# taz.de -- Diskreditierung der Proteste in Serbien: Mit allen Mitteln des Unre… | |
> Serbiens Regierung will die Protestbewegung schwächen. Mit Propaganda in | |
> den staatsnahen Medien, mit Blockaden und ausgesuchter Brutalität. | |
Bild: Konfrontation: Welches Serbien wollen wir? | |
Freitagmorgen in Serbien, kurz vor der großen Demo gegen die Regierung, | |
steht der Zugverkehr still. Offiziell heißt es: Bombendrohung. Doch für die | |
Demonstrierenden, die nach Belgrad reisen wollen, ist klar: Präsident Vučić | |
zieht [1][alle Register, um die Proteste kleinzuhalten]. Die Straßen und | |
Schienen werden sozusagen hochgeklappt. Auch die Busse, die von | |
Studierenden organisiert wurden, werden reihenweise gestrichen. | |
Schon im Vorfeld hatte Vučić eine Drohkulisse aufgebaut. Von Gewalt war die | |
Rede, von einer vom Ausland gesteuerten Revolution, die um jeden Preis | |
gestoppt werden müsse. | |
Die absurdeste Manifestation dieser Strategie steht im Pionirski Park | |
zwischen Parlament und Präsidentensitz: eine improvisierte Zeltstadt, von | |
kritischen Serbinnen und Serben ironisch „Ćacilend“ getauft, eine | |
Verballhornung des serbischen Worts für Schüler. Laut den regierungsnahen | |
Medien forderten Studierende damit ihr Recht auf Bildung ein, denn die | |
meisten Fakultäten sind seit Monaten von der Protestbewegung besetzt. | |
Doch wer das Camp betritt, sucht echte Studierende lange. Hier sind | |
auffällig viele Männer mit vermummten Gesichtern, teils in | |
fortgeschrittenem Alter, für Studenten eher untypisch. Schließlich erklärt | |
sich einer von ihnen zum Gespräch mit der taz bereit. „Ich studiere an der | |
Technischen Hochschule in Zrenjanin und habe noch drei Prüfungen bis zum | |
Masterabschluss. Ich will, dass der Staat funktioniert, deswegen bin ich | |
hier“, sagt er. Seine Fakultät gehört dabei zu den wenigen, die gar nicht | |
besetzt sind. | |
## Geld für Pro-Vučić-Protest | |
In der Zeltstadt werden Getränke, Sandwiches und Spanferkel verteilt. | |
Unabhängige serbische Medien berichten, dass einige Zeltbewohner Geld für | |
ihre Präsenz erhalten – „Sendvičari“ nennt man sie, eine abwertende | |
Bezeichnung für Menschen, die sich für Essen oder Geld an | |
regierungsfreundlichen Veranstaltungen beteiligen. | |
Seit Kurzem sind hier auch Männer mit roten Baretten aufgetaucht. Unter | |
ihnen Živojin Ivanović, ein hochgewachsener Veteran, dem man seine | |
Kriegserfahrung ansieht. Er sagt: „Nirgendwo auf der Welt passiert es, dass | |
Kinder wegen so was drei Monate nicht zur Schule gehen.“ Ivanović ist in | |
Serbien bekannt. Er befehligte einst eine Einheit, die für Kriegsverbrechen | |
in Bosnien-Herzegowina und Kroatien berüchtigt ist und mutmaßlich für die | |
[2][Ermordung von Serbiens Premierminister Zoran Đinđić] im Jahr 2003. | |
Die Symbolik ist unübersehbar: Die Männer mit den roten Baretten tauchen am | |
Abend vor dem Jahrestag von Đinđićs Ermordung auf. | |
Die absurde Show des Camps verfolgt mehrere Ziele. Sie liefert den | |
regierungsnahen Medien Bilder von einer scheinbaren Unterstützung für | |
Vučić, die in Wahrheit nicht existiert. Gleichzeitig wird ein Szenario der | |
Einschüchterung mit regimetreuen Statisten und Schlägern aufgebaut. | |
## Zootickets und Schallkanonen | |
Seit Freitagmorgen ist das Camp von Traktoren umstellt – ein Versuch, den | |
Eindruck zu erwecken, die serbischen Bauern stünden hinter Vučić. | |
Tatsächlich haben sich viele Bauern den Protesten der Studierenden | |
angeschlossen und Straßenblockaden für sie errichtet. In Ćacilend hingegen | |
sieht man die Bauern, die zu den Traktoren gehören, nicht. | |
Doch außerhalb des Camps lassen sich die echten Studierenden nicht | |
einschüchtern. Sie drehen den Spieß um, nennen das Camp „Zoologischer | |
Garten Pionirski Park“ und verteilen Eintrittskarten dafür. Ein Lied hat | |
sich als Protesthymne etabliert: „Wer nicht springt, ist ein Ćaci“. Die | |
Blockade- und Einschüchterungsversuche konnten den massenhaften Protest | |
denn auch nicht verhindern. Um die 300.000 Menschen [3][demonstrierten | |
weitgehend friedlich], anders als von Vučić und den regierungsnahen Medien | |
dargestellt. | |
Doch gegen Abend findet der Protest ein abruptes Ende. Während der 15 | |
Schweigeminuten für die [4][15 Opfer von Novi Sad] kurz nach 19 Uhr bricht | |
auf einmal Panik aus. Menschen rennen in Seitengassen, suchen Schutz in | |
Hauseingängen. Die Studierenden entscheiden, ihren Protest für diesen Tag | |
zu beenden und zur Rückkehr an die Fakultäten aufzurufen. Später berichtet | |
ein Militäranalyst im Sender N1, eine Schallkanone sei gegen die | |
Demonstrierenden eingesetzt worden, also ein akustisches Gerät, das | |
schmerzhaft laute Töne produzieren kann. | |
Die serbischen Sicherheitskräfte dementieren dies. Das sei schließlich | |
illegal. | |
16 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Proteste-in-Serbien/!6075858 | |
[2] /Abschied-von-Zoran-Djindjic/!799491/ | |
[3] /Massenprotest-in-Belgrad/!6072762 | |
[4] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/serbien-bahnhofsvordach-tote-100.h… | |
## AUTOREN | |
Krsto Lazarević | |
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