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# taz.de -- Antirassistische Linke und China: Bunter Westzentrismus
> China und wir: Es mangelt der antirassistischen Linken an Fantasie und
> Wissen, um die Veränderung der Weltordnung zu begreifen.
Bild: Die USA haben sich schon längst umorientiert: Biden als Obamas Vize und …
Gerade verändert sich vor unseren Augen die Weltordnung. [1][Das asiatische
Jahrhundert] ist kein abstrakter Begriff mehr. Es springt uns aus den
täglichen Nachrichten entgegen, als Machtkampf zwischen den USA und China.
Manchmal fallen Erkenntnisse so plötzlich aus, als sei ein Schleier zur
Seite gerissen worden. Zur schlechten Sicht hatte Donald Trump beigetragen.
Seine antichinesischen Tiraden wirkten zu plump, um ernst zu sein. Eine
Täuschung. Tatsächlich hatte bereits [2][Obama die Orientierung auf den
Hauptfeind China begonnen], und Joe Biden zeichnet sie nun scharf in die
dünner werdende Luft.
Kein Zufall, wenn sich gleichzeitig in deutschen Medien unumwunden
antichinesische Töne mehren – und damit meine ich natürlich nicht
begründete Urteile zu Menschenrechten oder Klimapolitik, sondern
Kalte-Kriegs-Sätze wie „Peking will einen Keil zwischen EU und Amerika
treiben“ oder die anschwellende Rede von der europäisch-chinesischen
Systemkonkurrenz.
Ist China also nun „der Andere“ im Welttheater, gegen den wir Eingesessenen
zusammenstehen? Oder wo findet sich von linker, fortschrittlicher Seite
eine kluge Widerrede?
## Geistige Unterversorgung
Die Leerstelle China ist zunächst ein Symptom für eine allgemeinere
geistige Unterversorgung. Eine Abstinenz in außenpolitischen,
internationalen Fragen kennzeichnet weite Teile jener Milieus, die sonst am
engagiertesten für gesellschaftliche Veränderungen eintreten.
Um nicht ungerecht zu sein: Es finden sich gewiss kundige Stimmen zu allem
Möglichen hier und da. Aber ob zu Syrien oder zum Sahel – es mangelt an
linken Perspektiven, die der Komplexität internationalen Geschehens gerecht
werden. Auch Joe Bidens Amtsantritt wurde weithin nur an Fragen
inneramerikanischer Demokratie erörtert.
Vor allem aber fehlt es offenkundig an der kollektiven Fantasie, am
Vermögen, sich eine andere Ordnung der Welt vorzustellen. Im Kleinen spüre
ich das, wenn es mir bei Diskussionen über mein Buch „Der lange Abschied
von der weißen Dominanz“ wieder einmal misslingt, das Gespräch auf den
globalen Statusverlust von Euro-Amerika zu lenken.
## Der Niedergang weißer, westlicher Macht
Stets ist das Bedürfnis größer, über die einheimische Machtverteilung zu
sprechen. Beim Aufdecken weißer Privilegien wird oft übersehen, dass weiße,
westliche Macht global im Niedergang begriffen ist (und sich gerade daraus
militante White Supremacy speist).
In der berühmten Tischmetapher geht es darum, dass alle am Tisch der
Einwanderungsgesellschaft eine Stimme haben. Aber in welchem Umfeld steht
dieser Tisch? Und wie wichtig ist das, was dort in größerer Diversität
gesprochen wird, für alle anderen Tische?
Die antirassistischen Impulse, die in Deutschland so verspätet angekommen
sind, haben vieles aus den USA übernommen. Und das hat einen Preis. Unter
der Hand ist eine neue Westborniertheit entstanden, dessen sich die
Beteiligten selbst kaum bewusst sind: etwa wenn ein Buch mit dem Titel
„Schwarzer Feminismus“ nur afroamerikanische Stimmen enthält und keine
einzige aus dem Globalen Süden.
## Der Westzentrismus der Antirassisten
Die Zentren der Weltbeherrschung bewegen sich weg von Europa und den USA –
und ein Antirassismus, der darauf keinen Bezug nimmt, läuft Gefahr, bloß
ein bunter Eurozentrismus oder Westzentrismus zu sein. Und damit geht noch
etwas anderes einher – nämlich zu überschätzen, für wie wichtig die
restliche Weltbevölkerung den antirassistischen Kampf in Europa oder den
USA findet. Nachdem die hochfahrende Annahme, was bei uns geschehe, sei von
universeller Bedeutung, eben erst des Saales verwiesen wurde, tritt sie mit
einem antirassistischen Hütchen durch die Hintertür wieder herein.
So groß das Interesse am Kolonialismus heute ist: Anders als vor einigen
Jahrzehnten schlägt die Frage, warum die Welteroberung eigentlich von
Europa ausging, keine intellektuellen Funken mehr – als würde der Beginn
des asiatischen Zeitalters sie nicht dramatisch aktualisieren!
Schließlich war [3][China Europa zu Beginn des 15. Jahrhunderts in vieler
Hinsicht überlegen,] auch in der Hochsee-Schifffahrt, und unternahm
spektakuläre Expeditionen. Der Verzicht auf überseeische Eroberungen
überließ den europäischen Mächten dann den Raum für Expansion,
Unterwerfung, Missionierung.
## Was ist Zentrum, was Peripherie?
Was heute geschieht, lässt sich als Korrektur einer großen Verzerrung
deuten. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts machten Indien und China zwei
Drittel der Weltwirtschaft aus. Asien ist nun dabei, seine einstige
Vorherrschaft zurückzugewinnen. Die Welt erlebt gewissermaßen eine Rückkehr
zu jener Balance, die vor dem Aufstieg des Westens herrschte. Mit
atemberaubender Geschwindigkeit wird künftig neu bestimmt, was die Begriffe
Zentrum und Peripherie bedeuten. Sind wir auf der Höhe der Zeit, um das zu
begreifen?
Für manche Abonnenten des Manufactum-Katalogs mag China immer noch das Land
der Billigkopien sein. Doch die aggressive US-Politik wendet sich längst
gegen einen Hochtechnologie-Rivalen. Die chinesische Marine ist bereits
größer als jene der USA. China strebt nach Einfluss im Nahen Osten, im
israelisch-palästinensischen Konflikt, in Afghanistan, als Partner Irans.
Und es gehen bereits mehr englischsprechende Studenten Afrikas nach China
als nach Großbritannien und in die USA.
Es ist Zeit, sich Kenntnisse zuzulegen. Denn auch für jene, die sich bei
uns als Opponenten weißer Dominanz verstehen, mag eine Feststellung des
marxistischen Chinabeobachters Martin Jacques gelten: „Der Westen hält sich
für kosmopolitisch, aber er war 200 Jahre lang so dominant, dass er andere
Kulturen gar nicht zu verstehen brauchte, denn er konnte sich letztendlich
immer mit Gewalt durchsetzen.“ Darum wisse China heute über den Westen so
viel mehr als der Westen über China.
22 Apr 2021
## LINKS
[1] https://www.swp-berlin.org/publikation/das-jahrhundert-asiens/
[2] /Kommentar-Obamas-Asien-Politik/!5304722
[3] https://www.herder.de/geschichte-politik/neuzeit/asien-bis-1900/
## AUTOREN
Charlotte Wiedemann
## TAGS
China
Antirassismus
USA
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China
Türkei
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