# taz.de -- Deutsche Unternehmen in China: Das moralische Preisschild | |
> Wirtschaftsvertreter aus Deutschland machen in Peking gute Miene zum | |
> bösen Spiel. Und verdienen dabei weiterhin prächtig. | |
Bild: Automesse in Shanghai: Wer ist China Geschäfte machen will, sollte zu Me… | |
PEKING taz | In einer Nacht-und-Nebel-Aktion haben die Chinesen dann doch | |
noch eine analoge Konferenz organisiert: In das Pekinger Guobin-Hotel, | |
[1][nur einen Steinwurf vom Tiananmenplatz entfernt,] lud die „staatliche | |
Kommission für Entwicklung und Reform“ Wirtschaftsvertreter aus Deutschland | |
und China ein, um am Rande der virtuellen Regierungskonsultationen über | |
„wirtschaftliche und technologische Zusammenarbeit“ zu sprechen. | |
Die Veranstaltung fiel ganz nach dem Geschmack der chinesischen | |
Staatsführung aus, die in der Beziehung der beiden Länder zunehmend den Ton | |
vorgibt: Im gediegenen Grand Ballroom schwangen Anzugträger zwischen | |
goldenen Kronleuchtern und federweichem Teppichböden bedeutungsschwangere | |
Reden, die sich an Inhaltsleere immer weiter überboten. | |
Fragen von Journalisten waren nicht vorgesehen, nur auf massiven Druck der | |
deutschen Botschaft hin durften einige Korrespondenten in der zweiten Reihe | |
zuschauen. Doch vielleicht spiegelt ja gerade dies die deutsch-chinesischen | |
Beziehungen wider: Solange die Euros und Renminbi rollen, müssen | |
Wertevorstellungen hintanstehen. | |
## Konventionen gegen Zwangsarbeit noch nicht unterzeichnet | |
Das chinesische Wachstum sei längst ein „Anker“ für die deutsche | |
Wirtschaft, sagt Gabriel Felbermayr, [2][Leiter des Kieler Instituts für | |
Weltwirtschaft.] „Allein die Entwicklung des Güterhandels zwischen China | |
und Deutschland ist eine spektakuläre Erfolgsgeschichte. Anders kann man es | |
nicht bezeichnen.“ Tatsächlich ist allein die Dimension des Warenverkehrs | |
phänomenal. 5,4 Millionen Autos haben deutsche Firmen nach China verkauft, | |
116.000 Tonnen Schweinefleisch in die Volksrepublik exportiert. | |
Doch auch die Liste der Konflikte wird immer größer: Kommenden Monat wird | |
etwa der Menschenrechtsausschuss im Bundestag darüber debattieren, ob die | |
Masseninternierung der muslimischen Minderheit in Xinjiang als Völkermord | |
einzustufen ist. Zudem pochen immer mehr Abgeordnete darauf, [3][das | |
ausgearbeitete Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und | |
China bis auf Weiteres nicht zu ratifizieren.] | |
Marco Wanderwitz, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, mahnte | |
beim Pekinger Wirtschaftsforum, dass Chinas Regierung zunächst „rasch und | |
vollständig“ die internationalen Konventionen gegen Zwangsarbeit | |
unterzeichnen solle. | |
[4][Boykottaufrufe des chinesischen Staates haben zuletzt die | |
Modehersteller Adidas und H & M getroffen], weil diese wegen der | |
Menschenrechtsverletzungen keine Baumwolle mehr aus Xinjiang beziehen | |
wollten. | |
„All das sollte natürlich allen Firmen Sorge bereiten, die international | |
tätig sind. Bislang gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass auch wir | |
getroffen werden“, sagt Stephan Wöllenstein, der die Chinageschäfte für | |
Volkswagen leitet und auch eine Fabrik in Xinjiang betreibt. | |
## Für deutsche Firmen zählen praktische Fragen | |
Geschäftemachen ist in China stets mit einem moralischen Preisschild | |
versehen. Bislang üben sich deutsche Unternehmensvertreter jedoch in der | |
Vogel-Strauß-Taktik: Die Probleme werden ignoriert, bis es nicht mehr | |
anders geht. Zuletzt zeigte sich dies bei der Automesse in Shanghai, bei | |
der die Firmenvorstände von Volkswagen, Daimler und BMW regelrechte | |
Lobeshymnen auf die chinesische Regierung anstimmten. | |
Für deutsche Firmen stehen derzeit praktische Fragen im Vordergrund. Sie | |
erhoffen sich laut einer Umfrage der Handelskammer in Peking mit deutlicher | |
Mehrheit, dass die Regierungskonsultationen eine Erleichterung der | |
Reisebeschränkungen mit sich bringen. Wegen de facto geschlossener Grenzen | |
und Hotelquarantäne ist der Personenverkehr auf einem historischen Tief | |
angelangt. Dies führt dazu, dass Investitionen nicht getätigt, Posten nicht | |
nachbesetzt und Maschinen nicht gewartet werden. | |
Das für heimische Unternehmen viel größere Problem wird jedoch auch nach | |
der Coronapandemie nicht verschwinden. Derzeit vollziehen Chinas | |
Wirtschaftsplaner einen Paradigmenwechsel, bei dem ausländische Unternehmen | |
immer unwichtiger werden sollen: Der Fokus liegt ganz klar auf dem | |
heimischen Binnenmarkt und auf technologischer Autarkie, Außenhandel und | |
Außenhandelsinvestitionen werden dem untergeordnet. Der Goldgräberstimmung | |
könnte bald ein ernüchternder Kater folgen. | |
28 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Tiananmen-Gedenken-verboten/!5686153 | |
[2] https://www.ifw-kiel.de/de/ | |
[3] /Investitionsabkommen-zwischen-EU-und-China/!5737102 | |
[4] /Chinas-Zorn-trifft-HM/!5757325 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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