jahren viele
Windkraftanlagen gebaut und Stromtrassen gelegt sind“, sagt dazu Todd
Stern. Dahinter könnten dann auch die Republikaner schwer zurück.
Die eigenen Versprechen holen aber auch China ein. Wenn das Land wie
angekündigt bis 2060 CO2-neutral sein will, müsse es in den nächsten
[7][zehn Jahren etwa 600 Kohlekraftwerke stilllegen, heißt es in einer
Studie des britischen Thinktanks „TransitionZero“. Das würde dem Land 1,6
Billionen Dollar Kosten ersparen], heißt es, weil Erneuerbare günstiger
sind. Es hieße aber eben auch, mit allen Problemen für Jobs und
Energiesicherheit in nur einem Jahrzehnt 364 Gigawatt an Kohleleistung
stillzulegen. Zum Vergleich: Alle deutschen Kohlekraftwerke zusammen haben
eine Leistung von etwa 45 Gigawatt.
17 Apr 2021
## LINKS
[1] https://www.bbc.com/news/world-us-canada-56452471
[2] /Bidens-Billionen-Programm/!5759014
[3] https://www.sunrisemovement.org/movement-updates/american-job-plan/
[4] https://recovery.smithschool.ox.ac.uk/
[5] https://climateactiontracker.org/press/global-update-paris-agreement-turnin…
[6] /UN-Zwischenbericht-zum-Paris-Abkommen/!5752250
[7] https://www.transitionzero.org/insights/turning-the-supertanker
## AUTOREN
Bernhard Pötter
Susanne Schwarz
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