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# taz.de -- Protest gegen Touristen auf Malle: Wie schwer es ist, beliebt zu se…
> Viele Touristen buchen per Airbnb Privatquartiere, Investoren parken ihr
> Geld in Grundstücken. Nun rumort es in Palma de Mallorca.
Bild: Sie wollen ihre Stadt zurückerobern – zumindest einen kleinen Flecken …
Palma taz | Manel Domènech redet sich leicht in Rage. „Das ist empörend.
Em-pö-rend“, ruft er und fuchtelt mit dem Zeigefinger in der Luft, sodass
sein langer grauer Bart hin und her wackelt. Eben hat ihm ein Polizist
seinen Ausweis abgenommen, um sich die Personalien des 63-Jährigen zu
notieren.
Palmas Rathausplatz ist im Sommer fest in Touristenhand. Das ist auch an
diesem Samstagmorgen nicht anders. Urlauber knipsen den alten Olivenbaum,
den die Stadtverwaltung einst als Touristenattraktion hier hinverpflanzen
ließ. Urlauber sitzen im Café. Urlauber essen Eis. Urlauber lassen sich in
Pferdedroschken herumkutschieren. Ein schier endloser Strom von Menschen
mit Sonnenbrand, in Sandalen, kurzen Hosen und buntgemusterten Hemden.
Etwas aber ist anders: Manel Domènech und 17 andere Mallorquiner haben
mitten auf dem Kopfsteinpflaster ein Picknick-Tuch ausgebreitet. Es gibt
Oliven, eingelegte Miesmuscheln, Chips und kühles Bier. „Wir tun nichts
anderes, als was wir unser Leben lang getan haben: Ein paar Freunde treffen
sich auf einem Platz in Palma und lassen es sich gut gehen“, sagt Domènech.
„Wenn ich das heutzutage tun möchte, nimmt die Polizei vorher meine
Personalien auf. Ein Skandal ist das.“
Manel Domènech und seine Mitstreiter gehören zu einer Bürgerplattform, die
seit einigen Monaten Protestaktionen gegen die Auswüchse des
Massentourismus in Palma organisiert – so auch das Picknick an diesem
Mittag. Sie wollen ihre Stadt zurückerobern. Zumindest einen kleinen
Flecken, so groß wie ein Picknicktuch. Für die Polizei fällt die Aktion in
die Kategorie „Demonstration“, und so müssen die Teilnehmer ihre Ausweise
abgeben.
## „Nicht gegen Touristen“
Das Motto der Bürgervereinigung lautet: „Ciutat per a qui l’habita, no per
a qui la visita“ – „Die Stadt denjenigen, die sie bewohnen, nicht
denjenigen, die sie besuchen.“ Das dazugehörige Logo zeigt eine stämmige
Mallorquinerin, die mit ihrem Gehstock fuchtelnd ein Touristenpärchen mit
Selfiestange und Rollkoffer vor sich hertreibt. „Wir sind nicht gegen die
Touristen“, sagt Domènech. „Wir sind gegen dieses Tourismusmodell, das nur
auf Wachstum ausgelegt ist.“
Was er damit meint, verrät ein Blick in die Statistik. 10,9 Millionen
Menschen verbrachten nach Angaben des balearischen Statistikamts im
vergangenen Jahr ihren Urlaub auf der Insel, darunter als größte Gruppe 4,1
Millionen Deutsche. 26,2 Millionen Passagiere zählte der Betreiber des
Flughafens in Palma im vergangenen Jahr. Die Prognosen und die vorläufigen
Zahlen dieses Jahres lassen ein Wachstum um rund 8 Prozent erwarten.
Diese Aussichten freuen Hoteliers, Gastronomen, Betreiber von
Souvenirläden, Kutschfahrer und alle anderen, die vom Tourismus leben –
rund die Hälfte des balearischen Bruttoinlandsprodukts stammt aus der
Tourismuswirtschaft. Margalida Ramis jedoch bereitet das Sorgen. „Die Insel
begeht gerade Selbstmord“, sagt die Sprecherin des wichtigsten
mallorquinischen Umweltverbands GOB (Grup Balear d’Ornitologia i Defensa de
la Naturalesa).
Mallorcas natürliche Ressourcen sind permanent überlastet, kritisiert sie.
Aktueller Beleg: Seit einigen Tagen gilt in Palma und anderen Teilen der
Insel die Vorwarnstufe wegen Wassermangels. Die Infrastruktur muss immer
weiter ausgebaut werden, um der wachsenden Menschenmassen Herr zu werden:
breitere Landstraßen, größere Häfen, neue Kläranlagen. „Elf Millionen
Urlauber auf einer Insel mit 900.000 Einwohnern – ich frage mich, wie lange
das noch gut geht“, sagt Ramis. Neu sind die Probleme, die der
Massentourismus auf Mallorca verursacht, allerdings nicht.
Neu ist dagegen der Boom des Individualtourismus. Stiegen in der
Vergangenheit die allermeisten Urlauber in den Hotels der Küstenorte ab,
hat in den vergangenen Jahren der Ferienvermietungssektor enorm zugelegt.
In Palma hat das drastische Folgen: normalverdienende Mallorquiner finden
kaum noch bezahlbare Mietwohnungen.
Manel Domènech erlebt das Problem direkt vor der eigenen Haustür. Der
pensionierte Lehrer wohnt seit 25 Jahren in Palmas Altstadt, nur wenige
Schritte vom Rathausplatz entfernt. Mittlerweile erkenne er sein Viertel
kaum noch wieder: „Erst sind die alteingesessenen Geschäfte verschwunden“,
sagt er. „Wo früher ein Krämer seinen Laden hatte, ist jetzt eine Eisdiele.
Nun werden als nächstes die Anwohner verdrängt.“ Kaum jemand könne sich
noch die steigenden Mieten leisten.
Dass an der Misere auf dem Mietmarkt einzig und allein die Ferienvermietung
schuld sei, will Joan Miralles so nicht stehen lassen. „Es gibt weitere
Faktoren“, sagt der Vorsitzende des Verbandes der Ferienvermieter Aptur.
Immer mehr gut betuchte Ausländer investieren ihr Geld in den Kauf einer
Ferienimmobilie auf Mallorca. „Auch das führt dazu, dass dem Mietmarkt
Wohnungen entzogen werden.“
## Ein Stück vom Kuchen
Für Miralles hat der Boom der Ferienvermietung vor allem positive Effekte.
„Wir erleben gerade die Demokratisierung des Wohlstands, der durch den
Tourismus entsteht“, sagt er. Profitierte bisher fast ausschließlich der
Hotelsektor, bekommen nun plötzlich auch ganz normale Leute ein Stück vom
Kuchen ab. Leute wie er.
Miralles ist Soziologe und im Hauptberuf Lehrer, nebenbei vermietet er ein
Haus in Porreres, einem Dorf im Inselinneren, das für seine Aprikosen
berühmt ist. Im Gegensatz zu Palma bleiben die Mallorquiner auf dem
Rathausplatz von Porreres meist unter sich. Hotels gibt es nicht im Ort,
Touristenattraktionen auch nicht. Nur ein paar Dorfhäuser, die als
Ferienunterkunft vermietet werden. „Die Leute wollen nicht mehr Touristen
sein, sondern Reisende“, sagt Miralles. Sie wollen eintauchen in die Kultur
Mallorcas, sie wollen Kontakt zu Mallorquinern, sie wollen Wein von der
Insel probieren. Das alles könne er ihnen viel besser bieten als jeder
Hotelier.
Dennoch hat die Balearen-Regierung, die aus einem links-grünen Bündnis
besteht, dem Wildwuchs auf dem Markt der Ferienvermietung jetzt einen
Riegel vorgeschoben: Seit dieser Woche ist ein Gesetz in Kraft, das vor
allem die Vermietung von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern erschwert.
„Mallorca verfügt als Insel nur über begrenzten Raum“, sagt Pilar
Carbonell, Generaldirektorin im balearischen Tourismus-Ministerium.
„Unbegrenztes Wachstum ist nicht möglich.“ Zumindest im Juli und August
habe die Urlauberzahl ihr Limit erreicht.
## Ein Auto zu viel
Deshalb greift die Regionalregierung regulierend ein, nicht nur was die
Ferienvermietung angeht. Ihr Vorzeigeprojekt ist die sogenannte
Übernachtungssteuer: Seit dem Sommer vergangenen Jahres zahlen Urlauber auf
den Balearen-Inseln pro Nacht je nach Unterkunft und Jahreszeit zwischen 25
Cent und 2 Euro extra. Pläne, die Abgabe zu erhöhen, gibt es bereits.
Den Tourismuskritikern geht das jedoch nicht weit genug. Die Proteste
häufen sich in jüngster Zeit. Erst zog ein Dutzend Anhänger der
separatistischen Jugendorganisation Arran mit bengalischen Fackeln und
tourismuskritischen Spruchbändern vor ein schickes Restaurant an Palmas
Yachthafen und bewarf die überraschten Gäste mit Konfetti. Dann pappten
Unbekannte Aufkleber an hunderte Mietwagen. Darauf war zu lesen: „Dieses
Auto ist eines zu viel.“
Bislang handelt es sich bei den Protestlern nur um Splittergruppen – das
Unbehagen aber scheint zuzunehmen. „Immer mehr Leute trauen sich, den
Tourismus infrage zu stellen“, sagt Margalida Ramis vom GOB. „Früher war
dies ein Thema einiger weniger, jetzt haben wir eine breite Debatte.“
Selbst der einer übertriebenen Tourismuskritik unverdächtige
Wirtschaftsverband Cercle d’Economia verkündete jüngst, Mallorca sei „auf
bestem Wege, am eigenen Erfolg zu sterben“.
Ein Satz, der auch von Manel Domènech stammen könnte. Der hat sich
mittlerweile wieder beruhigt, seinen Ausweis weggesteckt und den
Sonnenschirm zusammengeklappt, den er für das Picknick mitgebracht hatte.
„So wie bisher kann es nicht weitergehen“, sagt er. „Wir brauchen eine
effektive Begrenzung der Urlauberzahl.“ Dafür wollen Palmas empörte Bürger
in den nächsten Wochen wieder auf die Straße gehen. Für heute aber
überlassen sie den Rathausplatz erst einmal wieder ganz den Urlaubern.
16 Aug 2017
## AUTOREN
Jo Martiny
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