# taz.de -- Wissenschaftler warnen: Klimawandel schädigt Kinder | |
> Vor der UN-Klimakonferenz in Madrid: Die Erderwärmung greift die | |
> Gesundheit vor allem von Heranwachsenden an – das haben 100 Forscher | |
> herausgefunden. | |
Bild: Ein Kind auf den Philippinen erholt sich vom Dengue-Fieber | |
LONDON dpa | Der Klimawandel schädigt bereits heute die Gesundheit vieler | |
Menschen, insbesondere die von Kindern. Bei einem Weiterwirtschaften wie | |
bisher „wird das Leben jedes heute geborenen Kindes tiefgreifend vom | |
Klimawandel beeinträchtigt werden“, [1][berichtet das Konsortium The Lancet | |
Countdown], zu dem rund 100 Experten gehören. | |
Einen halben Monat vor der UN-Klimakonferenz in Madrid bilanzieren die | |
Experten aus 35 Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und | |
Universitäten im Fachjournal The Lancet die aktuellen und künftigen | |
Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit. Gehe der CO2-Ausstoß | |
weiter wie bisher, werde ein derzeit geborenes Kind an seinem 71. | |
Geburtstag im Schnitt in einer um 4 Grad wärmeren Welt leben. | |
Kinder seien von den Auswirkungen des Klimawandel am stärksten betroffen, | |
betonte Nick Watts, der Chef des Lancet-Konsortiums. Ihr Körper und ihr | |
Immunsystem entwickele sich noch und Schäden in der Kindheit könnten | |
bleiben. Auch [2][Ernterückgänge durch den Klimawandel] und infolgedessen | |
Unterernährung träfen sie am schlimmsten, schreiben die Forscher. | |
Sie litten stärker an Durchfall und an von Mücken übertragenen Erkrankungen | |
wie Dengue. Neun von zehn Jahren mit besten Bedingungen für Dengue-Mücken | |
gab es laut Report seit dem Jahr 2000. Auch die Bedingungen für den | |
Cholera-Erreger hätten sich seit Anfang der 80er Jahre verbessert. | |
## Gefahr auch an der Ostsee | |
Eine Gruppe von Bakterien, die Vibrionen, werde eine zunehmende Gefahr, | |
auch in der Ostsee, heißt es ebenfalls in dem Lancet-Report. Die Erreger | |
können Magen-Darm- und Wundinfektionen verursachen. Seit den 1980er Jahren | |
habe sich aufgrund höherer Wassertemperaturen die Anzahl der Tage | |
verdoppelt, an denen man sich mit Vibrionen in der Ostsee anstecken kann. | |
2018 waren es 107 Tage. | |
Würde die Erderwärmung dagegen auf 1,5 Grad begrenzt – wie im Pariser | |
Klimaabkommen gewünscht – und würden die Länder ihre Versprechen einhalten, | |
sehe es anders aus, so die Forscher. Ein Kind in England könnte dann mit | |
sechs Jahren den Kohleausstieg erleben, in Frankreich mit 21 Jahren den | |
Abschied von Benzin- und Dieselautos und alle heute Geborenen weltweit | |
könnten mit 31 Jahren erleben, dass nur noch so viel CO2 produziert wird, | |
wie von der Natur oder mit technischen Mitteln aufgenommen werden kann. | |
Zugleich könnte die Luft reiner und die Infrastruktur besser sein. | |
„Eine nie dagewesene Herausforderung verlangt eine nie dagewesene Reaktion, | |
und es benötigt die Mitarbeit der 7,5 Milliarden derzeit lebenden Menschen, | |
um sicherzustellen, dass ein heute geborenes Kind nicht durch ein sich | |
wandelndes Klima bestimmt wird“, betonen die Autoren. | |
Im Jahr 2018 erlebten über 65-Jährige in Deutschland mehr Hitzewellen als | |
im Schnitt der Jahre 1986 bis 2005. Das geht aus einer gesonderten | |
Mitteilung des Lancet-Teams hervor, die Daten für Deutschland | |
zusammenfasst. Im Jahr 2016 trug demnach die Feinstaubbelastung (PM 2,5) zu | |
über 44.800 frühzeitigen Todesfällen in der Bundesrepublik bei, 8.000 davon | |
seien auf die Verbrennung von Kohle zurückzuführen. Feinstaub stammt unter | |
anderem auch aus dem Verkehr und der Industrie. Wirtschaftliche Verluste | |
und Gesundheitskosten durch Feinstaub beliefen sich dem Bericht zufolge auf | |
20 Milliarden Euro. | |
## 7 Millionen Tote durch Luftverschmutzung | |
Die Luftverschmutzung insgesamt habe 2016 weltweit zu 7 Millionen | |
Todesfällen geführt, 2,9 Millionen davon habe Feinstaub verursacht. Weitere | |
Daten aus dem Bericht: | |
– Menschen in 77 Prozent der Länder haben zunehmend mit Waldbränden und | |
ähnlichen Feuern zu kämpfen. | |
– Temperatursteigerung und Hitzewellen führten 2018 zu einem Verlust von | |
133,6 Milliarden Arbeitsstunden. Tendenz steigend. | |
Die Autoren haben vier Kernforderungen: Eine schnelle und komplette Abkehr | |
vom Kohlestrom weltweit. Eine Sicherheit dafür, dass die reichen Staaten | |
wie bereits zugesagt den ärmeren ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar an | |
Klimaunterstützung geben. Den öffentlichen Verkehr sowie das Gehen und | |
Radfahren zu fördern, etwa mit mehr Radwegen. In Gesundheitssysteme | |
investieren, damit sie durch die Erderwärmung geschädigten Menschen helfen | |
können und nicht zusammenbrechen. | |
## Pollenflug verstärkt | |
Allergieforscher Torsten Zuberbier von der Charité in Berlin begrüßt den | |
Report grundsätzlich. Es fehle jedoch ein wichtiger Aspekt, der auch die | |
Schulleistungen betreffe: Durch den Klimawandel habe sich Pollenflug | |
verstärkt und die Blütezeit verlängert. Zudem breiteten sich allergene | |
Pflanzenarten wie etwa Ambrosia in Europa weiter aus. Daher sei es | |
unverständlich, dass der Report Allergien komplett ignoriere. | |
Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie | |
in Leipzig sagte, deutsche Ärzte müssten zunehmend von Mücken übertragene | |
Erreger „auf dem Schirm“ haben. „So blieben dieses Jahr zum Beispiel die | |
meisten West-Nil-Virus-Infektionen unerkannt, weil bei Grippe-ähnlichen | |
Symptomen niemand an diesen Erreger dachte.“ Nötig seien Fortbildungen und | |
gute Testsysteme. | |
14 Nov 2019 | |
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[1] http://www.lancetcountdown.org/2019-report/ | |
[2] /Agraroekonom-ueber-IPCC-Studie/!5614305 | |
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