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# taz.de -- Tourismus und Klimawandel: Lasst uns reisen, lasst uns reden!
> Die Technik wird es richten, auch bei der Klimadebatte. Das ist das Credo
> beim Treffen der Deutschen Tourismuswirtschaft in Berlin.
Bild: Reisen im Flugzeug? Da sieht das Klima rot!
Berlin taz | Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) hat
zum Branchentreffen nach Berlin geladen. Das Thema: „Tourismus in Zeiten
des Wandels“. Dabei ging es vor allem um die Herausforderungen des
Klimawandels für die Reisebranche, auch um die Zukunft der Pauschalreise.
Engagiert als Impulsgeber und wissenschaftlicher Referent war Hans Joachim
Schellnhuber, ehemaliger Direktor des Potsdam-Instituts für
Klimafolgenforschung. Der Physiker referierte über eine Welt, wo die
reichen Industrieländer unter dem Banner der Reisefreiheit ihre Touristen
überall hinschicken und den Klimawandel damit anheizten.
Die Menschen, die als Folge des Klimawandel beispielsweise aus
subsaharischen Ländern migrieren müssten, würden jedoch an Grenzen
aufgehalten. Das Paradox einer Reisefreiheit, die eine Einbahnstraße sei.
Sein Appell an die Touristiker: Ohne Visionen, ohne Gestaltungswillen sei
der Klimawandel nicht zu bewältigen. Ein Anfang wäre, wenn im Kurz-und
Mittelstreckenbereich [1][das Fliegen] ganz verschwinden würde.
Schellnhuber fordert subversive Lösungen: „Wenn wir uns immer nur im
gleichen, engen Betriebssystem bewegen, kommen wir nicht voran.“
Subversive Lösungen für die deutsche Tourismuswirtschaft? Visionen? Auch
das ein Paradox. Eine Branche, wo bei den meisten Unternehmen
Nachhaltigkeit allenfalls dann diskutiert wird, wenn sie Einsparungen bei
den Betriebskosten bringt. Eine Branche, die zwar global agiert, deren
Weltläufigkeit sich aber auf knallhartes Destinationsmanagement beschränkt.
Eine Branche, wo fast ausschließlich Männer die Podien besetzen und
unternehmerische Selbstverpflichtung als Ende der Freiheit betrachtet wird.
Eine fantasielose Geschäftswelt, die ihre Margen zwischen Gewinnspanne,
Konkurrenzkampf und ungebremstem Wachstum absteckt. Aber wohlfeil daran
festhält, der Garant für die Demokratisierung des Reisens zu sein, indem
sie die Welt zu Dumpingpreisen verscheuert.
## Gegen Luftverkehrssteuer
„Wir brauchen das klare politische Ziel, Klimaschutz und Freiheit unter
einen Hut zu bringen – und damit meine ich auch die Reisefreiheit“, sagt
Michael Frenzel, der Präsident des BTW. „Lasst uns reisen. Lasst uns die
Welt anschauen.“ Eine höhere Luftverkehrssteuer wie sie aktuell vorgesehen
ist, habe aber keinen Nutzen fürs Klima. Im Gegenteil: „Sie nimmt deutschen
Unternehmen Substanz, um in Innovationen zu investieren.“
Der Schreckensvision, dass der Klimawandel die Strände dieser Welt oder ein
Drittel des Weltkulturerbes verschwinden lassen könnte, also die Ressourcen
der Tourismusbranche, setzt die Branche Technikgläubigkeit entgegen.
„Luftverkehr und Kreuzfahrt sind zwei Achillesfersen des Tourismus.
Angriffsflächen, die von Kritikern bewusst attackiert werden“, sagt
Frenzel. Aber [2][emissionsarme Techniken] seien in Sicht: „Mit Corsia
würde die Luftverkehrsbranche ab 2020 weltweit der erste Industriesektor
mit eigenen Klimaschutzinstrumenten sein. Und in der Kreuzfahrt würde der
LNG-Antrieb eingesetzt“, sagt Frenzel.
Corsia, das Carbon Offsetting and Reduction Scheme für die internationale
Luftfahrt, ist ein von der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation
entwickelter Ansatz zur Emissionsminderung für die globale
Luftfahrtindustrie. Verflüssigtes Erdgas (LNG) als Kraftstoff zum Antrieb
von Schiffen wird als Möglichkeit emissionsärmerer Schifffahrt gehandelt.
Wir hoffen auf die Technik und machen möglichst weiter wie bisher, so das
Fazit. Ohnehin, so Frenzel, finde das Wachstum längst woanders statt. „In
China sind mehr als 200 Flughäfen in Planung. Dort und in anderen
asiatischen Regionen der Welt findet das Wachstum hauptsächlich statt.“
Warum also hier Verzicht predigen oder neue Rahmenbedingungen fordern?
Dabei scheint eine Trendwende längst eingeläutet. Die besinnungslose
Vielfliegerei rund um den Globus bringt zumindest hierzulande immer weniger
Sozialprestige. An die Erzählung der Reisebranche, „die Malediven für
alle“, glaubt vor allem sie selbst. Das Reisen im industrialisierten
Tourismus ist eine Ware wie eine Waschmaschine, die viel zitierte
„Demokratisierung des Reisens“ ist vor allem die Ausweitung der Warenzone
um jeden Preis.
## Staatliche Einmischung ist nicht erwünscht
„Wollen wir wirklich, dass der Staat über richtigen oder falschen Konsum,
guten oder schlechten Tourismus richtet“, fragt Frenzel. „Die Gesellschaft
wandelt sich. Und wir müssen uns mit wandeln. Vielleicht müssen wir für
Dinge eintreten, die vordergründig gegen unsere Interessen gehen. So wie
sich der Luftverkehr bereit zeigt, Inlandsflüge zunehmend auf die Bahn zu
verlagern.“
Die Klimadiskussion hat das Thema Nachhaltigkeit bei Reiseveranstaltern
zumindest wieder ins Gespräch gebracht. Wie damals, als die Grünen die
Parteienlandschaft mit dem Thema Ökologie aufmischten und sich sogar TUI
einen Umweltbeauftragten leistete. Viel verändert hat sich seither nicht in
der Branche. Und auch grüne Politiker, wie der Sprecher für
Tourismuspolitik und ländliche Räume, Markus Tressel, wirken wenig
inspiriert, wenn es um die Mobilitätswende und das Geschäftsmodell
„Heimaturlaub“ geht.
Die Diskussion um die Inwertsetzung von Regionen erschöpft sich in der
Frage, wie bereit Gäste sind, Geld für Qualität auszugeben. Die
Reisebranche ist defensiv, reformscheu und ihre wenigen politischen
Repräsentanten wirken ideenarm.
Der renommierte Klimaforscher Schellnhuber wartet auf dem Gipfel mit einer
Anekdote auf: Mit der Handlungsbereitschaft bei der Klimadebatte sei es so
wie bei dem Mann, der aus dem 12. Stock eines Hochhauses falle und sich im
Flug vorbei am 2. Stock sage: Zum Glück ist ja noch nichts passiert.
7 Nov 2019
## LINKS
[1] /Klimapakt-konkret/!5630220
[2] /Luftnummer-CO2-Kompensation/!5616282
## AUTOREN
Edith Kresta
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