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# taz.de -- Drama „Vox Lux“ von Brady Corbet: An sich selbst zweifelnde Diva
> Brady Corbet gelingt mit „Vox Lux“ ein böses Porträt der modernen USA.
> Natalie Portman begeistert mit ihrer Darstellung als zerrissener Popstar.
Bild: Die erwachsene Celeste ist ein zerrissener, arroganter und zugleich unsic…
Wenn ein gerade mal 30 Jahre junger Regisseur seinem erst zweiten Film den
Untertitel „A Twenty-First Century Portrait“ gibt, dann darf man sich auf
einiges gefasst machen. Und was Brady Corbet vom ersten Moment seines Films
„Vox Lux“ an zeigt, ist, dass er ein Autor und Regisseur ist, der sich
nicht mit Halbgarem zufrieden gibt, der nicht einfach eine kleine
Geschichte erzählen will, sondern jemand, der danach strebt, ein Auteur im
klassischen, auch ein bisschen prätentiösen Sinne zu sein.
Nicht immer gelingt es Corbet dabei, die Fäden unter Kontrolle zu halten,
nicht alle Wagnisse gehen auf; doch wer so viel Ambitionen zeigt, den muss
man zumindest respektieren.
Als Gegenstück zu seinem Debüt „The Childhood of a Leader“ hat Corbet „…
Lux“ beschrieben, nur dass es diesmal nicht um die Jugend eines zukünftigen
faschistischen Diktators geht, sondern um den Aufstieg eines Popstars. Doch
in Corbets radikalem, zynischem Blick ist das nicht etwas völlig anderes.
## Projektionsfläche für unbedarfte Teenagerseelen
Zu Beginn des Jahrtausends wird Celeste (Raffey Cassidy) bei einem
Schulmassaker schwer verwundet. Bei der Trauerfeier singt sie einen Song,
den sie zusammen mit ihrer Schwester Eleanor (Stacy Martin) geschrieben
hat. Tatsächlich hat der australische EDM-Star Sia die Songs für den Film
geschrieben, während der vor drei Monaten verstorbene Experimentalmusiker
Scott Walker – passenderweise in jungen Jahren selbst ein Teenie-Star – die
düster dräuende Filmmusik beisteuerte.
Sie wird entdeckt und dank eines schmierigen, namenlosen Agenten (Jude Law)
zum Superstar. Nicht ihr gar nicht mal besonders ausgeprägtes Talent ist
Ursache ihres Ruhms, sondern ihre Geschichte: die Tatsache, dass sie als
Opfer und Überlebende eines Anschlags als Projektionsfläche für unbedarfte
Teenagerseelen taugt.
„Genesis“ heißt dieser erste Teil ganz unbescheiden, der nicht zufällig
auch während des 11. September spielt. Dann ein Schnitt, es ist 2017,
„Regeneration“ heißt der zweite Akt, der mit einem Terroranschlag in
Kroatien beginnt, die Täter tragen Masken aus einem Video von Celeste, der
bezeichnende Name des Songs: „Hologramm“.
Celeste (nun gespielt von einer sensationell guten Natalie Portman) hat
schwere Jahre hinter sich, Drogenexzesse, Unfälle, ist Tochter der
halbwüchsigen Albertine (erneut Raffey Cassidy) und steht vor ihrem
Comeback.
## Popkultur und Terror
Die Popkultur der Gegenwart, glitzernde Kostüme, bombastisch aufgestylte
Frisuren, Posen, nichts als Posen. Nur um Aufmerksamkeit geht es, um
Wahrnehmung. Wer nicht in der Öffentlichkeit steht, der existiert nicht,
das gilt für Popstars ebenso wie für eine der vielen Terrorgruppen, die
irgendwo auf der Welt einen Anschlag verüben, möglichst auffällig und
mediengerecht.
In Bekennerschreiben werden dann irgendwelche politischen Motive
vorgeschoben, die meist ebenso irrelevant sind wie die angeblich
sozialkritischen Botschaften der Popmusik. „Alles, was diese ultrabrutalen
Gruppen wollen, ist Aufmerksamkeit“, sagt Celeste in einem selbstreflexiven
Moment zu einem Journalisten, „würde man sie nicht beachten, würden sie
aufhören zu existieren.“ Um nach einem kurzen Moment nachzuschieben: „So
wie Menschen wie ich auch.“
Ob die These der Ähnlichkeit zwischen Aufmerksamkeitsstrukturen von
Popkultur und Terror haltbar ist, sei dahingestellt, Corbet stellt sie nur
in den Raum und überlässt die Antwort dem Zuschauer. Die politische
Entwicklung der westlichen Öffentlichkeit bleibt ständiges
Hintergrundrauschen, das gerade im betont lakonischen
Voiceover-Kommentar – gesprochen von Willem Dafoe – immer wieder
angedeutet wird, aber doch immer, man könnte sagen: natürlich, hinter die
glatte Oberfläche der Welt eines Popstars zurückfällt.
Besonders im zweiten Teil, wenn Natalie Portman als Celeste mit fiebriger
Energie die Bühne betritt, kommt „Vox Lux“ erst richtig in Fahrt. Aus dem
etwas unscheinbaren, zwar selbstbewussten, aber noch unsicheren
Teenager-Mädchen ist nun eine arrogante, laute, aber doch stets an sich
selbst zweifelnde Diva geworden.
## Möglicherweise ein Faust’scher Pakt
Angesichts der exaltierten Kostüme und Frisuren mag man hier an Lady Gaga
oder Katy Perry denken oder an einen der vielen anderen Popstars unserer
Zeit, deren Persönlichkeiten hinter Fassaden von Make-up und einem alles
kontrollierenden Publicity-Apparat kaum noch zu erkennen sind.
Mit größter Lust an gestischer und mimischer Überzeichnung stürzt sich
Portman in diese Rolle, spielt so nah am Camp wie noch nie, ohne ihre Figur
jemals in die Lächerlichkeit zu ziehen. Immer wieder zerbricht ihre
makellose Fassade, mag man ahnen, welch zerrissener Charakter die Jahre im
Scheinwerferlicht nur durch immer größere Mengen Alkohol und Drogen
durchgestanden hat.
Wenn sie dann am Ende zu ihrem großen Auftritt in ihrer Heimat Staten
Island auf die Bühne geht, mag das geografisch zwar ein Nach-Hause-Kommen
sein, doch emotional könnte Celeste sich nicht weiter entfernt haben. Nur
eine kurze Bootsfahrt ist die kleine Insel von Manhattan entfernt, doch
zwischen den langweiligen grauen Reihenhäusern der Schlafstadt und den
glitzernden Gebäuden der Metropole liegen wahrlich Welten.
Möglicherweise ist es ein Faust’scher Pakt, den Celeste einst geschlossen
hat, um dahin zu kommen, wo sie heute ist. Es liegt nahe, diesen Gedanken
auch auf die westliche Welt zu übertragen, auf die Kosten des gierigen,
zerstörerischen Lebensstils, der zu ungeahntem Wohlstand geführt hat, der
nur scheinbar keinen Preis hat. Welche persönlichen und gesellschaftlichen
Kosten der westliche Lebensstil haben kann, deutet Brady Corbet in seinem
spektakulären Film an, ein böses, pointiertes, überaus ambitioniertes
Porträt des 21. Jahrhunderts.
23 Jul 2019
## AUTOREN
Michael Meyns
## TAGS
Spielfilm
Drama
Musical
Natalie Portman
Brady Corbet
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