# taz.de -- Fotoausstellung zur Sophienstraße: Zeigt her eure Straße | |
> Zur 750-Jahr-Feier 1987 wurde die Sophienstraße saniert und von Günter | |
> Schabowski abgenommen. Klaus Bädicker hat die Bauarbeiten dokumentiert. | |
Bild: Auftrag erledigt, Genosse: Günter Schabowski am 5. Juni 1987 vor der Bä… | |
Der 5. Juni 1987 war ein Freitag. [1][Klaus Bädicker] erinnert sich noch | |
genau an den Tag. „Schon morgens waren alle Mülleimer in die Höfe gestellt | |
und die Türen verschlossen worden“, sagt Bädicker. „Dann kam er.“ Er, d… | |
war [2][Günter Schabowski], seit zwei Jahren Erster Sekretär der | |
SED-Bezirksleitung in Berlin, Hauptstadt der DDR. Seine Aufgabe: Eine | |
sanierte Straße abnehmen. | |
Auf dem Regiezettel von Schabowski stand, er solle spontan mit einer | |
Rentnerin ein Gespräch beginnen, die sich aus dem Fenster beugt. So hat es | |
Bädicker kurz darauf erfahren. „Schabowski war ja eher so ein jovialer | |
Typ“, lächelt Bädicker. „Als sich dann eine Frau aus dem Fenster beugte, | |
hat er ihr zugerufen: Wie gefällt es Ihnen hier? Sie hat geantwortet: | |
Kommse mal rauf. Nüscht funktioniert hier.“ Die Genossin, mit der | |
Schabowski eigentlich sprechen sollte, öffnete ihr Fenster kurz danach. „Zu | |
spät“, lacht Bädicker. | |
Klaus Bädicker, damals 42 Jahre alt, hat diesen Moment nicht mit der Kamera | |
festgehalten. Vor der Bäckerei von Waltraud Balzer in der Sophienstraße | |
30–31 hat er Schabowski aber vor die Linse bekommen. Leicht vorneüber | |
gebeugt begrüßt der SED-Funktionär eine Delegation. Das Prestigeprojekt für | |
die 750-Jahr-Feier in Ost-Berlin war abgeschlossen. Auftrag erfüllt. | |
## 400 Meter Vorzeigestraße | |
Eine Vorzeigestraße war die Sophienstraße nun. 400 Meter Protokollstrecke, | |
auf der zwischen Rosenthaler Straße und Großer Hamburger Straße gezeigt | |
wurde, dass der Sozialismus auch Historisches bewahren kann. So wie in der | |
Husemannstraße in Prenzlauer Berg, die ebenso zur 750-Jahr-Feier | |
hergerichtet wurde. Sechs Jahre lang waren die Bauarbeiter in der Straße | |
zugange. Die Sophienstraße mit ihren Höfen und Häusern aus dem 18. und 19. | |
Jahrhundert war als Handwerkerstraße wieder zum Leben erwacht. Auf einer | |
Brandmauer zur Rosenthaler Straße hin stand nun „Handwerk & Tradition“. | |
Klaus Bädicker arbeitete damals für die kommunale Wohnungsverwaltung. Als | |
Fotograf hat er das Sanierungsgeschehen in der Spandauer Vorstadt | |
dokumentiert. Und auch den Abriss. „In der Mulackstraße sollten viele | |
Altbauten für Plattenbauten weichen“, sagt Bädicker im Garten der | |
Restauration „[3][Sophien 11“]. „Aber dagegen hat sich Widerstand geregt.… | |
Auch die Aktivitäten der „Bürgerinitiative Spandauer Vorstadt“ hat Bädic… | |
mit der Kamera begleitet. | |
Bädicker kann viele solcher Geschichten erzählen. Am liebsten aber lässt er | |
seine Fotografien sprechen. Viele von ihnen werden am Samstag in der | |
Sophienstraße an alte Zeiten erinnern. Am Zaun zum Kirchhof der | |
Sophiengemeinde werden sie zu sehen sein. In der Sophienstraße findet ein | |
Straßenfest statt, und natürlich spielt da auch die Geschichte eine Rolle. | |
Für Franziska Werner wird das Fest auch ein Abschied sein. In diesem Jahr | |
endet ihre Zeit als künstlerische Leiterin der [4][Sophiensæle]. Die | |
befinden sich im Hof der Sophienstraße 18. Schon um 1900 fand im | |
historischen Handwerkervereinshaus Kultur statt. Später zog dann | |
revolutionärer Geist ein. Karl Liebknecht rief in den Sälen 1918 zur | |
Revolution auf, 1920 vereinigten sich dort KPD und USPD. Zu DDR-Zeiten eine | |
Werkstätte des Gorki-Theaters, etablierten die Tänzerin und Choregrafin | |
[5][Sasha Waltz] und der Tacheles-Gründer Jochen Sandig die Sophiensæle | |
nach der Wende als Produktions- und Spielstätte für freies Theater. | |
## Nachbarschaftlicher Charakter | |
Auch Franziska Werner ist zum Gespräch mit Klaus Bädicker in die „Sophien | |
11“ gekommen. Schon bevor sie 2011 die künstlerische Leitung der | |
Sophiensæle übernahm, hatte sie die Straße und ihren Charme kennengelernt. | |
„1995 hab ich Theaterwissenschaften studiert“, erzählt sie. „Als ich dam… | |
anfing, hat mir die Straße sehr gefallen, das war noch nicht so ein | |
durchgentrifiziertes Mitte-Ding.“ | |
Ihren nachbarschaftlichen Charakter hat die Straße bis heute nicht | |
verloren, findet Franziska Werner. „Wir haben im Programm immer wieder | |
Formate wie die Kiezkantine“, sagt sie. Künstlerinnen und Künstler treffen | |
auf ihre Nachbarschaft, auch wenn die sich verändert hat. | |
Eine Handwerkerstraße ist die Sophienstraße schon lange nicht mehr. | |
Waltraud Balzer musste ihre Bäckerei 2016 schließen, andere alte Läden | |
waren da schon weg. Nun sind neue da wie Atheist Shoes oder ein | |
Motorrollerhändler. Und natürlich die Hackeschen und die Sophie-Gips-Höfe. | |
Neben dem Sophieneck an der Großen Hamburger Straße ist die „Sophien 11“ | |
heute einer der wenigen Orte mit Geschichte. Der Biergarten ist allerdings | |
erst nach der Wende entstanden. Bei der Abnahme am 5. Juni 1987 standen im | |
Hof noch Mülltonnen. Den Schnaps, den sich der Genosse Schabowski nach | |
getaner Arbeit gönnte, musste er im Schankraum zu sich nehmen. | |
9 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] http://www.baedicker.de/ | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCnter_Schabowski | |
[3] http://restauration-sophien11.de/ | |
[4] https://sophiensaele.com/de | |
[5] https://www.sashawaltz.de/ | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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