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# taz.de -- Gefährdete Architektur in Zentralasien: Abrissbirne für die Sowje…
> In Usbekistan und Kirgistan stehen einzigartige Zeugnisse der
> sowjetischen Moderne. Zugunsten teurer Neubauten droht die Architektur zu
> verschwinden.
Bild: Theologe und Mathematiker Alī al-Qūschdschī auf der Wand eines sowjeti…
Taschkent und Bischkek taz | Während Kirgistan vor allem mit seiner
Landschaft punktet, sind es in Usbekistan die historischen Bauwerke,
besonders die Unesco-Weltkulturerbe-Stätten islamischer Architektur, die
die Herzen der Tourist:innen höher schlagen lassen. Doch Bischkek und
Taschkent haben eine auffällige Gemeinsamkeit: Die sowjetische Moderne,
besonders die Ornamente, Mosaike und Wandbilder auf den Plattenhäusern,
sind im Stadtbild omnipräsent.
Der Grafikdesigner Aleksander Fedorov, als Kind russischer Eltern in
Kasachstan geboren, aufgewachsen in Taschkent, initiierte 2020 das Projekt
„Tashkent Modernism“ und [1][dokumentiert seither in Form von Videos auf
Instagram regelmäßig den Zustand sowjetischer moderner Architektur in
Taschkent.] Zuletzt lenkte er Aufmerksamkeit auf ein vom Abriss bedrohtes
sowjetisches Mosaik in der Innenstadt und konnte es so vorerst retten.
Grund für die Herausbildung eines eigenen Stils im Usbekistan der 1960er
bis 1980er Jahre war eine historische Tragödie: [2][Am 26. April 1966
wurden durch ein Erdbeben die Häuser auf einer Fläche von 10
Quadratkilometern der mehr als 2.000 Jahre alten Stadt fast gänzlich
zerstört.] Tote gab es erstaunlicherweise nur wenige, 1.710
Bewohner:innen trugen jedoch Verletzungen davon. 300.000 Menschen
wurden obdachlos.
In Folge reisten aus der ganzen Sowjetunion Architekt:innen an, um die
frei gewordene Fläche mit Häusern zu bebauen, die den seismischen Wellen
standhalten können, und die neuen großen Betonformationen und -platten mit
Stirnfassaden aus Mosaiken und Ornamenten zu verkleiden; bis heute gilt es
als planwirtschaftliches Architektur-Vorzeigeprojekt. Die „Sowjetische
Moderne mit östlichem Kolorit“ war geboren.
## Ein Plattenbau, der mit Mosaiken liebäugelt
Der oftmals als monoton herabgewürdigte Plattenbau aus Beton liebäugelt in
dieser Stadt mit Mosaiken und Ornamenten, zumeist auch usbekischen Motiven.
Diese Kombination aus industriell vorgefertigtem Beton und dekorativen
Elementen wie Mosaiken und Ornamenten sei ein Alleinstellungsmerkmal für
die Taschkenter Moderne, schreibt Philipp Meuser in seinem
„Architekturführer Usbekistan“, der den Begriff der „Seismischen Moderne…
für Taschkent etablierte.
Immer mehr dieser einzigartigen Gebäude wurden jedoch in den letzten Jahren
abgerissen. Als kulturelles Erbe, so scheint es, werden die Mosaike nicht
angesehen, dabei sind sie doch sowjetisch und usbekisch bzw. kirgisisch
zugleich.
Schuld an der fehlenden Wertschätzung ist jedoch kein erstarkendes
Nationalbewusstsein oder postkoloniale Kritik, wie etwa in der Ukraine
dieser Tage. Viele Taschkenter würden aus finanziellen Gründen nicht reisen
können und demnach nicht den Blick durch den Vergleich mit anderem für das
„Eigene“ schärfen können, sagt der Architektur-Aktivist Fedorov. Die
Wandbilder der sowjetischen Moderne werden schlicht nicht wertgeschätzt.
Doch langsam, aber sicher erkennen auch staatliche Institutionen den Wert
des Taschkenter Architekturerbes: Mitte Oktober lud die „Stiftung für die
Entwicklung von Kultur und Kunst“, dem usbekischen Ministerkabinett
unterstellt, im nationalen Kunstmuseum internationale Forscher:innen und
Architekt:innen zu einer Konferenz ein. Das Projekt der staatlichen
Stiftung trägt mit „Tashkent. Modernism XX/XXI“ einen Namen, der dem
Projekt Federovs erstaunlich ähnelt.
Federov postet seit 2017 seine Plakate öffentlich und präsentierte in
diesem Sommer mit Hilfe der Schweizer Botschaft eine multimediale
Ausstellung zur Taschkenter Moderne. Auch die im April aufgezogene
staatliche Instagram-Seite heißt mit [3][„Tashkent Modernism“] genauso wie
die des Aktivisten Fedorov. Der benennt eine strukturelle Komponente, warum
das architektonische Erbe lange vernachlässigt wurde: Für korrupte
Machenschaften rentiere sich Neubau, nicht Restauration.
## 6.479 Privatwohnungen seit 2019 abgerissen
Nach dem Tod des langjährigen, diktatorisch regierenden usbekischen
Präsidenten Islom Karimov löste ihn Shavkat Mirziyoyev 2016 ab, der mit
Reformen nachhaltige Veränderungen in Usbekistan bewirkte, etwa die
weitgehende Abschaffung der Kinderarbeit auf den Baumwollplantagen und eine
verbesserte Trinkwasserversorgung, sodass nunmehr 73 Prozent der
Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser haben.
Doch diese sichtlichen Erfolge trügen über andere Entwicklungen hinweg: So
wurde 2016 ein staatlicher Umbau der Infrastruktur initiiert, der Tausende
Menschen wohnungslos machte. Dieser Umbau heißt in Usbekistan offiziell
„Perestrojka“. Seitdem fallen reihenweise Häuser der Abrissbirne zum
Opfer: Seit 2016 wurden allein aufgrund von „staatlichen Interessen“ 6.479
Privatwohnungen und -häuser abgerissen.
Nicht mit eingerechnet sind die vielen Abrisse aus privatwirtschaftlichem
Interesse, die örtliche Politiker genehmigten, obwohl das Oberste Gericht
Usbekistans sie in den meisten Fällen für rechtswidrig erklärte. Viele
Abrisse wurden gänzlich ohne oder mit zu später Vorwarnung umgesetzt; die
meisten Menschen haben zu niedrige oder keine Kompensationen bekommen.
Neugebaut wird im westlichen Stil. Die neuen Business-Skyliner und
Wohnkomplexe sind jedoch weder für eine breite Bevölkerung erschwinglich,
noch reicht etwa der durchaus beeindruckend in den Himmel hinaufragende,
266,5 Meter hohe Tower im Stadtzentrum Taschkents „Nest One“ ästhetisch an
das heran, was die Platten bieten.
## Der „Verbund Russland“
Die Nähe zu Russland wird weiterhin seitens des Staats sowohl in Usbekistan
als auch in Kirgistan betont – trotz vereinzelter Abgrenzungsversuche in
den letzten Jahren. Im Reisebus bei einer russischsprachigen
Sightseeingtour etwa wurde die „Eroberung“ Usbekistans durch das Russische
Imperium 1860 beschönigend als Beginn einer „neuen Ära“ geframt.
Die Frage nach der Beziehung zu Russland stellen sich auch die Kirgisen:
Auf dem zentralen Platz in Bischkek wurde 2017 ein Denkmal anlässlich des
100-jährigen Jubiläums des „freiwilligen Eintritts“ Kirgistans in den
„Verbund Russland“ errichtet. Interessant ist hierbei weniger, dass der
blutige Charakter der Bürgerkriege in den 1910er und 20er Jahren keine
Erwähnung findet. Wirklich infam ist vielmehr die Behauptung des
„freiwilligen“ Eintritts angesichts des kolonialen Machtgefüges innerhalb
der Sowjetunion, wo ethnische Russ:innen strukturell begünstigt wurden.
Viele junge Usbek:innen und Kirgis:innen sehen trotz der potenziellen
Gefahr Russlands für ihre Souveränität in den Metropolen Moskau und Sankt
Petersburg eine Zukunft, sowohl im Sinne von Hochschulbildung als auch der
Arbeitsmigration.
Bis heute kann man sich visafrei zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken
bewegen, was seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine einigen
russischen und belarusischen Oppositionellen schon die Flucht vor
Strafverfolgung ermöglicht hat. Doch dieser Schutzraum geht aufgrund
[4][staatlicher Liebeleien mit der russischen Regierung] verloren. Sowohl
Kasachstan als auch Kirgistan haben 2023 Aktivisten inhaftiert oder an
Russland ausgeliefert.
Doch zurück zur Architektur. Laut dem kirgisischen Architekten Meder
Achmetov ist die kirgisische sowjetische Moderne im Vergleich zu Usbekistan
deutlich weniger dekorativ und ornamental. Neben typischen Mosaiken zu
Völkerfreundschaft, Sport- und Kosmos-Motiven gibt es jene, die
traditionelle kirgisische Ornamente aufgreifen.
Im Umgang mit sowjetischer Architektur macht er auf einen Widerspruch
aufmerksam, der auch in Usbekistan zu beobachten ist: Im Allgemeinen gelten
sowjetische Gebäude in der Bevölkerung zwar als rückständig und nicht
prestigeträchtig.
## Eine kitschige Architektur mit geringen Sicherheitsauflagen
Gleichzeitig loben die Menschen die in der Sowjetzeit errichteten Gebäude,
weil sie unter strengeren Bauvorschriften errichtet wurden, insbesondere
was seismologische Fragen betrifft. In einem jetzt privatwirtschaftlich
organisierten korrupten Umfeld stehen Sicherheitsfragen hintenan,
architektonisch ist heute Kitsch im Trend; neoklassizistische Elitehäuser,
die alles „Postsowjetische“ überwinden.
Die eigene Geschichte, sie wird vielerorts momentan aus dem öffentlichen
Raum ausradiert. In dem 2023 veröffentlichten Buch „Labyrinthe des
postkolonialen Diskurses“ machen die kasachischen Autor:innen auf
Entfremdungserfahrungen aufgrund verschiedener Herrschaftsgefüge
aufmerksam: Es begann unter sowjetischer Kolonialherrschaft und streckt
sich bis in die Gegenwart, wo Privatwirtschaft und westliche Trends dem
Stadtbild ihren Stempel aufdrücken. Die Frage nach dem sowjetischen
Architekturerbe, sie muss wohl auch politisch aufgearbeitet wie beantwortet
werden.
13 Nov 2023
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/tashkent_modernism?igshid=MzRlODBiNWFlZA%3D%3D
[2] /Reise-durchs-postsowjetische-Usbekistan/!5921342
[3] https://www.instagram.com/tashkentmodernism/
[4] /Meduza-Auswahl-12-18-Oktober/!5967381
## AUTOREN
Philine Bickhardt
## TAGS
Architektur
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