| # taz.de -- Reise durchs postsowjetische Usbekistan: Das Erbe einer Diktatur | |
| > Usbekistan zählte lange zu den repressivsten Staaten der Welt. Bei der | |
| > Öffnung des Landes spielt die Kultur eine große Rolle. | |
| Bild: Der Registan-Platz in Samarkand ist ein beliebtes Fotomotiv. Touristen ko… | |
| Usbekistan will neutral sein. Im Ukrainekrieg schlägt sich die ehemalige | |
| Sowjetrepublik, die traditionell enge wirtschaftliche Beziehungen zu | |
| Russland pflegt, auf keine Seite. Seit Kriegsbeginn liegt daher auch | |
| Usbekistan im Fokus von Russ:innen, die ihr Land zu Hunderttausenden | |
| verlassen. Genaue Zahlen gibt es nicht, allein im letzten September kamen | |
| jedoch über 80.000 Russ:innen in dem zentralasiatischen Staat an. | |
| Svetlana Chistiakova ist eine von ihnen. Sie fühle sich hier wohl, sagt | |
| sie: „Russisch verstehen fast alle.“ Arbeitete sie zuvor im | |
| Social-Media-Team der Tretjakow-Galerie in Moskau, ist sie nun bei der 2017 | |
| gegründeten staatlichen Art and Culture Development Foundation angestellt, | |
| die den kulturellen Austausch mit anderen Ländern fördern will und | |
| Pressevertreter:innen durch das zuvor abgeschottete Usbekistan führt. | |
| Usbekistan galt lange als eine der repressivsten Diktaturen der Welt. Nach | |
| dem Tod des Alleinherrschers Islam Karimow 2016 will sein Parteigenosse und | |
| neuer Präsident Schawkat Mirsijojew das Land, das über Bodenschätze wie | |
| Erdgas, Gold und Uran verfügt, nun öffnen. Von einem abgeschlagenen 166. | |
| Platz ist Usbekistan in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne | |
| Grenzen auf Rang 133 emporgeklettert. Laut Amnesty International ist Folter | |
| in usbekischen Gefängnissen jedoch weiterhin an der Tagesordnung, eine | |
| politische Opposition existiert nicht. | |
| [1][Kulturell birgt der mit 36 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste | |
| zentralasiatische Staat großen Reichtum.] Einzigartig etwa ist der Platz | |
| Registan in Samarkand, der mit drei Medressen, Islamschulen aus dem 15. | |
| und 17. Jahrhundert, gesäumt ist. Westlichen Touristen begegnet man eher | |
| selten. So selten, dass immer wieder Trauben usbekischer Schulkinder | |
| auftauchen, die neugierig nach dem Leben im Ausland fragen. | |
| ## Usbekischer Präsident eröffnet Berliner Ausstellung | |
| Unter dem letzten Präsidenten waren Ausstellungskooperationen quasi | |
| unmöglich, sagt Manfred Nawroth. Er kuratiert mit sichtlich großer | |
| Begeisterung nun eine Ausstellung des Berliner Museums für Vor- und | |
| Frühgeschichte, das ab dem 4. Mai erstmals „Archäologische Schätze aus | |
| Usbekistan“ zeigt. Eine Seltenheit, zu der sich Bundespräsident | |
| Frank-Walter Steinmeier und auch das usbekische Staatsoberhaupt einfinden | |
| werden. Im Fokus steht die Zeitspanne vom 4. Jahrhundert vor bis zum 4. | |
| Jahrhundert nach Christus, angefangen von den Feldzügen Alexanders des | |
| Großen bis hin zum Reich der Kuschan, das sich über Zentralasien und den | |
| Norden Indiens erstreckte. | |
| Wohl nirgends sieht man den Einfluss der verschiedenen Kulturen besser | |
| vereint als in den Fundstücken aus Chaltschajan, einem Palast der Kuschan, | |
| der im Süden des heutigen Usbekistans stand. Hellenistische Säulenelemente | |
| führen zu einem Wandfries, das auch nomadische Reiterfiguren zeigt. | |
| Ungewohnt: Einige der Figuren tragen Schnurrbärte. „Das war die | |
| traditionelle Barttracht der Kuschan“, sagt Jangar Ilyasov vom Institut für | |
| Kunstwissenschaften der usbekischen Akademie der Wissenschaften in | |
| Taschkent, in dem die Überreste aus Chaltschajan lagern. | |
| Über Indien gelangte unter den Kuschan schließlich ein weiter Einfluss in | |
| die Region: der Buddhismus. Lange bevor die Religion in Ostasien Eingang | |
| ins Kunsthandwerk fand, entstanden auf dem Gebiet des heutigen Usbekistan | |
| die ersten buddhistischen Kunstwerke. Auch hier ist der hellenistische | |
| Einschlag gut erkennbar: Die steinernen Statuen erinnern eher an die Nike | |
| von Samothrake als an japanische Daibutsus. | |
| Zur Volksreligion sei der Buddhismus jedoch nicht geworden, sagt Ilyasov. | |
| Die Bevölkerung sei größtenteils zoroastrisch geblieben. Heute zählen sich | |
| etwa 90 Prozent der Usbek:innen zu den sunnitischen Muslimen. Dass | |
| Usbekistan ein säkularer Staat ist – Wein wird fast überall getrunken, | |
| Restaurants bleiben auch zu Ramadan geöffnet –, ist wohl dem | |
| religionskritischen Sowjetregime geschuldet. Trotzdem forderten nach dem | |
| Zerfall der Sowjetunion islamistische Gruppierungen die Einführung der | |
| Scharia und die Gründung eines islamischen Staats. Präsident Karimow ging | |
| in der Folge hart gegen tatsächliche und mutmaßliche Islamisten vor. | |
| ## Tausend weiße Chevrolets | |
| Diktaturen lassen sich manchmal am Stadtbild ablesen. In Usbekistan sind es | |
| die Autos, die 25 Jahre totalitäre Herrschaft bezeugen, denn aufgrund einer | |
| Kooperation mit General Motors wurden im größten Autowerk des Landes | |
| ausschließlich Chevrolets produziert. Da die Temperaturen im Sommer gut 40 | |
| Grad erreichen, sind zudem fast alle Wagen weiß – der Großteil der | |
| Usbek:innen fährt also das gleiche Auto. | |
| Außerhalb der Städte fährt man in Usbekistan allerdings ohnehin schlecht, | |
| da die mit Kratern versehenen Straßen die Reise durch sich wandelnde | |
| Landschaften aus rotem und gelben Gestein, Steppe, sattgrünen Hügeln und | |
| dem sich bis nach Tadschikistan erstreckenden Hissargebirge deutlich | |
| verlangsamen. | |
| Die Dörfer am Wegesrand wirken dabei teilweise so, als nähmen sie von der | |
| Schnellstraße kaum Notiz: Kinder, die Schafe hüten und auf Eseln schaukelnd | |
| dahertraben, Frauen in bunten Tuniken, die vor mit Wellblech gedeckten | |
| Häusern zusammensitzen. Sogar Männer, die sich auf Pferden mit | |
| traditionellen Sattelteppichen zu einem Rennen unten im Tal einfinden, | |
| passiert man. | |
| Wasser gibt es in der kargen Landschaft wenig. Seit Stalin die Usbekische | |
| Sozialistische Sowjetrepublik zu einem der größten Baumwollproduzenten | |
| weltweit erkor, trocknen die für die Bewässerung genutzten Flüsse aus. Das | |
| Verschwinden des Aralsees – einst fast so groß wie Bayern, heute um 90 | |
| Prozent geschrumpft – ist eine beispiellose Umweltkatastrophe. „Die | |
| Kleinkinder wussten früher nicht, was ein Feld ist, erst unter den Sowjets | |
| sind sie so weit gekommen, dass sie schon in den Windeln aufs Feld kommen“, | |
| schreibt Uchqun Nazarow in „Das Jahr des Skorpions“. | |
| Nicht nur unter den Sowjets: Kinder und Zwangsarbeiter:innen wurden | |
| bis in die 2010er Jahre hinein zur Baumwollernte verpflichtet. Laut der | |
| Internationalen Arbeitsorganisation ILO gab es zuletzt jedoch erhebliche | |
| Fortschritte. Kinderarbeit wurde demnach nur noch vereinzelt gemeldet, die | |
| Zahl der Zwangsarbeiter:innen sank auf unter 4 Prozent. | |
| ## Fünf Jahre Haft auf Präsidentenbeleidigung | |
| Kritik an Präsident Mirsijojew äußert auf dieser Reise niemand. | |
| Verständlich, stehen auf Präsidentenbeleidigung doch fünf Jahre Haft. | |
| Betont wird immer wieder der wirtschaftliche Aufschwung, der Usbekistan in | |
| den letzten Jahren ereilte. Und wirklich wird in den Städten überall | |
| gebaut, neue Wohnhäuser säumen die breiten, zu Sowjetzeiten angelegten | |
| Straßen. Viele stehen jedoch gänzlich leer. 15 Prozent der Usbek:innen | |
| leben unterhalb der Armutsgrenze, eine breite Mittelschicht gibt es nicht. | |
| Der Art and Culture Development Foundation kommt im neuen Usbekistan viel | |
| Macht zu. Alle großen Museen des Landes sind ihr nun direkt unterstellt. | |
| Etwas formelhaft sprechen Kunstwissenschaftler, Touristenführerinnen und | |
| Archäologen ihr immer wieder Dank aus. | |
| Archäologie scheint in Usbekistan lange keinen hohen Stellenwert gehabt zu | |
| haben. Mitten im historischen Zentrum Bucharas, das zum | |
| Unesco-Weltkulturerbe zählt, ist ein großes Areal in der Zitadelle Ark für | |
| Besucher:innen abgesperrt. Archäologen aus Frankreich und der | |
| Sowjetunion haben hier einmal gegraben, ansonsten sei wenig passiert, sagt | |
| der Kunsthistoriker Bobiz Kabilov, der die Grabungen verantwortet, die erst | |
| seit einem Jahr wieder auf dem Gelände anlaufen. | |
| Andernorts ist es bereits zu spät. Der buddhistische Tempelkomplex Karatepa | |
| liegt westlich der Stadt Termiz. Von hier aus kann man über den Amudarja | |
| bis nach Afghanistan blicken. Grabungen haben hier bereits stattgefunden, | |
| doch das Gelände selbst verwittert zunehmend. Die 1.800 Jahre alten Wände | |
| zieren Graffiti und Einkerbungen, die wohl aus diesem Jahrhundert stammen. | |
| Anregend restauriert ist hingegen das nebenan liegende Kloster Fayaz-Tepa, | |
| dessen von Japan finanzierter Kuppelbau sich beinahe futuristisch in die | |
| staubige Wüstenlandschaft einfügt. | |
| ## Wunderschöne Plattenbauten | |
| Weniger restauriert als komplett neugebaut wurde die usbekische Hauptstadt. | |
| Bei dem Erdbeben von 1966, das aufgrund von vertikalen statt horizontalen | |
| Erdstößen die Gebäude nicht einstürzen ließ und somit nur acht Menschen das | |
| Leben kostete, wurden große Teile des Taschkenter Stadtzentrums zerstört. | |
| In der Folge kamen Architekt:innen und Bauarbeiter aus der gesamten | |
| Sowjetunion, um – wirklich – wunderschöne Plattenbauten zu errichten, die | |
| an traditionelle Textilmuster erinnernde Fassadenelemente, | |
| sozialistische Wandbilder sowie detailreiche Mosaike der Brüder Nikolay, | |
| Peter und Alexander Zharsky zieren. | |
| In Taschkent soll im nächsten Jahr auch das erste Museum für | |
| zeitgenössische Kunst in Usbekistan eröffnen. Die hatte es im Land bislang | |
| nämlich schwer, sagt Svetlana Chistiakova von der Art and Culture | |
| Development Foundation. Die jüngsten Bilder, die im State Museum of Art in | |
| Taschkent zu sehen sind, haben in der Tat keine Sprengkraft. | |
| Affirmativ rekurrieren sie eher auf ein von den Sowjets propagiertes | |
| Arbeiter- und Baumwollidyll als auf die moderne, junge usbekische | |
| Bevölkerung. Zwar gebe es auch heute einige Tabuthemen, unter Islam Karimow | |
| habe kritische Kunst jedoch keine Chance gehabt, sagt Chistiakova, „das war | |
| genauso, wie es heute in Russland ist“. | |
| Transparenzhinweis: Die Recherche erfolgte mit Unterstützung der | |
| usbekischen Art and Culture Development Foundation. | |
| 31 Mar 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Reisen-in-Usbekistan/!5030370 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
| ## TAGS | |
| Usbekistan | |
| Archäologie | |
| Diktatur | |
| Sowjetunion | |
| GNS | |
| Usbekistan | |
| Architektur | |
| Usbekistan | |
| zeitgenössische Fotografie | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Literatur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Moderne Kunst in Zentralasien: Wie Kunst und Geopolitik zusammenhängen | |
| Usbekistan und Kasachstan investieren massiv in die zeitgenössische Kunst. | |
| Welche Politik verfolgen die postsowjetischen Länder damit? | |
| Gefährdete Architektur in Zentralasien: Abrissbirne für die Sowjetmoderne | |
| In Usbekistan und Kirgistan stehen einzigartige Zeugnisse der sowjetischen | |
| Moderne. Zugunsten teurer Neubauten droht die Architektur zu verschwinden. | |
| Verfassungsreferendum in Usbekistan: Noch ausbaufähig | |
| Die Verfassungsänderungen in Usbekistan sollen demokratische Reformen | |
| ermöglichen. Doch ob Präsident Mirziyoyew es ernst meint, wird sich erst | |
| zeigen. | |
| Foto-Ausstellung in Berlin: Europas Nabel wandert | |
| Die Fotografin Patricia Morosan begab sich auf die Suche nach dem | |
| Mittelpunkt Europas. „(I) Remember Europe“ ist in der Galerie Franzkowiak | |
| zu sehen. | |
| Zentralasiens Blick auf Russland: Angst vor dem großen Nachbarn | |
| Viele in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens schauen ängstlich | |
| auf Russland. Sie fragen sich, ob sie Putins nächstes Kriegsziel werden. | |
| Schriftsteller Artur Klinaŭ über Belarus: „Öffentlichkeit ist gefährlich�… | |
| Der Schriftsteller Artur Klinaŭ aus Belarus kritisiert, dass die Politik | |
| der EU sein Land in Russlands Arme treibt. Auch die Opposition mache | |
| Fehler. | |
| Usbekische Popqueen Usmanova: Liederkrieg nach dem Pogrom | |
| In Mittelasien kennt jeder Yulduz Usmanova. Seit sie in einem Lied die | |
| Kirgisen für die Pogrome gegen Usbeken verantwortlich machte, sind die Fans | |
| gespalten. |