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# taz.de -- Endlich Sommerferien: Ab in den Süden?
> Heiß hier – und eng! Neun Tipps, wie man trotz Klimakrise, überlaufener
> Hotspots und Touristenfallen noch Urlaub am Mittelmeer machen kann.
Bild: Sind jetzt alle da? So gemütlich ist es Ende Juli in Kroatien
Dalmatien ist eine beliebte Urlaubsregion am Mittelmeer. Mit schön
gestaltetem Außenbereich: blaues Wasser („Karibikfeeling“), kleine Buchten
(„malerisch“), Inseln (über 1.000), hohe Berge (bis zu 1.762 Meter). Und
gut durchdachtem Innenbereich: historische Städte (Illyrer, Griechen,
Römer, Byzantiner, Osmanen, Venezianer, Habsburger, Napoleon), Ruinen
(Illyrer, Griechen, Römer, Byzantiner, Osmanen, Venezianer, Habsburger,
Napoleon) und die für den Urlaub unentbehrlichen Accessoires (Essen,
Trinken, Heiterkeit).
[1][Dalmatien] hat damit nicht nur ein ähnliches Angebot wie die restlichen
Mittelmeeranrainer, es hat auch die gleichen Probleme: zu viele Touristen.
Einerseits hat man sie gerufen, weil man ganz gut von ihnen leben kann.
Andererseits machen die jetzt alles kaputt. Lässt sich am Mittelmeer also
überhaupt noch Urlaub machen? Ja. Wenn Sie folgende Punkte beachten:
## 1. Planen Sie Ihren Aufenthalt niemals zwischen 1. Juli und 31. August
Wenn Sie nicht Gegenstand eines kroatischen Sommerhits werden wollen,
meiden Sie die Hochsaison. „[2][Nemoj ići u japankama na Biokovo]“ („Geh
nicht mit Flipflops in den Biokovo“) heißt ein beliebter Popsong von Banda
Turizam. Er handelt von Tourist*innen, die sich zwischen zwei
Planscheinheiten in Badesachen auf den Weg in das steil aus dem Meer
aufragende Karstgebirge machen. Jedes Jahr sterben dort im Durchschnitt ein
bis zwei Urlauber*innen, weil sie in die Dolinen fallen, die tiefen
Trichter des für seine Löcher bekannten Karsts.
Hier gibt es kein GPS-Signal, keinen Kiosk mit Kaltgetränken und außerdem
wird es da oben auch im Sommer recht kühl. Wenn Sie in eine Doline fallen,
können Sie nur hoffen, dass irgendjemand rechtzeitig Ihre Abwesenheit
bemerkt. An der Küste bleiben ist auch keine Alternative: Da ist es überall
voll, heiß und laut.
2. Mit Kindern gilt erst recht: Meiden Sie die Hochsaison
In dem ganzen Gewusel, Geflirre und Geschrei („Mama, guck mal, wie ich
untertauche!“, „Papa, guck mal, wie tief ich runterkomme!!“, „Oma, guck
mal, wie lang ich die Luft anhalten kann!!!“) kriegen viele gar nicht mit,
dass es das eigene Kind ist, was gerade wirklich absäuft. Zusätzlich müssen
Sie in der Hochsaison neben hohen Eispreisen mittlerweile auch
lebensgefährliche Tornados und Starkregenereignisse einkalkulieren. Wegen
der Klimakatastrophe steigt außerdem die Temperatur des Mittelmeers so
extrem an, dass die Adria eher einer Badewanne als einer Erfrischung
gleicht.
Wozu der Stress? Kinder, die zur Schule müssen, haben auch Oster-, Pfingst-
oder Herbstferien. Am Mittelmeer finden sich prima Verstecke für Haseneier
und das Frühjahr zieht hier dem Außenbereich Klamotten an, die von Claudia
Roth entworfen worden sein könnten. Die meisten Hotel- und Apartmentanlagen
haben außerdem einen Pool, der in der Vorsaison beheizt werden kann. Dann
macht ein Pool am Mittelmeer wenigstens Sinn – im Gegensatz zur Hochsaison,
wo er nur genutzt wird, weil es viel zu stressig ist, den Nachwuchs, wegen
dem man ja hierher gereist ist, am Strand zu beaufsichtigen.
3. Gehen Sie nicht abends essen, sondern mittags
Der Mittagstisch ist die wichtigste Mahlzeit in Dalmatien. Umso weiter der
Kalender voranschreitet, umso später ist Mittag: von April bis November
zwischen 14 und 17 Uhr. In dieser Zeit ist es schlicht viel zu heiß, um
irgendwas anderes zu tun, als bei geschlossenen Fensterläden unter
künstlichem Licht zu sitzen und Mittag zu essen, ein Gleis Wein zu trinken
und danach Mittagsschlaf zu machen. Wenn die Kinder nerven, kaufen Sie
ihnen halt in drei Dalmatiner Namen Ćevape oder in fiesem Fett frittierte
Kartoffelspiralen. Den teuren Drachenkopffisch, den Sie ihnen abends als
Delikatesse verkaufen wollen, werden die eh verschmähen.
Wenn Sie Fleisch oder Frösche essen wollen, fahren Sie immer ins Hinterland
und am besten gleich nach Bosnien. Lamm sowieso nur im Frühjahr und am
besten auf den Inseln. Wenn Sie unbedingt Scampi essen wollen, fragen Sie,
woher genau die kommen. Lautet die Antwort: Na, hier aus dem Wasser!,
lassen Sie es bleiben. Scampi sind in der dalmatinischen Adria rar
geworden, nur rund um die Inseln, vor allem um Vis, gibt es sie noch. Ein
Wirt, der nicht genau weiß, woher seine Scampi stammen, der verschweigt
vielleicht, dass seine Scampi gar keine Scampi sind, sondern norwegischer
Hummer. Auch nett, hat aber mit Scampi und dem Mittelmeer so gut wie
überhaupt gar nichts zu tun.
4. Zahlen Sie wie normale Menschen
Geben Sie immer 10 Prozent Trinkgeld. War vom Kellner bis zur
Fleischtemperatur alles überdurchschnittlich, geben Sie etwas mehr. War
alles total scheiße, geben Sie 20 Prozent und sagen Sie: „Ich glaube, Sie
haben es nötig.“ Versuchen Sie, sich beim Zahlvorgang einfach so
normalmenschlich wie möglich zu verhalten. Rechnen Sie also nicht aus, wie
viele Gläser Wasser in eine Flasche passen, die Sie sich mit Menschen
geteilt haben, die mit Ihnen am Tisch saßen. Ich weiß, Menschen mit
deutschem Hintergrund fällt das schwer. Aber versuchen Sie es doch einfach
mal.
Genießen Sie einen ausgelassenen Abend mit der ganzen Familie, laden Sie
außerdem Freunde dazu ein und den Wirt auch noch auf ein Glas. Sagen Sie am
Ende: „Der Abend geht auf mich“, übernehmen Sie die komplette Rechnung und
Sie werden sehen, was Urlaub auch bedeutet: einfach loslassen. Auch das
Geld.
5. Aufruhr, Widerstand – es gibt kein ruhiges Hinterland
Verlagern Sie den Schwerpunkt Ihres Mittelmeerurlaubs ins Hinterland. Egal,
ob Städte, Berge, Weidefläche oder Industriegebiet, hier sind in der Regel
nicht nur weniger Tourist*innen unterwegs, sondern auch besondere
Geschichten zu entdecken. Die Geschichte der Zivilisation an den Küsten des
Mittelmeers lässt sich über Wikipedia schnell erschließen und die
entsprechenden Infotafeln sind in den urbanen Zentren relativ gut
ausgebaut. Doch in der dalmatinischen Zagora, der sizilianischen Madonie
oder der andalusischen Sierra Nevada geht der Außenbereich so richtig in
die Vollen. Und im Innenbereich wird es absolut einheimisch.
An den Küsten des Mittelmeers war es jahrtausendelang viel zu gefährlich
für die Einheimischen, weil ständig irgendwer anlegte, der sich nahm, was
er wollte. In der dalmatinischen Ravni Kotari gibt es beispielsweise den
Felsen Ostrovica, einen Steinstapel, der sich auf dem einzigen Hügel in der
weiten Ebene erhebt. Nur wer hochklettert, merkt, dass dieses abstruse
Wesen der Rest einer handgemachten Festung ist und kein von Wind und Wetter
ausgespültes Stück Fels.
Es waren die Venezianer, die sie im 17. Jahrhundert zerstörten – wie so
vieles, was diese großen Seefahrer hier vorfanden. Ganz anders die Osmanen,
die das, was sie entdeckten, für ihre Zwecke und nach ihrem Geschmack
ummöblierten. Über die destruktive Energie der Venezianer aber wird in
Dalmatien weit weniger negativ gesprochen als über die Kriege „der Türken�…
Dass die Osmanen jedoch genauso wie die Venezianer Einfluss auf das Leben
in Dalmatien hatten, wird man an der Küste nie erfahren.
6. Nehmen Sie nur Souvenirs aus Gold mit
Ein Kühlschrankmagnet als Souvenir ist immer okay. Alles andere kriegen Sie
in der Regel mittlerweile auch in mediterranen Läden Ihrer Heimatstadt. Es
gibt eigentlich nur eines, was Sie ansonsten vom Süden Europas mit nach
Hause bringen sollten: das Gold des Mittelmeers. Egal, wo Sie sind,
erkundigen Sie sich nach dem besten Olivenanbaugebiet der Region. Fragen
Sie immer nach lokalem [3][Olivenöl]. Besuchen Sie Olivenölbauern. Es muss
auf der Zunge prickeln, im Hals kratzen und einen Hustenreiz auslösen.
Alles andere ist vom Discounter.
7. Meiden Sie Orte, die Sie auf Instagram gesehen haben
Egal, wie verlockend und einsam es auf dem Foto aussieht. Die Quelle des
Flusses Cetina in Dalmatien beispielsweise. Sie entspringt unterirdisch aus
dem Fels und bildet einen glasklaren, herzförmigen Teich, dessen Blau in
der Mitte dunkel ist und an den Rändern immer heller wird – blöderweise
extrem instagrammable. Bis vor einiger Zeit kannten diesen abgelegenen Ort
nur Einheimische. Seit ein Depp das nun als „Auge Dalmatiens“, „Auge
Kroatiens“ oder „Auge der Welt“ um den Globus geschickte Kleinod auf Soci…
Media bekannt machte, ist der Ort ein „Geheimtipp“, der keiner mehr ist.
Als ich im Spätsommer vergangenen Jahres am Ende der Holzstufen ankomme,
die zur Quelle hinabführen, ist eine französische Familie mit zwei Kindern
gerade dabei, ins Wasser zu springen. Ich weise sie auf die Schilder hin,
wonach das Baden hier strikt verboten ist, und darauf, dass sie gerade das
Trinkwasser von hunderttausend Menschen verunreinigen. Die Mutter guckt
mich ungläubig an: „But the dogs also go in“, sagt sie und zeigt auf drei
Straßenköter, die sich am Rand der Quelle die Pfoten kühlen.
Tourist*innen denken, sie hätten die gleichen Rechte wie Straßenhunde.
Sie dürfen alles, schließlich zahlen sie ja auch dafür. Würden sich die
Tourist*innen im Spiegel der Wasseroberfläche als Deppen wiedererkennen?
8. Reduzieren Sie Ihren eigenen Willen
Das wichtigste Wort in Dalmatien lautet „Može!“. Es bedeutet so viel wie:
„Geht klar!“ Es wird bei allen möglichen Gelegenheiten in verschiedenen
Varianten benutzt. Was es aber nie bedeutet: dass man sich auf dieses
Versprechen verlassen kann. „Može!“ will dem Gegenüber lediglich das Gef�…
geben: Alles ist möglich, wir sind hier schließlich im Paradies.
Merken Sie sich aber unbedingt, dass auch die Frage, ob Sie noch ein Glas
Wein möchten, „Može?“ lautet und die einzig richtige Antwort darauf:
„Može!“. Wenn Sie so weit sind, ist es zur Fjaka nicht mehr weit – so
nennen die Dalmatiner*innen den Zustand, den die Italiener als „dolce
far niente“ vermarkten. Wenn Sie von den oft eher unwirschen
Dalmatiner*innen ernst genommen werden wollen, üben Sie folgenden
Dialog und Ihnen stehen die Türen zu den privaten Wein-, Schnaps- und
Schinkenkellern weit offen:
„Oooo!“ – „Eeee!“ – „I?“ – „Aaa!?!“ – „Uuu.“ – �…
9. Hören Sie den Astronauten zu
Diskutieren Sie mit Einheimischen nicht über Impfungen, Trump, Putin oder
Brüssel. Ob in Palermo, Podgora oder Paderborn, solche Diskussionen, die
vermeintlich völkerverbindend sein sollen, enden in schlechter Laune oder
Schlägereien. Der einfachste Weg, herauszubekommen, wie die Leute ticken,
deren Land Sie besuchen, ist das Radio. Hören Sie tagein, tagaus den
Popsender des Landes und lassen sich von der KI die Texte übersetzen.
Sie werden mehr erfahren, als wenn Sie die lokalen Zeitungen lesen.
Einerseits wird es sehr viel um die schöne Heimat und die dramatische Liebe
gehen. Sie werden aber auch von Astronauten wie Valentino Boškovic hören,
der im Mittelalter mit einer Holzrakete auf den Mars flog, weil es ihm zu
engstirnig, kleingeistig und ungemütlich auf seiner dalmatinischen Insel
wurde.
26 Jul 2025
## LINKS
[1] /!vn6054879/
[2] https://www.youtube.com/watch?v=xID4W2hq20I
[3] /Nach-schlechter-Ernte/!6029148
## AUTOREN
Doris Akrap
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