# taz.de -- Tourismus und Fremdenfeindlichkeit: Wir Weltensammler | |
> Von Touristen ohne Freunde und Massen von Individualreisenden: Der | |
> globale Tourismus wächst und mit ihm der Unmut vieler Einheimischer. | |
Bild: Protest gegen massenhaft Touristen im spanischen San Sebastián | |
Mäkeleien über Touristen gehören schon immer zum „guten Ton“ von Eliten, | |
die sich gern über „Massenhaftigkeit“ der niederen Stände mokieren. Den | |
Kritikern der siebziger und achtziger Jahre galten Touristen als | |
dumpfbackige Täter, die auf ursprünglichen Landschaften bzw. den Gefühlen | |
Einheimischer herumtrampeln. | |
Demgegenüber suchten alternativ Reisende, Individualtouristen, meistens aus | |
der bildungsbeflissenen Mittelschicht, das intensive Erlebnis. Sie wollten | |
und wollen Ursprünglichkeit, Authentizität, Nähe, Region, Land. Die | |
I-Begriffe: Intimität, Introvertiertheit, Intensität und Interaktion statt | |
der E-Begriffe: Extroversion, extrem, Eklektizismus und Exotika. Und genau | |
diese Touristen stehen nun im Fokus der Kritik. | |
Es gibt diesen Überraschungsmoment, wenn das Selbstbild und die Realität | |
auseinanderbrechen. Wenn man feststellt, dass die eigene Art, zu reisen, | |
Unmut hervorruft, dass man selbst die Masse bildet, vor der man immer | |
gewarnt hat: Wir, die Individualtouristen, jetten durch die Welt. | |
Weltensammler, denn Paris ist uns näher als der Badesee und mit EasyJet und | |
Konsorten fast genauso günstig zu erreichen. | |
## Touristischer Overkill | |
Krakau, Dubrovnik, Barcelona, Berlin – die Hotspots der Welt werden | |
geflutet. Der globale Tourismus wächst und mit ihm der Unmut vieler | |
Einheimischer: Der touristische Overkill in den Städten beschleunigt | |
Gentrifizierung, die Vertreibung der Menschen aus ihren Stadtteilen, das | |
Verschwinden lokaler Geschäfte. Wir treten den Einheimischen inzwischen | |
selbst in ihren Immobilien auf die Füße und opfern den Begriff „unter | |
Freunden“ der gnadenlosen Kommerzialisierung. | |
Beschleunigung und Konsumismus sind im Tourismus eine innige Verbindung | |
eingegangen. Wir, die Touristen, sind nicht schuld an dieser Entwicklung, | |
aber wir sind eingebunden in die gnadenlose Kommerzialiserung der Welt. | |
Konsumieren ist unser Lebensstil. Die Wirtschaft brummt nur dann, wenn | |
ordentlich Produkte gekauft werden. Radfahren mag gesellschaftlich im Trend | |
liegen, bedeutend wird es erst, wenn man dafür nach Vietnam fliegt. | |
Meditation mag angesagt sein, aber erst auf Bali erlebt man sie | |
authentisch. Wir, die Dynamischen, Mobilen, Weltläufigen, wollen | |
keinesfalls zu den Rückständigen, den Immobilen gehören. Fliegen ist uns | |
eine Selbstverständlichkeit, und billig, billiger, möglichst am billigsten | |
erkunden wir die Welt. | |
Konnten die Urlauber der Nachkriegszeit noch gemächlich ihren | |
Erholungssommerurlaub machen, noch halbwegs das Gefühl haben, an den | |
Stränden des Mittelmeers die kostbarsten Wochen des Jahres zu erleben und | |
die Errungenschaften der arbeitenden Bevölkerung zu genießen, so lassen wir | |
uns heute auf nichts mehr ein. Wir suchen rastlos Sensationen, Gefühle, | |
Authentizitäten, regionale kulinarische Besonderheiten. Und treffen in den | |
Zentren von Lima, Buenos Aires oder Rom auf die immer gleicher werdende | |
kosmische Gemütlichkeit. Langeweile. | |
Und trotz veganer Ernährung, der Liebe zum Tier und zur Umwelt, der | |
Leidenschaft fürs Rad hinterlassen wir einen großen ökologischen | |
Fußabdruck, den auch der modernen Ablasshandel mit einer CO2-Abgabe fürs | |
Fliegen kaum mindert. Nach Expertenmeinung trägt der weltweite Tourismus | |
rund 9 Prozent zu den globalen Emissionen bei. | |
## Großstädte werden zu Bettenburgen | |
Die neoliberale Tourismuswirtschaft und das Fehlen von Tourismuspolitik und | |
-planung führen dazu, dass Großstädte zu Bettenburgen werden, zu schicken | |
Kulissen für Touristen, Reiche und Spekulanten. Daran wird zielstrebig | |
gearbeitet. Und wir nehmen diese historischen Kulissen von Rom, über | |
Venedig bis Dubrovnik gerne an. | |
Doch es gibt auch Gegenwind, ein wachsendes politisches Bewusstsein bei | |
Einheimischen, aber auch den politisch Verantwortlichen: Barcelonas | |
Bürgermeisterin zum Beispiel, die selbst aus der Hausbesetzerszene kommt, | |
versucht umzusteuern: Die Stadtverwaltung hat Hotelneubauten in der | |
Innenstadt verboten und verlangt Lizenzen von den Eigentümern, die ihre | |
Wohnungen via Airbnb vermieten wollen. | |
Und es gibt ein wachsendes Bewusstsein unter Reisenden dafür, dass man | |
nicht überall gewesen sein muss, nur weil es gerade billig erreichbar ist. | |
26 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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