# taz.de -- Enthüllungsbuch „Nord Stream“: Wie Deutschland den russischen … | |
> Geheime Dokumente zeigen die korrupten Umstände, unter denen Nord Stream | |
> 1 und 2 gebaut wurden. Über 104 Milliarden Euro flossen seit 2014 für Gas | |
> nach Russland. | |
Bild: Russlands Präsident Putin und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröd… | |
Ehe der Kreml am 24. Februar 2022 seine vollumfängliche Invasion in die | |
Ukraine begann, sicherte er sich mit Hilfe der vier Nord-Stream-Pipelines | |
die Unterstützung der deutschen Politik und Öffentlichkeit. | |
Obwohl Russland bereits seit 2014 einen Teil der Ukraine besetzt hielt und | |
diese, aber auch Polen und die USA Deutschland vor der Möglichkeit eines | |
großen Kriegs warnten, obwohl Nord Stream 2 außerdem gegen geltendes | |
EU-Recht verstieß, [1][ließ man sich von Ex-Stasi-Mitarbeitern bezirzen, | |
steckte sich die schmutzigen Rubel in die Tasche und machte sich wider jede | |
Vernunft von russischem Gas abhängig]. | |
So lassen sich die 400 erschütternden Seiten von Steffen Dobberts und | |
Ulrich Thieles Buch „Nord Stream. Wie Deutschland Putins Krieg bezahlt“ | |
zusammenfassen. Darin protokollieren sie im Detail, wie es zu dieser | |
Abhängigkeit kommen konnte. Manches ist schon bekannt, vieles neu. Die | |
Journalisten geben an, zehntausende geheime Dokumente durchforstet und mehr | |
als einhundert vertrauliche Gespräche mit Insider-Quellen geführt zu haben. | |
## Orangene Revolution bis Sprengung der Pipelines | |
Verdienstvoll ist, dass sie es schafften, ihre Rechercheergebnisse in so | |
spannender Form zu Papier zu bringen. Dazu trägt maßgeblich die szenische | |
Erzählweise bei, die beim Lesen am Geschehen teilhaben lässt. Das Buch | |
beginnt im Jahr 2004, mit der Orangenen Revolution vier Jahre nach Wladimir | |
Putins Amtsantritt, und arbeitet sich nach einem Zeitsprung ins Jahr 2013, | |
als die Idee für Nord Stream 2 in Deutschland zirkulierte, chronologisch | |
bis zu den Sprengungen an den Pipelines vor. | |
Einer der Protagonisten ist Altkanzler Gerhard Schröder, bekanntlich ein | |
guter Freund Wladimir Putins. Nur wenige Wochen liegen zwischen der | |
Niederlegung seines Bundestagsmandats im November 2005 und seiner | |
Nominierung als Aufsichtsratsvorsitzender der Gazprom-Tochter Nord Stream | |
AG. | |
Dort bekam er eine Jahresgage von satten 250.000 Euro, erhielt als | |
Altkanzler zugleich immer noch Ruhegehalt vom deutschen Staat und bis 2022 | |
auch ein eigenes Büro. Der rasante Wechsel von der deutschen Politik zu | |
einem Posten als Lobbyist für ein russisches Staatsunternehmen wirkte | |
hochgradig korrupt und wurde kritisiert, doch lag er damals, anders als | |
heute, im Rahmen der Legalität. | |
Unter Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt man an dem von ihrem Vorgänger | |
wiederbelebten Konzept „Wandel durch Annäherung“, das einst Willy Brandts | |
Staatssekretär Egon Bahr in Bezug auf die Ostpolitik der Bundesrepublik | |
geprägt hatte, fest – und vergaß wohl, dass das auch damals nicht mehr | |
Demokratie im Ostblock gebracht hatte. | |
## „Annäherung durch Verflechtung“ | |
Der jetzige Bundespräsident und zweimalige Außenminister unter Merkel, | |
Frank-Walter Steinmeier, ein enger Vertrauter Schröders, wärmte das | |
Brandt’sche Prinzip als „Annäherung durch Verflechtung“ in Bezug auf den | |
Umgang mit Russland wieder auf. | |
In Mecklenburg-Vorpommern hat man dieses Konzept wahrlich verinnerlicht, | |
was sich als fatal erwies. Dort rief Ministerpräsidentin Manuela Schwesig | |
eine dubiose „Umweltstiftung“ ins Leben, die den eigentlichen Zweck hatte, | |
US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 zu umgehen und die Pipelines | |
fertigzustellen. | |
Zu den vielen schockierenden Rechercheergebnissen von Dobbert und Thiele | |
gehört, dass das Bergamt Mecklenburg-Vorpommern während des | |
Genehmigungsverfahrens für Nord Stream 2 auf Druck der Nord Stream AG hin | |
sogar geheime Sicherheitsdaten der Bundeswehr und der Nato an die Nord | |
Stream AG und damit an Russland, weitergegeben haben soll. | |
Mehr als 104 Milliarden Euro überwiesen deutsche Unternehmen allein für | |
Erdgas seit 2014 nach Russland – hinzu kommen hohe Summen für Öl und Kohle. | |
Diese Gas-„Verflechtung“ ermöglichte Russlands Aggression gegen die | |
Ukraine. Dabei hatte man im Bundeskanzleramt von Angela Merkel wohl schon | |
2018 mit einer Ausweitung des Krieges gerechnet, berichten Dobbert und | |
Thiele. | |
## Schon 2018 Warnung vor russischer Invasion | |
Eine Delegation des ukrainischen Konzerns Naftogaz hatte dort 2018 einen | |
Termin, um im Zusammenhang mit Nord Stream 2 vor einer möglichen | |
Großinvasion Russlands und einem gewaltigen Flüchtlingsstrom nach | |
Deutschland zu warnen. | |
Die Antwort der Mitarbeiter des Bundeskanzleramts schockierte die | |
Delegation – man wisse über dieses Szenario Bescheid, sei aber bislang von | |
geringeren Flüchtlingszahlen ausgegangen. Offenbar war Nord Stream 2 für | |
das Bundeskanzleramt ein solches Risiko wert. Merkel lehnte es ab, für die | |
Recherche mit den beiden Journalisten zu sprechen. | |
Die drängende Frage, wer eigentlich im Herbst 2022 die | |
Nord-Stream-Pipelines sprengte, erörtern sie am Ende des Buches. Sie können | |
sie nicht abschließend beantworten, äußern aber erhebliche Zweifel an der | |
Version, der ukrainische Staat stecke hinter dem Anschlag. Denn kurz zuvor | |
waren russische Spezialschiffe, ausgerüstet mit Technik und Experten für | |
Unterwassersabotage, in der Nähe der Pipelines unterwegs gewesen. | |
Aber nicht nur viele deutsche Politiker:innen, auch Medien kommen in | |
Thieles und Dobberts Buch nicht gut weg. Letzterer berichtet in seiner | |
Danksagung, was ihm als Politikredakteur bei Zeit Online wegen eines | |
kritischen Kommentars nach einer russischen Lobbyveranstaltung 2017 in | |
Berlin widerfuhr. Jemand habe sich beim Chefredakteur über seinen Artikel | |
beschwert. Er solle „bis auf Weiteres“ nicht mehr über „Russland“ | |
schreiben. | |
## Russlandfreundliche Kolumnen in der „Zeit“ | |
Währenddessen verfasste der inzwischen verstorbene frühere Chefredakteur | |
und anschließende Herausgeber der Zeit, Theo Sommer, konsequent | |
russlandfreundliche Kolumnen. Wenige Monate nachdem er als Freund Schröders | |
auf dessen Hochzeit in Seoul eine Rede gehalten hatte, erschien etwa im | |
Februar 2019 sein Text „Sieben Fakten über die Pipeline und warum sie | |
sinnvoll ist“. Die „sieben Fakten“ deckten sich mit Behauptungen aus | |
Gazproms Pressemitteilungen, schreiben Dobbert und Thiele. | |
Ihr Buch ist nicht nur ein wichtiges Dokument [2][der Naivität, groben | |
Fahrlässigkeit] und Korruption, sondern auch eine journalistische | |
Meisterleistung. Was jetzt folgen muss, ist eine Debatte um die darin | |
beschriebenen „Verflechtungen“ von Personen und Institutionen, die den | |
Krieg in der Ukraine katalysierten – und eine ehrliche Aufarbeitung. | |
7 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Yelizaveta Landenberger | |
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