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# taz.de -- Moderne Kunst in Zentralasien: Wie Kunst und Geopolitik zusammenhä…
> Usbekistan und Kasachstan investieren massiv in die zeitgenössische
> Kunst. Welche Politik verfolgen die postsowjetischen Länder damit?
Bild: Größe zeigen in Kasachstan: eine Skulptur von Jaume Plensa vor dem neue…
Die Kompassnadel der Kunstwelt zeigt jetzt zur alten Seidenstraße. Mit
einer Flut von Eröffnungen neuer Museen, frisch renovierten
Kulturerbestätten und einer Kunstbiennale sandte man kürzlich von dort aus
ein klares Signal an die internationale Presse: Die postsowjetischen Länder
Usbekistan und Kasachstan setzen jetzt auf Kunst und Kultur – für die
Entwicklung im eigenen Land und vor allem, um globale Relevanz zu
behaupten.
Die Kunstwelt verschiebt sich, und ein Brennpunkt dessen ist die erste
Buchara-Biennale im historischen Zentrum der usbekischen
Unesco-Weltkulturerbestadt. Dort bietet man derzeit einem ausländischen,
mittlerweile vollkommen von der aktuellen Überpolitisierung der Kunst
übersättigten Publikum ganz viel Unbeschwertes, Sinnliches, geradezu
Traumhaftes.
„Recipes for Broken Hearts“ nennt die US-amerikanische Kuratorin Diana
Campbell ihre Buchara-Biennale. Schon Monate vor der Eröffnung in diesem
September hatte sie internationale Künstler mit usbekischen
Meisterhandwerkern zusammengebracht. Was man nun in Buchara in vielfältiger
Gestalt zu sehen bekommt, ist meist gemeinsam vor Ort erarbeitet worden.
Und dies vor einer Kulisse wie aus einem orientalistischen Fiebertraum:
Entlang des alten Schahrudkanals, getaucht in die Sandsteinfarben einer
teils tausend Jahre alten Architektur, gibt es Dichtung und Musik bei
Vollmond oder Klänge treten aus Gewölben ehemaliger Karawansereien heraus.
Himali Singh Soin und David Soin Tappeser spannten ein handgewebtes Textil
in labyrinthischen Bahnen über ein Gewässer; Subodh Gupta konstruierte ein
Kuppelgebäude allein aus Emailleschüsseln, an manchen Tagen wird darin
Essen zubereitet. Der Titel der Biennale bezieht sich auf eine usbekische
Legende über ein herzhaftes Gericht, das eines Prinzen gebrochenes Herz
heilen sollte. Campbells Kunstschau ist Balsam und Guilty Pleasure
zugleich.
## Ehrgeizige Transformation unter neuem Präsidenten
Unter Präsident Shavkat Mirziyoyev [1][hat Usbekistan eine ehrgeizige
kulturelle Transformation im postsowjetischen Zentralasien] in Angriff
genommen. Und finanziert wird dies vor allem von der staatlichen Stiftung
für Kunst- und Kultur (ACDF), auch die Buchara-Biennale. Die kühnste
Machtdemonstration der Mirziyoyev-Regierung bislang ist das neue Staatliche
Kunstmuseum, das im März 2028 in der Hauptstadt Taschkent eröffnen soll.
Der Mammutbau soll zum größten Ausstellungsraum in Zentralasien werden und
mehr als 40.000 Quadratmeter bespielbare Fläche umfassen, davon etwa 8.500
Quadratmeter für Ausstellungen. Entworfen wird der Bau von dem japanischen
Stararchitekten Tadao Ando und dem Stuttgarter
Ausstellungsdesignspezialisten Atelier Brückner, realisiert vom
chinesischen Bauriesen CSCEC International.
Sehr viel kleiner ist da das neu eröffnete Centre for Contemporary Arts
(CCA) in Taschkent. Dessen künstlerische Leitung übernimmt eine ehemalige
Kuratorin aus dem New Yorker Guggenheim-Museum, Sara Raza. Der umgebaute
Industriekomplex von 1912 ist die erste Einrichtung Zentralasiens, die sich
allein der Gegenwartskunst widmet. Auch das CCA wird finanziert von der
ACDF. Die Stiftung lässt derzeit zahlreiche Museen im Land renovieren, ein
anderes in Buchara von der international gefeierten Architektin Lina
Ghotmeh neu bauen.
[2][Was treibt Usbekistan an, derart in zeitgenössische Kunst zu
investieren?] Das an Bodenschätzen reiche Binnenland hat Geld, ist seit
2015 Partner der Belt and Road Initiative, Chinas multinationalem
Infrastrukturprogramm. Zwei der Hauptrouten verlaufen durch Usbekistan,
auch alle vier Korridore der Gasleitung zwischen Zentralasien und China.
Darüber hinaus öffnet sich Usbekistan dem Weltmarkt, wird zunehmend auch
für europäische Unternehmen interessant. Laut Weltbank wuchs Usbekistans
BIP im Jahr 2024 um 6,5 Prozent.
## Folter in der Haft ist üblich
Doch bleibt im Land die Menschenrechtsproblematik – obwohl die Kunstwelt in
dieser Frage nicht gerade für ihre Integrität bekannt ist, ohne Bedenken
zieht jetzt die Kunstmesse Art Basel auch nach Katar. Laut einem jüngeren
Bericht der NGO Freedom House wird Usbekistan als „unfrei“ eingestuft.
Unter Präsident Shavkat Mirziyoyev sind Oppositionsparteien oder freie
Versammlungen nicht geduldet, staatlich kontrollierte Medien, Justiz und
Legislative fungieren weitgehend als Instrumente der Exekutive. Es herrscht
keine Meinungsfreiheit, Folter in der Haft ist üblich.
Bei seinem Amtsantritt 2016 hat Mirziyoyev Reformen angekündigt, 2017 ließ
er die ACDF gründen. Die ist seither international tätig: Plötzlich ist
Usbekistan auf den Biennalen von Venedig präsent oder verleiht seine
archäologischen Schätze für Ausstellungen im Pariser Louvre oder in der
Berliner James-Simon-Galerie. Das überwiegend sunnitisch-muslimische Land
stärkt auch seine Verbindungen zum Nahen Osten: 2023 nahm es an der ersten
[3][Biennale für Islamische Kunst im saudi-arabischen Dschidda] teil und
präsentierte sich auf der Architektur-Triennale in Schardscha.
Während Usbekistans internationale Ziele im Kultursektor offen von der
Regierung verfolgt werden, sind bei seinem nördlichen Nachbarn Kasachstan –
der größten Volkswirtschaft Zentralasiens – vor allem schwerreiche
Geschäftsleute die Antreiber. Im September eröffneten in der Hauptstadt
Almaty fast gleichzeitig zwei große Kunstinstitutionen: das Almaty Museum
of Arts (AMA), finanziert von dem Gas- und Einzelhandelsmagnaten Nurlan
Smagulov, und das Tselinny Center of Contemporary Culture des
Geschäftsmanns Kairat Boranbayev.
Das AMA ist ein glitzernder Neubaukoloss für Smagulovs Privatsammlung, die
er angibt, dem Staat übergeben zu wollen. Skulpturen auf seinem Vorplatz
von internationalen Größen [4][wie Alicja Kwade], Jaume Plensa und
[5][Yinka Shonibare] zeigen schon von außen, dass Smagulov hier mit
globalen Ambitionen und kuratorischer Stärke auffallen will.
## Hybrides Regime mit autoritären Zügen
Aber was bedeutet Privateigentum in Kasachstan, das formal eine
demokratische Republik ist, in der Praxis jedoch ein hybrides Regime mit
autoritären Zügen, auch von Freedom House als „unfrei“ eingestuft? Die
Geschichte von Kairat Boranbayev sorgt für Stirnrunzeln: Im Jahr 2023 wurde
er wegen Unterschlagung und Geldwäsche im Zusammenhang mit Gasimporten zu
acht Jahren Haft und zwangsweiser Einziehung seines Vermögens verurteilt.
Nachdem er freiwillig Vermögenswerte an den Staat übertragen hatte, wurde
Boranbayev freigelassen. Das Kunstzentrum Tselinny sei von der Lage seines
Financiers nicht betroffen, beteuert man dort der Presse.
Das 1964 noch unter Chruschtschow erbaute einstige [6][Kinogebäude war ein
Leuchtturm der Sowjetmoderne], nach Zerfall der UdSSR Nachtclub, dann
Hochzeitslocation, dann Ruine. Der britische Architekt Asif Khan und seine
Frau, die kasachische Architektin Zaure Aitayeva, bauten es nun zu einer
luftigen Bauskulptur um. Deren Betonfassade ist gefaltet wie ein
Plisseerock und mit Motiven nach dem Vorbild sowjetischer Sgraffito und
antiker kasachischer Petroglyphen versehen.
In Almaty entsteht der Eindruck einer Kultur im Wandel, die sich ihrer
nomadischen Ursprünge bewusst ist und vorsichtig versucht, die Schichten
und Jahrhunderte der Kolonialherrschaft – der zunächst osmanischen, dann
sowjetischen – abzutragen. In den 1930er Jahren führte Stalins erzwungene
Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion zum Tod von bis zu
1,5 Millionen Menschen, darunter überwiegend ethnische Kasachen.
Etwa zwanzig Jahre später initiierte Chruschtschow die „Neulandkampagne“,
die darauf abzielte, die Nahrungsmittelproduktion durch die Urbarmachung
von Land vor allem in Kasachstan, aber auch in Teilen Sibiriens und anderen
Regionen drastisch zu steigern. Sie veränderte Kasachstan demografisch und
landschaftlich enorm, viele Russischsprachige siedelten sich an. Heute
verläuft die längste Landgrenze der Welt zwischen Kasachstan und Russland.
Noch immer ist jede Diskussion über die bewegte Vergangenheit diplomatisch
heikel.
## Videoarbeit über sowjetische Atomtests
Insofern steckt ein gewisser Mut darin, das glitzernde AMA mit einer
Retrospektive der Künstlerin Almagul Menlibayeva zu eröffnen und auch ihre
kritische Videoarbeit über das sowjetische Atombombentestgebiet
Semipalatinsk in der kasachischen Steppe zu zeigen.
Selbst die Ausstellung bedeutender internationaler Künstler unterstreicht
offenbar nicht nur die Kaufkraft des Museums, wie die monumentale, mit
dicken Schichten aus Öl oder Blei angefertigte Gemäldeserie von [7][Anselm
Kiefer] andeutet. Sie trägt den Titel „Questi scritti, quando verranno
bruciati, daranno finalmente un po’ di luce“ (Diese Schriften werden, wenn
sie verbrannt werden, endlich ein wenig Licht spenden) und wurde direkt
nach ihrer Präsentation 2022 im Palazzo Ducale in Venedig vom AMA erworben.
Zur selben Zeit wurde ganz Kasachstan von gewalttätigen Protesten gegen die
Regierung mit vielen Toten erfasst. Die gesellschaftlichen Unruhen damals
sollen den Anstoß für den Erwerb gegeben haben, sagt die Direktorin des
AMA, Meruyert Kaliveya, „die universelle Botschaft der Hoffnung, die der
Titel vermittelt, hat uns angesprochen“. Vorsichtig scheinen in Kasachstans
neu gegründeten Kunstinstitutionen auch politische Diskurse geführt zu
werden. Wenn auch erst einmal große internationale Namen dabei helfen
müssen, schwierige Themen öffentlich zu erschließen.
5 Nov 2025
## LINKS
[1] /Reise-durchs-postsowjetische-Usbekistan/!5921342
[2] /Artwashing-bei-der-Kunstbiennale-Venedig/!6008606
[3] /Kunstbiennale-in-Saudi-Arabien/!6071128
[4] /Kulturarbeit-fuer-Saudi-Arabien/!5970595
[5] /Nigerianische-Kunst-in-Venedig/!6030713
[6] /Architektonisches-Tauwetter-in-Jerewan/!5661304
[7] /Wim-Wenders-portraetiert-Anselm-Kiefer/!5962510
## AUTOREN
Hili Perlson
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