# taz.de -- 16. Tanzplattform Freiburg: Zukunft ungewiss | |
> In Performancestilen und Körpern zeigte sich die 16. Tanzplattform | |
> divers. Künstlerisch harmonisch, hadert die Tanzszene mit finanziellen | |
> Problemen. | |
Bild: Leisa Prowd in „Harmonia“ von Unusual Symptoms, einer mixed-abled Com… | |
Der Tanz lebt, das ist sicher die größte Botschaft, die von dieser 16. | |
Tanzplattform Deutschland ausging, welche von Mittwoch bis Sonntag in | |
Freiburg erstmalig an einem Stadttheater stattfand. Die Tanzplattform | |
versteht sich dabei nicht als reine Leistungsschau, sondern hat gerade bei | |
dieser Ausgabe in die verschiedenen Communitys reingehört. Wo also steht | |
der zeitgenössische Tanz dieser Tage? | |
Etwas, das sich feststellen lässt: [1][Tanz ist fast immer queer und | |
weiblich dominiert]. Mitunter sahen Besucher*innen einen ganzen Tag | |
keinen Mann auf der Bühne. Dabei hat allerdings das Label „queer“ jegliches | |
Unterscheidungsmerkmal verloren. Im zeitgenössischen Tanz ist queer | |
schlicht Mainstream. Es sind neue Begrifflichkeiten von Nöten, um die | |
aktivistisch aufgeladene Vokabel nicht zu einer leeren Hülle werden zu | |
lassen. | |
Da ist etwa die multipel sexuell aufgeladene Bühnenplanscherei „Wetland“ | |
von Katharina Senzenberger, die in einem Becken ein ganzes Formenrepertoire | |
queerer Praktiken abspult. Später gleiten die fünf Performer*innen in | |
großer Geste auf einem dünnen Wasserfilm hin und her, was trotz der großen | |
Power nur bedingt überzeugt. | |
Ähnliches gilt für „Lounge“ von Marga Alfeirão, in dem Mariana Benengue … | |
Myriam Lucas zu elektronischer Musik zwischen Porno-Gesten und Momenten | |
großer Intimität hin und her changieren, ohne aber so Recht vom Fleck zu | |
kommen. Beide Abende litten in Freiburg unter suboptimalen | |
Aufführungsbedingungen mit zu flachen Publikumsrampen und entsprechend | |
schlechter Sicht auf vielen Plätzen. | |
## Striptease oder Lapdance | |
Aber reicht es, Gesten aus dem Striptease oder [2][Lapdance] zu | |
reproduzieren, um sie sich dann scheinbar subversiv in einer Pose des | |
Emprowerments anzueignen? Eine Frage, die sich auch bei „Harmonia“ von | |
Unusual Symptoms, einer mixed-abled Company mit körperbeeinträchtigten und | |
nicht beeinträchtigten Performer*innen stellt. Wenn sich die | |
kleinwüchsige Performerin Leisa Prowd lasziv über einen Stuhl räkelt und | |
das Publikum sie anfeuert, erzeugt dies spannende Momente, die auch eigene | |
Wahrnehmungsmuster hinterfragen. | |
Zugleich steht gerade „Harmonia“ für einen weiteren klaren Punkt in einer | |
seit langem laufenden Entwicklung: die Absage an den perfekten jungen | |
Körper zugunsten einer hohen Diversität an Körperbildern. So besteht das | |
Dance On Ensemble, das auf der Tanzplattform mit dem Stück „Mellowing“ von | |
Christos Papadopoulos auftrat, ausschließlich aus Tänzer*innen über 40 | |
Jahren, was früher das Karriereende bedeutete. 75 Minuten lang liefern sie | |
in einer äußerst präzisen Trippelschrittchoreografie. Wie Vogelschwärme | |
fallen sie zusammen und auseinander und liefern einen Kontrapunkt zum | |
vorgeblichen Diskurszwang. | |
Immer wichtiger in der Tanzcommunity scheint das aktive Sich-öffnen in | |
Richtung neuer Publikumsgruppen. Ritta Mazza etwa kommt aus dem Bereich | |
[3][Gebärdensprache und versucht synästhetisch Rhythmus nur mit Körper und | |
Licht] einzufangen und spielt in „Matters of Rhythm“ ein unhörbares Lied. | |
An der Decke baumeln ein paar nackte Glühbirnen, auf dem Boden verstreut | |
finden sich seltsame Folienhaufen und mitten drin die unaufgeregte, | |
geradezu freundlich einladende Rita Mazza. Zunächst in Dirigentinnenpose, | |
aber bald in filigranem Wechselspiel zwischen Licht und Geste, Tanz und | |
Objekten (in der Lichtchoreografie von Hanna Kritten Tangsoo) entwickelt | |
dieses Stück ein unmerkliches Leuchten samt Verzauberung. | |
Bezaubernd ist auch Anna Tills „Schwanensee in Sneakers“ (entwickelt mit | |
Nora Otte), das als erstes Stück für ein junges Publikum auf die Plattform | |
gekommen ist. Till besticht durch einen unprätentiösen, aber umso | |
witzigeren Ritt durch die Tanzgeschichte. Tümay Kılınçel verhandelt in „We | |
♥ 2 Raqs“ neue Zugänge zum Bauchtanz, und Ligia Lewis deckt in „A Plot /… | |
Scandal“, das bereits mit dem Faust-Preis ausgezeichnet wurde, | |
postkoloniale Geschichte auf. | |
## Wegfall der Corona-Hilfen | |
Alles gut im Tanz, könnte man nach den fünf Tagen Tanzplattform resümieren. | |
Doch die Stimmung unter den Künstler*innen ist nicht die beste. Der | |
Wegfall der Corona-Hilfen bedeutet weniger Produktionen, weniger | |
Arbeitsmöglichkeiten, weniger Jobs. | |
„Wir sind wieder auf dem Normal vor Corona, und das heißt, es ist | |
schlecht“, sagt eine Teilnehmerin. Immer mehr Akteure bewerben sich nun bei | |
den Förderinstitutionen um im besten Fall stagnierende Töpfe. Dabei steigen | |
die Kosten, denn nicht nur die Inflation schlägt zu, auch die mittlerweile | |
geltenden Honoraruntergrenzen treiben die Produktionspreise nach oben. | |
Gerade die Jüngeren, die am Anfang ihrer Karriere stehen, blicken in die | |
Zukunft wie in ein schwarzes Loch, denn sie haben bisher nur die jetzt | |
luxuriös [4][wirkenden Arbeitsbedingungen unter den Corona-Schirmen] | |
kennengelernt. | |
Die Tanzplattform braucht sich indes um ihre Zukunft nicht zu sorgen. Die | |
nächste Ausgabe wird 2026 in Dresden stattfinden. | |
27 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Tanztage-in-den-Berliner-Sophienslen/!5979892 | |
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[4] /Kulturschaffende-in-Coronakrise/!5672708 | |
## AUTOREN | |
Torben Ibs | |
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