| # taz.de -- 20 Jahre internationaler Klimaschutz: Uneingelöste Verpflichtung | |
| > Vor 20 Jahren trat das Kioto-Protokoll in Kraft. Damit bekannten sich die | |
| > Industriestaaten gegenüber dem Globalen Süden zur Schuld an der | |
| > Klimakrise. | |
| Bild: Die Versprechen des Kiotoer Klimaprotokolls sind heute nur noch Schall un… | |
| Es ist das wichtigste, aber auch ambivalenteste Abkommen für den | |
| internationalen Klimaschutz: Vor 20 Jahren, am 16. Februar 2005, trat | |
| das [1][Kioto-Protokoll] in Kraft. Damit gestanden die Industrieländer | |
| gegenüber dem Globalen Süden erstmals ihre Schuld am Klimaproblem ein. Sie | |
| verpflichteten sich völkerrechtlich bindend, ihre Emissionen bis 2012 um | |
| 5,2 Prozent zu senken: Experten sahen einen „Gamechancer“ für erneuerbare | |
| Energien, schließlich ließen sich im Stromsektor am einfachsten Emissionen | |
| mindern. | |
| Dabei war der Weg zum Kioto-Protokoll unglaublich zäh. Er startete auf der | |
| COP3, der dritten „Conference of the Parties“ der 1992 beschlossenen | |
| Klimarahmenkonvention. 1997 kamen in der japanischen Kaiserstadt Kioto | |
| 2.273 Diplomaten, 3.712 akkreditierte Journalisten und 3.865 Beobachter aus | |
| der Zivilgesellschaft zusammen. | |
| Vor allem die USA zögerten mit ihrer Zusage, der damalige Vizepräsident Al | |
| Gore erstritt weitreichende Zugeständnisse für sein Land, dem damals | |
| größten Emittenten: Mit Instrumenten wie dem „Clean Development Mechanism“ | |
| oder der Gemeinschaftsaufgabe „Joint Implementation“ sollte die | |
| Marktwirtschaft den Klimaschutz übernehmen. Viele Staaten des Globalen | |
| Südens werteten das als nicht akzeptable Aufweichung des Protokollentwurfs. | |
| Dazu kam, dass die Länder der EU bereit waren, ihre Emissionen um 8 Prozent | |
| zu reduzieren, die USA aber nur um 7, Japan sogar nur um 6 Prozent. Die | |
| Konferenzpräsidenten Raul Estrada und Hiroshi Ohki ließen kurz vor dem | |
| Scheitern der COP3 die Verhandlungen anhalten und die Streithähne so lange | |
| aufeinander los, bis sie vor Erschöpfung umgefallen waren oder dem | |
| Kioto-Protokoll zugestimmt hatten. | |
| Damit war aber erst die halbe Wegstrecke geschafft. Nach den Regeln des | |
| Vertrages mussten mindestens 55 Staaten den Kioto-Vertrag ratifizieren, | |
| also durch ein Gesetz in nationales Recht umsetzen. Diese Staaten mussten | |
| zudem nach Artikel 25 für mindestens 55 Prozent der weltweit produzierten | |
| Treibhausgase verantwortlich sein. | |
| Berechnungsgrundlage ist das Jahr 1990: Die [2][USA und Australien waren | |
| damals zusammen für 34 Prozent] der Emissionen verantwortlich. Trotz den | |
| Zugeständnissen konnten Al Gore und sein Präsident Bill Clinton den | |
| Kongress nicht überzeugen. Dass Al Gore 2007 trotzdem mit dem | |
| Friedensnobelpreis geehrt wurde, machte viele Klimadiplomaten wütend. Zudem | |
| kippte die Stimmung in den USA 2001. George W. Bush kam an die Macht, der | |
| den Klimawandel leugnete und den Kioto-Vertrag kündigte. | |
| ## Schröder: „Putin ist ein lupenreiner Demokrat“ | |
| Auch Australien stieg aus. Russland blieb die letzte Option: 1990 kamen von | |
| dort 17,4 Prozent der weltweiten Emissionen. Ohne eine Ratifizierung würde | |
| das Protokoll nie die notwendigen 55 Prozent schaffen. Eine internationale | |
| Charmeoffensive begann. Wie wäre es mit dem Beitritt Russlands zur | |
| Welthandelsorganisation WTO? Wie wäre es, das Kooperationsabkommen zwischen | |
| der EU und Russland auszuweiten? [3][Mehr Erdgas] abzukaufen? Aus dieser | |
| Zeit stammt auch die Einschätzung des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder | |
| (SPD): „Putin ist ein lupenreiner Demokrat.“ | |
| Ende 2004 gab die russische Duma ihre Blockade auf und Putin unterschrieb | |
| das nationale Beitrittsgesetz. Allerdings war damit der Vertrag noch nicht | |
| rechtskräftig. Artikel 25 des Kioto-Protokolls besagt, dass Betroffene 90 | |
| Tage nach Hinterlegung der entscheidenden Unterschrift bei der UNO | |
| Einspruch einlegen können. Überraschenderweise blieb der aus. [4][„Der 90. | |
| Tag bricht an“], lautete die taz-Überschrift am 16. Februar 2005. | |
| Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung zu globalen | |
| Umweltveränderungen wertete das Inkrafttreten damals als historischen | |
| Wendepunkt. Aber wie Wissenschaftler weltweit hielt auch das | |
| Expertengremium die festgeschriebenen Reduktionsziele von 5,2 Prozent für | |
| viel zu gering. Bis 2020 müssten die Industrieländer ihre Emissionen um | |
| mindestens 20 Prozent gegenüber 1990 mindern. Die EU, im Kioto-Protokoll | |
| aus 15 Staaten und der Schweiz bestehend, schafften ihr Ziel: 2012 lag ihr | |
| Ausstoß statt 8 Prozent 11,7 Prozent unter dem Niveau von 1990. | |
| ## 90 Tage Einspruchsfrist | |
| Ein zentrales Signal an die Produzenten sauberer Energietechnologie: | |
| Deutschland, Spanien, Dänemark waren damals die wichtigsten Absatzmärkte | |
| [5][für Windräder und Solarpaneele] – und Weltmarktführer bei der | |
| Produktion. Schwellenländer wie China, Mexiko, Indonesien, Brasilien, | |
| Indien hingegen sollten sich „entwickeln“ dürfen, sie steigerten ihre | |
| Treibhausgasproduktion derartig, dass der globale Ausstoß 2010 um 29 | |
| Prozent über 1990 lag. Heute sind es mehr als 60 Prozent. Die USA legten um | |
| 16,8 Prozent zu, während die Ukraine um mehr als 57 Prozent einsparte. | |
| Auf der Klimakonferenz COP18 in Doha 2012 beschlossen die Vertragsstaaten | |
| eine zweite Verpflichtungsperiode bis 2020. Diesmal kam das Quorum von 55 | |
| Staaten mit 55 Prozent der weltweiten Emissionen erst im Herbst 2020 mit | |
| der Unterschrift Nigerias zustande. Erneut gab es 90 Tage Einspruchsfrist, | |
| weshalb „Kioto II“ nur wenige Stunden galt – und zum Treppenwitz der | |
| Klimadiplomatie wurde. Wie der nationale Ausstoß vergleichbar gemessen | |
| wird, welche Treibhausgase wie in die Bilanz eingehen, wie mit Senken von | |
| Kohlendioxid umzugehen ist: Vieles im heutigen internationalen Klimaschutz | |
| geht auf das Kioto-Protokoll zurück. | |
| Zudem wurde das erste Mal eine internationale Umweltsteuer erhoben: Gelder | |
| aus dem „Clean Development Mechanism“ flossen in den „Fonds zur Anpassung… | |
| an den Klimawandel. Auch das Paris-Protokoll von 2015 konnte auf den | |
| juristischen Erfolg des Kioto-Vertrags aufbauen. Für den Klimaschutz war | |
| er dagegen viel zu wenig ambitioniert. | |
| Dem seit zehn Jahren gültigen Paris-Vertrag ist das noch sehr viel mehr | |
| vorzuwerfen: Die Klimaziele der Vertragsstaaten bringen die Welt [6][auf | |
| 2,7 Grad] bis Ende des Jahrhunderts. Und anders als im Kioto-Protokoll sind | |
| diese Ziele nicht juristisch bindend. Sondern freiwillig. | |
| 16 Feb 2025 | |
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