Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kampagne gegen Touristen in Amsterdam: Gehen Sie anderswo hin!
> Waren Sie schon mal in Oudekerk? Fahren Sie hin! So ungefähr versucht die
> niederländische Hauptstadt, Touristen zu vergraulen.
Bild: Schnell noch ein Selfie vorm Anne-Frank-Haus schießen
Amsterdam taz | Dem bierfiets wird niemand eine Träne nachweinen. Breit und
behäbig bewegte es sich die Brücken hoch und schlich über die Fahrradwege,
angetrieben durch etwa zehn längst nicht mehr nüchterne Fußpaare, während
aus den dazugehörenden Mündern Grölen und nicht selten prollige Sprüche
kamen.
Seit dem 1. November ist das berüchtigte Vehikel nun aus dem Zentrum
Amsterdams verbannt. Ein Gericht bestätigte den Entschluss der Kommune,
wonach die fahrbaren Theken wegen Lärmbelästigung, öffentlicher Trunkenheit
und wilden Urinierens die Ordnung stören und zudem den Verkehr behindern.
Jene schrulligen Begleitumstände machten das Beerbike-Verbot zum gefundenen
Fressen für Panorama-Seiten internationaler Zeitungen. Dabei hat es einen
durchaus ernsten Hintergrund. Die lange diskutierte Maßnahme steht nämlich
bei Weitem nicht allein, sondern im Kontext einer kommunalen Politik, die
ein klares Ziel verfolgt: Amsterdam, die seit Generationen beliebte
Grachtenstadt mit weltbekannten Coffeeshops und Museen, will weniger
Besucher anlocken.
Dass sie „ächzt unter dem Tourismus“, liest man seit Jahren in
niederländischen Medien. Jetzt macht man im rot gepflasterten Stadthaus an
der Amstel ernst: Anfang Oktober beschloss der gemeenteraad, dass mit
sofortiger Wirkung in einem Teil des Zentrums keine neuen Geschäfte mehr
eröffnen dürften, die „nicht an Amsterdamer, sondern nur an Touristen
gerichtet sind“. Gemeint sind etwa Waffel- oder Eisläden, Tour-Büros und
Fahrradverleihe.
## Drastische Maßnahmen
Insgesamt gibt es 280 solcher Gewerbe im betreffenden Gebiet. „Nirgendwo
anders auf der Welt wurde ein solcher Beschluss gefasst“, sagte
Wirtschaftsdezernentin Kajsa Ollongren, heute Innenministerin der neuen
Regierung.
Ende 2016 erst hatte Ollongren verkündet, dass im größten Teil des
Zentrums sowie anderen beliebten Quartieren keine neuen Hotels mehr
entstehen sollten. 2016 gab es 459 Hotels in der Stadt, die 67.000 Betten
zählten – fünf Prozent mehr als 2015. Die Zahl der Übernachtungen stieg
binnen einem Jahr um acht Prozent auf 14 Millionen.
Nicht eingerechnet sind dabei private Unterkünfte. Auch hier greift die
Kommune zu drastischen Maßnahmen. Seit Oktober ist jegliche Vermietung an
Touristen meldepflichtig – bei Strafen bis zu 20.500 Euro. Schon in den
letzten Jahren hatte man versucht, den Airbnb-Boom entlang der Grachten
einzudämmen.
Amsterdam hat nach London und Paris die meisten Airbnb-Betten Europas – und
die höchsten Preise. Die Stadt ging mit Auflagen wie einer
Vermietungshöchstzahl dagegen vor und richtete 2016 eine anonyme Hotline
ein, bei der man vermeintlich illegale, private Vermietung denunzieren
kann.
## Alles voll
Diesen letzten Schritt kritisieren viele Bewohner. Abgesehen davon aber
sind sich, zumal im Zentrum, die meisten Amsterdamer einig, dass die Stadt
„zu voll“ sei und weniger betuchte Menschen durch Airbnb verdrängt würden.
Tatsächlich sind bestimmte Gebiete bemerkenswert überlaufen, und über
Touristen, die ungelenk auf Leihrädern schlingern oder mit Segways den Weg
verstopfen, ärgert man sich unweigerlich ab und an. Was aber zweifellos
auch daran liegt, dass Amsterdam eine relativ kleine Stadt ist, deren
Sehenswürdigkeiten sich auf wenigen Kilometern konzentrieren. Und dass das
Zentrum für Arme unerschwinglich wird, liegt nicht allein an Airbnb,
sondern auch an der städtischen Wohnungspolitik.
Kritiker des städtischen Vorgehens weisen auf die 65.000 Jobs im
Tourismussektor hin, Tendenz steigend. Der damalige Vorsitzende der
Amsterdamer Unternehmervereinigung, Dolf Klosterziel, regte vergangenen
Winter an, neue Gebiete attraktiver für Touristen zu machen, statt die
Besucherzahlen zu beschränken.
Genau das probiert man im Stadthaus jedoch schon seit Jahren unter dem
Stichwort „Verteilung von Touristen“: Etwa indem man Bootstouren ins
pittoreske Dorf Oudekerk an der Amsel promotet oder in Zusammenarbeit mit
dem Anne-Frank-Haus das frühere Wohngebiet der Franks im Süden der Stadt
per App erkunden lässt. Eine schöne Entdeckungstour, die freilich die
Schlange vor dem Hinterhaus in der Prinsengracht keinen Meter verkürzte.
## Das „echte“ Amsterdam entdecken
Wie weit Amsterdam inzwischen geht, um die Touristenströme zu lenken, zeigt
ein weiteres Projekt: 2018 wird die Fluggesellschaft KLM Tausende
sogenannte Care Tags an Passagiere verteilen, die am Flughafen Schiphol
landen. Diese „intelligenten Gepäcksticker“ enthalten rund 300 per GPS
aktivierbare Tipps für den Aufenthalt in Amsterdam.
In Zusammenarbeit mit der Kommune hat man ein Konzept entwickelt, das
Besucher von bestimmten Orten weglotsen soll. Im überlaufensten
Einkaufsgebiet der Stadt etwa sagt das Gepäckband dann: „Dies ist die
touristischste Straße, die es gibt. Wir empfehlen Ihnen, anderswohin zu
gehen und das echte Amsterdam zu entdecken.“
10 Dec 2017
## AUTOREN
Tobias Müller
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Amsterdam
Tourismus
Tourismus
Reiseland Österreich
Tourismus
Tourismus
Tourismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tourismus-Experte über Amsterdam: „Es geht um Monokultur“
Die Entwicklung des Tourismus in Amsterdam sei radikal, sagt der
Reisefachmann Stephen Hodes. Also müsse die Stadt radikal eingreifen.
Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: Exklusiv für Frauen!
Wohlfühlen und Selbstfinden, ganz einfach Selfness: Der Gesundheitssektor
mit Wellness, Mindness, guter Küche bleibt der Zukunftstrend im Tourismus.
Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: „Froh schlägt das Herz im Reisekittel�…
Es wird gereist, dass die Bude brummt. Selbst wenn in den Zielländern die
Einheimischen auf die Straße gehen und gegen den Massenansturm
protestieren.
Tourismus und Fremdenfeindlichkeit: Wir Weltensammler
Von Touristen ohne Freunde und Massen von Individualreisenden: Der globale
Tourismus wächst und mit ihm der Unmut vieler Einheimischer.
Kommentar Individualtourismus: Ich, der Tourist, bin schuld!
Massenandrang, zerstörte Landschaften, horrende Mieten: Tourismus hat einen
hohen Preis. Rigide staatliche Regeln müssen her.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.