# taz.de -- Buch zu Massenwohnungsbau in der Ukraine: In der Küche kommt man z… | |
> Die Architekturforschenden Kataryna Malaia und Philipp Meuser | |
> katalogisieren Massenwohnungsbau in der Ukraine. Ihr Buch würdigt die | |
> Rolle der Städte. | |
Bild: Großwohnsiedlung in Lwiw, Ukraine, Abbildung aus dem besprochenen Band | |
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist seit 2014 vor allem einer gegen | |
ihre Städte. Die Ukraine soll, das war und ist das Ziel Putins, durch | |
Flucht der Städter bezwungen werden, sei es, dass der Staat durch die | |
entleerten Städte zusammenbricht oder diese sich einzeln selbst Putin | |
unterwerfen müssen. Und wenn sich eine Stadt nicht umgehend ergibt, wird | |
sie bis auf die Grundmauern zerstört, man schaue nur nach Mariupol. | |
Doch Putins Strategie scheiterte. Gerade Städte wie Mykolajiw, Kyjiw, | |
Charkiw oder Odesa wurden zu Zentren des Widerstands gegen den Aggressor. | |
Nicht nur in Deutschland wurde das viel zu wenig wahrgenommen, wo die | |
Ukraine oftmals noch als Ort niedlicher Holzhausdörfer und mythischer | |
Weizenfelder gilt. Dass fast 70 Prozent der Bevölkerung in Städten wohnen – | |
wer soll das schon wissen? | |
Dies Zerrbild bricht nun ein Buch auf, zumindest für den Massenwohnungsbau. | |
Die ukrainische Architekturhistorikerin Kataryna Malaia und der Berliner | |
Architekturforscher Philipp Meuser haben es verfasst. Meuser kümmert sich | |
seit dem Ende der Sowjetunion mit immer neuen Publikationen um deren | |
gebautes Erbe. | |
Nun zeigen er und Malaia anhand katalogisch aufbereiteter | |
Baubeschreibungen, Pläne, Zeichnungen, Archivbildern und aktuellen | |
Fotografien – auch Abbildungen von Kriegszerstörungen sind dabei – eine | |
über hundertjährige Geschichte des großmaßstäblichen Wohnungsbaus in der | |
Ukraine. | |
Das beginnt mit den entindividualisierenden Serienbauten in der frühen | |
Sowjetukraine und der hoch individualisierenden Architektur in jenen | |
Teilen des heutigen Staats, die 1919 bis 1945 zu Polen gehörten. Sie | |
dokumentieren auch die Zerstörung der funktionalistischen Experimente durch | |
Stalin in den 1930ern und seinem bis 1958 dominanten Neohistorismus – siehe | |
die Prachtboulevards von Kyjiw. | |
Es geht über die in extenso ausgebreitete Typenarchitektur der Ära | |
Chruschtschows und Breschnews, die endlich die grassierende Wohnungsnot | |
lösen sollten, hebt die ersten postmodernen Plattenbauexperimente der | |
untergehenden Sowjetunion hervor und verfolgt die Architektur des | |
„Turbo-Kapitalismus und der städtischen Renaissance“ nach 1900, wie es im | |
Buch heißt, nach 1990, [1][wenn die neckisch à la „Alt-Polen“ oder | |
„Alt-Ukraine“ dekorierten Vororthäuser] Kyjiws oder jene banalen | |
Investorenarchitekturen auftauchen, die direkt aus türkischen Baukatalogen | |
zu stammen scheinen. | |
## Großartige Formen- und Farbenlust | |
Man vermisst zwar schnell die jüngste Administrationsgeschichte des | |
Wohnungsbaus. Die Stadtbauräte von Mykolajiw planen seit 2022 den | |
ökologischen Wiederaufbau für die 480.000-Einwohner-Stadt, oder der | |
Stadtarchitekt von Lwiw, Anton Kolomeytsev, erhält Mitte März den Preis der | |
Berliner Akademie der Künste für seine auch sicherheitstechnisch | |
motivierten Planungen seit 2014. Aber das sind Marginalien. Hier geht es um | |
die Grundlagen. | |
Und so wird nebenbei die großartige Formen- und Farbenlust deutlich, die | |
auch die ukrainisch-sozialistische Architektur prägte – Moskau gab nur das | |
grobe Regelwerk vor, die Planung und Ausführung geschah in den | |
Sowjetrepubliken selbst. | |
Es werden auch fundamentale Unterschiede zum Massenwohnungsbau Deutschlands | |
klar, West- wie Ostdeutschlands: Toiletten erhalten eigene Räume, tief im | |
Gebäudeinneren verborgene, faktisch fensterlose Funktionsküchen konnten | |
ukrainische Baukombinate wohl nie durchsetzen. Ukrainer:innen wollen | |
offenbar zusammensitzen und dabei gemeinsam nach draußen, auf ihre Stadt, | |
sehen können. | |
26 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Nikolaus Bernau | |
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