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# taz.de -- 30 Jahre Hausbesetzungen in Ostberlin: Der Sommer der Anarchie
> Vor 30 Jahren wurden erste Häuser in Ostberlin besetzt – auch die
> Linienstraße 206, eine Art Denkmal für die linke Szene. Ex-BesetzerInnen
> erzählen.
Bild: Eine Art Denkmal für die linke Szene: das Haus Linienstraße 206 heute
Berlin taz | Es war ein Tischler namens Springer, mit dem alles begonnen
hat. 1826 ließ er an der Einmündung der ehemaligen „Todtengasse“ in die
Linienstraße ein Mietshaus errichten. Vier Geschosse hatte es und eine
bauhistorisch wertvolle „hölzerne Treppenanlage um ein nahezu quadratisches
Treppenauge“. So steht es in der Denkmalliste des Landes Berlin.
Eine Art Denkmal ist die Linienstraße 206 auch für die linke Szene. Kurz
nach dem 1. Mai 1990 wurde das Haus an der Ecke Kleine Rosenthaler Straße,
wie die Todtengasse inzwischen heißt, besetzt. Die bemalten Fassaden sind
noch heute zu sehen, ein irritierender Kontrast zur durchgestylten
Spandauer Vorstadt in Mitte. Und eine Aufforderung, sich noch einmal zu
erinnern an eine Zeit, in der in Ostberlin (fast) alles möglich war.
Der lange Sommer der Anarchie begann eigentlich schon im Winter. Am 22.
Dezember 1989 hängten die Bewohnerinnen und Bewohner der Schönhauser Allee
20 in Prenzlauer Berg Transparente aus ihren Fenstern – und machten ihre
bis dahin stille Besetzung öffentlich. Es war ein Signal an andere, es
ihnen gleichzutun. Bis zum Februar 1990 zählte der Telegraph, die
Zeitschrift der linken DDR-Opposition, 20 besetzte Häuser. Die meisten von
ihnen befanden sich in Prenzlauer Berg. In Friedrichshain waren zu diesem
Zeitpunkt nur zwei Häuser besetzt, in Mitte sogar nur eines. Es war die
Köpenicker Straße 137, die der Telegraph eine „Ost-West-Besetzung“ nannte.
Eine zweite gemischte Besetzung gab es in der Kastanienallee 85/86.
Erstmals beteiligten sich damit auch Leute aus Westberlin an den
Besetzungen. „Diese Westbesetzer legten auch noch bedachte Zurückhaltung an
den Tag“, lobte der Telegraph in einem Beitrag von 1995. „Sie zollten dem
Umstand Rechnung, dass sie in einem fremden Land mit ihnen völlig fremden
Verhaltensweisen eine kleine Minderheit waren.“
## „Bevor es zu spät ist“
Doch bald wurde aus der Minderheit eine Mehrheit, und daran war die
Oppositionszeitschrift, die aus dem Umweltblättern hervorgegangen ist,
nicht ganz unschuldig. Im April verfasste der Telegraph einen Aufruf an
„Frauen und Männer aus Ost und West, sich diese Häuser zu nehmen, bevor es
zu spät ist“.
„Diese Häuser“, das waren vor allem Gründerzeithäuser in Friedrichshain,
darunter auch in der Mainzer Straße und der Rigaer Straße, die statt der
Kommunalen Wohnungsverwaltung eine Tochter der „Neuen Heimat“ sanieren und
bewirtschaften sollte. Der Aufruf erschien auch im Westberliner Szeneblatt
Interim.
Nach dem Aufruf machten sich auch eine Gruppe von Studierenden des
Otto-Suhr-Instituts, der Geschichtswerkstatt Lichtenrade und anderen
Leuten, die sie kannten, auf die Suche. Und fanden schließlich das Haus des
ehemaligen Tischlers namens Springer. Am 5. Mai 1990 wurde die Linienstraße
206 besetzt. Sehr zum Missfallen einer Ostberliner Genossenschaft, die das
Haus in der Spandauer Vorstadt vor dem Abriss gerettet hat und selbst
nutzen wollte.
Anfang Mai waren in Ost-Berlin bereits 50 Häuser besetzt. Bis August stieg
die Zahl auf 120. Die Hoffnung des Telegraph, dass es wie in der „Köpi“ und
der Kastanienallee zu weiteren „Ost-West-Besetzungen“ kommen würde,
erfüllte sich freilich nicht. „Die Massenbesetzungen wurden fast
ausschließlich von Westberlinern vollzogen“, hieß es bald im Telegraph.
„Durch diesen Umstand kippte das Verhältnis Ost-West völlig in Richtung
Westbesetzer.“
## Schock für die Besetzerbewegung
Auch die „Linie“ war ein reines Westhaus. Doch ihre Bewohnerinnen und
Bewohner gingen ein Experiment ein. Zusammen mit der Lottumstraße 10A,
einem reinen Osthaus, gründete sie einem gemeinsamen Verein namens „Flotte
Lotte – flinke Linke“. Bald unternahmen die Besetzer aus beiden Häusern
gemeinsame Ausflüge ins Umland und an die Ostsee. Bis heute ist dieser
Ost-West-Kontakt der beiden „Schwesterhäuser“ geblieben.
Als im November 1990 die Mainzer Straße geräumt wurde, bekam die
Linienstraße neue Bewohner. Sie nahm junge Antifas der „Jugendfront“ auf,
die zuvor in der Mainzer gelebt hatten. Fortan war in der „Linie“
scherzhaft von den „Kleinen“ und den „Erwachsenen“ die Rede.
Die Räumung war ein Schock für die Ostberliner Besetzerbewegung. Der
„B-Rat“ der Besetzerinnen und Besetzer war zu diesem Zeitpunkt längst
gescheitert, unter anderem am Ost-West-Konflikt. In Prenzlauer Berg
verhandelte ein runder Tisch über Verträge mit den
Wohnungsbaugesellschaften. Andere Häuser in anderen Bezirken versuchten
ebenfalls zu retten, was zu retten ist.
Auch die Linienstraße 206 bekam 1991 Verträge. Die bewahrten die
Bewohnerinnen und Bewohner im Mai 2016 aber nicht vor einer Teilräumung.
Für eine Wohnung und einen Gemeinschaftsraum hatten die Eigentümer, zwei
Berliner Geschäftsleute, einen Räumungstitel erwirkt. Danach war die
Linienstraße in eine Art Dornröschenschlaf gefallen. Inzwischen aber haben
sie neue Bewohner wieder zum Leben erweckt. Hinter der bröckeligen Fassade
rumort es also wieder. Auch neue Kontakte in die Nachbarschaft wurden
geknüpft, heißt es von den Besetzerinnen und Besetzern. Fast klingt es, als
ließe sich die Zeit noch einmal zurückdrehen.
##
## Das Klassentreffen
## Dreißig Jahre nach der Besetzung der Linienstraße 206 erinnern sich zehn
Besetzerinnen und Besetzer an die Zeit, in der alles möglich war, an die
ersten Ost-West-Beziehungen und an ihr Leben nach dem Besetzen
## Wie sich die Gruppe findet
Michl: Als ich das Haus zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich gefragt,
ob das überhaupt bewohnbar ist. Der erste Eindruck war der einer Ruine. Ich
bin damals mit der Kamera durchs Haus und habe von jedem Raum aus
verschiedenen Perspektiven ein Foto gemacht, um das zu dokumentieren. Hätte
ja sein können, dass uns später jemand den Vorwurf macht, wir hätten das
kaputtgemacht.
Nico: Bei den Vorbereitungstreffen zur 1.-Mai-Demo 1990 habe ich Rüdi
kennengelernt. Wir waren eine große Gruppe und wollten zusammenwohnen. Mit
Rüdi bin ich mit dem Motorrad rumgefahren, wir haben uns gesagt: Vielleicht
finden wir ja ein Haus. Dann sind wir an der Linie vorbeigekommen, und das
Haus war auf. Rüdi und ich sind dann rein und haben geguckt. Wow, super.
Das ist es.
Rüdiger: Als Nico und ich reingingen, staunten wir, dass es besenrein war.
Wir haben uns gefragt, warum das so ist. Später haben wir erfahren, dass
sich da schon eine Genossenschaft drum gekümmert hat, die das Haus vor dem
Abriss gerettet hat. Die hatten die Sprengung verhindert, haben die
Sprenglöcher zugeschmiert und auch ein Schloss rangemacht, was bei uns aber
nicht mehr da war. Später gab es mit der Genossenschaft eine
Auseinandersetzung. Die wollten das Haus wieder zurück haben. Da haben
sich auch Vermittler aus der Besetzerszene und der Politik eingeschaltet.
Das Ende vom Lied war dann, dass die Genossenschaft zugestimmt hat, dass
wir da bleiben.
Nico: Als wir gesehen haben, dass das Schloss offen war, haben wir ganz
schnell ein Treffen im Mehringhof gemacht. Da haben wir beschlossen, am
nächsten Tag gesammelt reinzugehen. Das war dann am 5. Mai 1990.
Rüdiger: Ich war 26. Die Gruppe, die das Haus besetzt hat, ist über Jahre
hinweg über bestimmte Kleingruppen entstanden. Es war klar, dass wir
zusammenwohnen wollten. Gleichzeitig gab es Diskussionen darüber, ob es
legitim ist, in Ostberlin Häuser zu besetzen.
Sönke: Ich war auch 26 und wohnte mit Rüdiger in einer WG. Es war also
keine unmittelbare Wohnungsnot, aus der heraus wir besetzt haben. Eher war
es so, dass Teile der Westberliner Szene nach Ostberlin in dieses Vakuum
ausgewichen sind und es nach und nach gefüllt haben. Ich gehörte zu einer
Gruppe aus Lichtenrade, die dort bei der Geschichtswerkstatt aktiv war.
Viele andere kamen vom Otto-Suhr-Institut an der FU Berlin.
Markus: Ich war damals 24 und habe am OSI studiert. Von der Uni kannte ich
Sönke und Rüdi, die andern habe ich erst später kennengelernt.
Michl: Ich war damals 25 Jahre alt und gehörte zu einer Gruppe, die schon
gegen den Internationalen Währungsfonds 1988 demonstriert hat und dann zur
Besetzergruppe dazugestoßen ist. Wir waren eine Bezugsgruppe und wollten
irgendwann auch zusammenwohnen. Das war in Westberlin nicht möglich. Also
sind wir in den Osten.
Nico: Ich bin über meine damalige Frauengruppe zur 1.-Mai-Vorbereitung
gestoßen. Da trafen wir auch Rüdi, Sönke und die anderen.
Sonja: Ich war über den Winter gar nicht in Berlin, und als ich im April in
meine WG zurückkam, steckten sie schon voll in den Vorbereitungen. Mir war
sofort klar, da mache ich mit.
David: Ich bin übers OSI gekommen, das war eine Woche nach der Besetzung.
Zwei meiner Freunde, die schon im Haus waren, meinten, dass da der
akademische Flügel gestärkt werden muss. (lacht)
Sonja: Weil der proletarische Flügel schon so stark war?
David: Wie auch immer. Auf jeden Fall bin ich eine Woche nach der Besetzung
dahin geworben worden. Als ich da aufgeschlagen bin, fand ich es aber
sofort sympathisch.
Sonja: Und viele kannten sich über Nicaragua. Das waren ganz
unterschiedliche politische Zusammenhänge.
Oliver: Ich bin später dazugekommen. Ich gehörte auch zu denen, die aus dem
OSI zur Gruppe stießen. Ich war 25 und habe in einer Apotheke als Bote
gejobbt. Als es dann hieß, es ginge um die Linienstraße 206, kannte ich das
Haus schon von einer Party. Es war charmant und aufregend.
Norbert: Ich war 25 und bin damals über einen Freund in die Linienstraße
gekommen. Im Haus habe ich noch zwei, drei andere Leute getroffen, die ich
schon kannte, und Michl meinte einfach: Wenn’s dir gefällt, dann bleib doch
hier. Ich musste da gar nichts entscheiden. Mir war sofort klar: Das ist
es.
Pari: Ich gehöre zu denen, die im November 1990 in der Mainzer Straße
geräumt wurden. Nachdem ich dann einen Monat woanders gewohnt habe, meinten
welche aus der Linienstraße, die ich kannte, dass ein paar von uns auch
dorthin ziehen könnten. So sind welche von uns in die Rigaer Straße
gegangen und ein paar in die Linie. Ich war 21.
Oliver: Nach der Räumung der Mainzer Straße zogen Leute von der
Antifa-Jugendfront ein, die damals gefühlt ziemlich viel jünger waren.
Heute würde ich sagen, die sind so alt wie wir, aber damals lagen ein paar
Jahre dazwischen. Da war es schon ein Unterschied, ob du 25 bist oder 20.
Eine war sogar erst 16. Da gab es Konflikte, zum Beispiel wie wir Ordnung
halten. Für die waren wir die Erwachsenen, wir haben sie scherzhaft immer
die Kinder genannt. Da ging es auch darum, wer das Sagen hat. Für die waren
wir Spießer.
Pari: Eine Gruppe in der Gruppe waren wir aber nicht. Ich selbst habe mich
gleich mit den Frauen in der Linie gut verstanden. Mit der Zeit hab ich
mich denen sogar fast näher gefühlt. Insgesamt kam mir die Linie etwas
reifer vor, auch organisierter, in der Mainzer war alles chaotischer. In
der Linie haben mich die Solidarität und diese Kultur des Miteinanders
fasziniert. Ich habe es als liebevoll empfunden.
## Ein Haus erwacht zum Leben
Rüdiger: Das Haus hatte einen unglaublichen Charme. Ich hab mich gleich in
die Linie verliebt.
Oliver: Das Haus war magisch. Wenn du an den Putz geklopft hast, kam der
runter, und dahinter waren Strohmatten. Die waren an Holzwände getackert.
Da bekam man eine Vorstellung davon, wie Menschen früher gelebt haben,
dabei war es kein Armenhaus.
Pari: Die Linie war etwas ganz Besonderes. Ich musste es erst mal kapieren
mit den beiden Treppenhäusern.
Oliver: Keiner von uns war Experte im Bauen, aber viele haben sich die
Expertise dann angeeignet. Einer hat mit echtem Lehmputz seine Wand noch
mal neu gemacht. Eine andere war plötzlich Expertin darin, Kachelöfen zu
reparieren. Mit unseren bescheidenen Kenntnissen und Mitteln haben wir
versucht, das Haus zu bewahren. Es war ein besonderes Haus.
Michl: Es wäre überhaupt nicht bewohnbar geworden, wenn wir da nicht viel
Arbeit reingesteckt hätten. Die Fenster sind alle neu, das Heizungssystem
ist erneuert, das Stromnetz wurde teilweise erneuert, die Wasserleitungen,
Bäder wurden eingebaut.
Oliver: Als ich einzog, habe ich mir mit David oben jeweils eine Hängematte
in ein Zimmer gehängt. Wir haben uns um Musik gekümmert, und dann haben wir
da gewohnt. Wir haben oft die Zimmer und die Wohnzusammenhänge gewechselt.
Dann kam der Zeitpunkt, wo ich gesagt habe, ich kündige meine Wohnung in
Kreuzberg. Das war so ein Gefühl, Brücken abzubrechen und ins Ungewisse zu
gehen. Das wenige, was ich hatte, brachte ich in Kellern von Freunden oder
nahm es in die Linienstraße mit. Damit war klar: Ich wohne jetzt dort.
Markus: Ich war schon vorher bei den Plena dabei, aber nach der Besetzung
bin ich immer noch zwischen der Linie und meiner alten Wohnung gependelt.
Erst im September 1990 bin ich richtig eingezogen. Damals war schon einiges
gemacht im Haus. Auch die Öfen. Man konnte sich in den Zimmern aufhalten.
## Das tägliche Brot
Michl: Ich hab eine Drogistenausbildung gehabt, also eine kaufmännische
Ausbildung, und hab auch als Drogist gearbeitet. Dann wurde ich aber
arbeitslos. In dieser Zeit habe ich Entwicklungshilfeprojekte gemacht. In
Nicaragua und El Salvador. Da haben wir ein Wasserleitungssystem gebaut.
Pari war auch dabei.
Pari: Ich hatte zuvor an der Humboldt angefangen zu studieren, Spanisch und
Persisch. Auch während der Zeit in der Linienstraße habe ich
weiterstudiert. Irgendwie brauchte ich das. Es war für mich zwar ein
wichtiger Teil, drin zu sein, aber auch mein Leben draußen zu haben, für
mich zu sein und mein Ding zu machen.
Norbert: Ich hatte eine Lehre als Maschinenschlosser gemacht und mir
irgendwann die Frage gestellt, ob das mein Leben ist oder ob es noch etwas
anderes gibt. 1988 habe ich mein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg
nachgeholt und wollte eigentlich ins Ausland, bevor ich anfange zu
studieren. Ich war dann ein halbes Jahr in Nicaragua, aber das war
eigentlich viel zu kurz. Aber als ich zurück war, fiel die Mauer, und
Berlin war plötzlich der spannendste Ort der Welt. Irgendwann wurden die
ersten Häuser besetzt, selbstbestimmt leben, das hat mich fasziniert. Die
Linie war der Traum, der in Erfüllung ging.
Sönke: Ich hab damals am OSI studiert und gleichzeitig bei Rotation
gearbeitet, einem linken Buchvertriebskollektiv. Davor hab ich im Garten-
und Landschaftsbau gearbeitet. Ich hab mir meinen Lebensunterhalt immer
verdienen müssen. Das war aber bei vielen im Haus so. Entweder haben sie
studiert, schon gearbeitet oder waren noch in der Ausbildung. Wir waren
alle nicht reich, kamen aber schon aus stabilen sozialen Verhältnissen.
Sonja: Es gab eine relativ starke Handwerkerfraktion. Ich selber hab eine
Lehre angefangen.
David: Ich hab angefangen, Betreuung zu machen. Bei der Lebenshilfe. Da bin
ich noch heute.
Nico: Ich habe zur Zeit der Besetzung studiert und ein Praktikum mit
obdachlosen Frauen gemacht. 1994 habe ich im Frauenhaus angefangen.
Sonja: Die Linie war kein Intellektuellenhaus.
Rüdiger: Ich war 1989 mit der Erzieherausbildung fertig, habe danach aber
nur gejobbt. 1992 hab ich angefangen, wieder als Erzieher zu arbeiten. Als
wir reingegangen waren, haben viele ihre Tätigkeit zurückgestellt. Das ist
nachher wieder anders geworden, als das Gemeinsame, das Politische wieder
weniger wurde. 1992, 1993 haben viele wieder angefangen, sich auf ihre
alten Berufe zu stürzen, weiterzustudieren, da haben die Leute wieder mehr
ihre Dinger gemacht.
## Von Männern und Frauen
Pari: Die Frauenetage gab es schon, als ich eingezogen bin. Wir haben da
alle sehr eng zusammengewohnt. Aber es war gut, dass wir unseren Raum
hatten. Schon alleine unter Hygienegesichtspunkten. Auch die Art, über
Dinge zu reden, war anders, da waren schon kleinere oder größere Machos im
Haus, die Kämpfer und die starken Typen. Auch wie Themen eingebracht
wurden, war bei uns anders. Und die Vorstellung von manchen, alles offen zu
halten, da denkst du, boah ey, will ich das? Aber so hat es gut
funktioniert. Wir haben jeden Tag Plenum gemacht. Da waren auch die
Diskussionen zwischen Männern und Frauen wichtig.
David: Ja, dieser Anspruch, den es damals gab. Alles offen, alles
gemeinsam. Sogar das Klo!
Oliver: Die Diskussionen über Männer und Frauen haben wir schon vom OSI
mitgebracht. Wir waren auch alle in Männergruppen. Als die Frauen dann die
Frauenetage gegründet haben, gab es überhaupt keinen Widerspruch.
Nico: Da gab es am Anfang massive Widerstände von den Männern! Vieles hab
ich auch nicht verstanden und verstehen wollen. Da fielen Worte wie
Diskriminierung und so weiter. Damals habe ich mich sehr darüber aufgeregt,
heute denke ich, die Diskussionen haben sich gelohnt. Wir haben damals
heftig dagegengehalten, sagten, wir leben in einer Welt, die
männerdominiert ist, wir wollen einen Rückzugsort haben. Für die Männer,
die anfangs den völligen Freiraum und alles ganz offen wollten, war es
bestimmt hart. Wir wollten natürlich die oberste Etage, damit wir auch Ruhe
haben und keiner bei uns durchläuft.
Sonja: Es war ja nicht so, dass die Männer nicht hochkommen durften.
Nico: Als das dann mit der Frauenetage klar war, war das Leben zwischen
Männern und Frauen okay. Wir hatten auch eine gemeinschaftliche Küche.
Außerdem war keiner nachtragend. Irgendwann wurde es akzeptiert und gut.
Sonja: Das Haus war eine Einheit. Die Frauenetage war ja keine Sache, um
sich vom Rest abzukapseln.
Rüdiger: Mir war es damals wichtig, neue Lebensformen auszuprobieren. Ich
wollte aber auch nicht, dass wir uns nur um uns selber drehen. Was auch
ganz wichtig war, war Antifa, Rostock, Lichtenhagen, Hoyerswerda, diese
Geschichten spielten auch eine große Rolle.
## Und die Nachbarn?
Rüdiger: Mir persönlich war es wichtig, den Kontakt zu den Menschen
aufzunehmen, die um uns herum gewohnt haben, so eine Verankerung zu
schaffen, aber das ist uns nicht so gut gelungen. Da gab es ganz schöne
Barrieren.
Markus: Das habe ich anders wahrgenommen. Wir hatten im Erdgeschoss ein
Hauscafé, das auch Leute aus anderen besetzten Häusern mitbetrieben haben.
Sonntags haben wir dort ein Frühstückscafé organisiert. Da kamen auch
Nachbarn aus der Umgebung. Es gab dort Lesungen, zum Beispiel mit Klaus
Kordon und Heinz Knobloch, und eine Mieterberatung. Und natürlich auch
Partys. Mein Eindruck war, dass diejenigen, die zu uns ins Café kamen, sehr
aufgeschlossen waren. Die fanden es spannend, mal hinter die Kulissen eines
besetzten Hauses zu schauen.
Sönke: Wir haben Eier und Brot von der Brotfabrik vor dem Haus verkauft.
Das ist von der Nachbarschaft durchaus positiv aufgenommen worden.
## Als Westler im Osten
Nico: Ich fühlte mich fremd im Osten. Auch in dem Frauenhaus, in dem ich
arbeitete, war ich die Einzige aus dem Westen. Da hatte ich schon das
Gefühl, wir rücken denen auf die Pelle und nehmen ihnen weg, was ihnen
zusteht.
Sonja: Für mich war leben in Ostberlin in Geschichte eintauchen. Man hat ja
noch den Krieg gesehen, überall die Einschusslöcher. Der Westen war schon
viel glatter.
Nico: Wenn ich mit dem Fahrrad über die Museumsinsel fuhr, habe ich mich
wie in einem Film gefühlt, der in den zwanziger Jahren spielt. Es war zwar
kaputt, aber sehr charmant.
Markus: Vor der Besetzung war ich erst zweimal in der DDR gewesen. Einmal
war es eine organisierte Reise nach Weimar und Buchenwald. Und einmal haben
sie uns auch nicht reingelassen. So als Szene galtest du in den Augen der
Grenzer als anarchistisch.
Oliver: Dass ich plötzlich in Ostberlin lebte, war fremd, erfreulich fremd.
Wir haben ja das Abenteuer gesucht, und das war schon abenteuerlich.
Alleine die Grenzkontrollen am Rosenthaler Platz, wenn du das ganze
Baumaterial dabei hattest. Aber da war auch die Energie, alles was leer
war, zu füllen, etwas zu gestalten, zu formen. In Kreuzberg oder
Charlottenburg ging das nicht mehr, das ging nur in Ostberlin.
David: Ich war vorher schon viel in Ostberlin. Mein Vater war
Verwaltungschef der Ständigen Vertretung. Ich hatte also ein
Diplomatennummernschild an meinem Motorrad und bin überall rumgefahren.
Damals war die Grenze noch präsent, dieser repressive Staat, die Stasi, was
darf man, was nicht? Und dann ist plötzlich dieser Staat weg.
## Linien- und Lottumstraße
Nico: Der Kontakt zur Lottumstraße ist so entstanden, dass wir einfach zu
denen gegangen sind. Das fing ganz klein und nachbarschaftlich an. Wir
waren uns sofort sympathisch. Das hat gefunkt. Vielleicht auch, weil wir
nicht als Besserwessis aufgetreten sind.
Rüdiger: Die Lottum hatten wir schon vor der Besetzung kennengelernt. Die
haben uns dann auch motiviert, die Linie zu besetzen. Haben gesagt, das sei
okay und kein imperialistisches Verhalten dem Osten gegenüber.
David: Wir haben gesagt, wir brauchen Hilfe. Was können wir hier machen?
Wie geht denn das? Wir haben nicht ganz dem Klischee entsprochen, was sie
von den Wessis hatten, dass die einem immer erzählen wollen, wo es
politisch langgeht. Natürlich hatten wir das auch drauf, aber weil unsere
erste Begegnung um ganz praktische Dinge ging, war das auf Augenhöhe. Das
war ja auch ein wilder Haufen.
Sonja: Und dann haben wir den gemeinsamen Verein gegründet: „Flinke Linke –
flotte Lotte“.
Markus: Die hatten dort einen Trabi, da bin ich zum ersten Mal Trabi
gefahren. Das mit der Handschaltung war ungewöhnlich, aber die Ente hatte
auch so eine Schaltung.
Nico: Ich war tierisch neugierig, wie das Leben für die in der DDR war und
ist. Wenn man in ein anderes Land kommt, ist man auch erst mal höflich.
Vielleicht war das einer der Unterschiede. Die waren ein reines Osthaus und
wir waren ein reines Westhaus.
Pari: Im Osten war fremde Welt. Die Lottumstraße hat uns diese fremde Welt
erklärt. Das war auch spannend, was uns als Frauenetage betraf. Wir waren
alle ein bisschen theoretisch, so Feministinnen eher vom Kopf her, aber am
Ende vielleicht doch etwas verklemmt. Als wir mit den Lottums nach
Hiddensee gefahren sind, sind die alle nackig rumgerannt, und wir Frauen
dachten, oh Gott, Scham.
David: (lacht) Dabei war es da ziemlich kalt.
Pari: Die Lottum war für mich auch persönlich eine Bereicherung. Total. Ich
hatte da auch Freunde, wir haben uns unsere Geschichten erzählt. Da war
auch eine Neugierde aufeinander, die ich heute noch spüre.
Rüdiger: Mit den Leuten in der Lottum war es etwas sehr Spezielles. Wir
waren schon sehr eng miteinander verbunden. Das war eigentlich gar nicht so
üblich.
David: Aber auch die Ausflüge an den Liepnitzsee darf man nicht vergessen.
Die mit ihrem Rote-Kreuz-Ello. Wir mit unserem NVA-Ello.
## Der Sommer der Anarchie
Oliver: Das war ein magischer Sommer für mich. Absolut magisch, das ist
das, woran ich mich am deutlichsten erinnere. Dass Michl plötzlich einen
Ello von der NVA kauft, der vorne noch ’ne Luke hatte, durch die man mit
dem Maschinengewehr schießen konnte. Mit dem sind wir dann an die
Brandenburger Seen gefahren. Ein unsagbares Freiheitsgefühl.
Rüdiger: Wir haben am Strand geschlafen, gegrillt, und dabei haben wir uns
kennengelernt, der Osten und der Westen, und haben uns Geschichten erzählt
aus beiden Teilen der Stadt, wo wir herkamen. Das fand ich total
bereichernd.
Pari: Wenn ich heute an die Linienstraße denke, denke ich, was war das für
ein Geschenk. Ich konnte mich ausprobieren, habe vieles gelernt, auch über
mich. So eine Freiheit. Mit einem sehr warmen Gefühl denke ich daran. Aber
ich merke auch, dass wir damals nicht viel voneinander wussten. Aus welchen
Elternhäusern wir kamen, welche Geschichten uns geprägt haben. Aber es kann
natürlich auch sein, dass das mit 20 oder 22 gar nicht so eine Rolle
spielt. Du konntest da zu Leuten ein ganz nahes Gefühl haben, ohne zu
wissen, wie sie aufgewachsen sind.
## Der Ruf der Linie als Polithaus
Oliver: Die Linienstraße war ein politisches Haus. Wenn 25 Leute auf einem
Haufen wohnen, die nicht ganz doof sind, ist es so schon als innerer
Zusammenhang politisch. Wir haben uns über Männer und Frauen Gedanken
gemacht, es ging um Gerechtigkeitsfragen, aber auch die großen Fragen
draußen, fahren wir nach Wunsiedel zum Heß-Todestag. Wir wurden auch als
politisches Haus wahrgenommen, und wenn es Stress mit Nazis gab, haben die
uns gerufen.
Nico: Unser Ruf war schon der, dass wir alle zusammenhalten. Dass man uns
vertrauen kann.
David: Zwischendurch sind wir auch schon mal martialisch aufgetreten. Es
gab einige Aktionen, die sich rumgesprochen haben. Das war teilweise auch
Legendenbildung. Aber natürlich sind wir sehr oft geschlossen wo
hingegangen. Das war der Eindruck nach außen.
Sönke: Was heute aus der Spandauer Vorstadt geworden ist, konnte man sich
damals aber nicht vorstellen. Die Veränderungen haben wir aber
wahrgenommen. Wir selber kamen ja aus politischen und sozialen Bewegungen.
Plötzlich gab es da aber eine Kulturalisierung, auch in den Konflikten, die
stattfanden. Wie haben wir uns zum Beispiel geärgert, dass das Tacheles
ganz schnell einen Vertrag machen wollte. Das waren die Vorboten. Aber
natürlich waren auch wir Pioniere der Gentrifizierung.
Markus: 1997 bin ich dann ausgezogen. Da waren viele von den Erstbesetzern
schon weg. Neue Leute sind gekommen, und es wurde immer lauter. Bei offenen
Fenstern konnte man nicht mehr schlafen, weil auf den Straßen Partys
gefeiert wurden und ständig das Kreischen der Tram zu hören war. Alle zogen
plötzlich nach Mitte, ständig öffneten neue Clubs.
## Der Auszug aus dem Haus
Pari: Ich bin schon 1994 ausgezogen. Ich hab gemerkt, dass ich mich nicht
mehr auf die Neuen, die kamen, einlassen konnte. Ich dachte, da entwickelt
sich nichts weiter, aber ich wollte mich weiterentwickeln.
Norbert: Später war es so, dass Leute auszogen, neue kamen, mit denen
gingen viele Diskussionen wieder von vorne los. Auch ich wollte mich
weiterentwickeln. Darum zog ich 1995 nach Kreuzberg in eine gewachsene
Hausgemeinschaft in einem ebenfalls ehemals besetzten Haus aus den 80er
Jahren. 2000 ging ich dann mit meiner damaligen Partnerin für elf Jahre
nach Afrika.
Rüdiger: Ich habe insgesamt sieben Jahre in der Linie gewohnt. Wenn ich
heute daran zurückdenke, spüre ich ganz viel Freude. Das war eine der
wichtigsten Zeiten für mich. Ich habe so vieles gelernt, mit Leuten
zusammenzuleben, Dinge zu organisieren, sich politisch zu organisieren.
Tolle Liebesbeziehungen, tolle Menschen kennengelernt. Auch dieses immer
aktiv sein. Das Gefühl, die Welt aus den Angeln heben zu können. Aber ich
würde heute nicht mehr so leben können.
Sönke: Ich habe zweimal in der Linienstraße gewohnt. Nach anderthalb Jahren
bin ich ausgezogen und habe ein Jahr in Italien studiert. Von 1993 an habe
ich noch mal fünf Jahre dort gewohnt.
Nico: Ich bin 1995 aus der Linie ausgezogen, da war ich schwanger. Ich bin
aber 1997 noch einmal für ein Jahr zurückgekommen.
David: Ich bin relativ früh rausgegangen. 1993 war das. Ich war mit diesem
Im-Haus-Wohnen durch. Aber nicht mit den Leuten. Bis heute nicht. Mit
vielen Einzelnen hab ich noch Kontakt.
Nico: Als ich zurückgekommen bin, war das gar nicht mehr so, wie es zuvor
war. Das gab es in den Etagen schon Einzelküchen.
Sonja: Ich bin dann noch während der Lehre ausgezogen. Auf Dauer war es in
der Linie schwierig und anstrengend, alles unter einen Hut zu kriegen.
## Dreißig Jahre später
Norbert: An eines erinnere ich mich gut. Eines Tages kam Olli nach Hause
und hatte mir einen Spruch gezeigt. Kinder und Narren brauchen die
Freiheit, lieben die Wahrheit, die Sonne, das Licht. Vier Strophen waren
das. Ich fand das gut, das war für mich ein Spruch, der unser Lebensgefühl
ausdrückte. Und weil wir mal drüber gesprochen hatten, die Brandwand zu
bemalen, hab ich mir einfach ein Seil geschnappt, mich abgeseilt und den
Spruch an die Wand gesprüht. Spontan. Danach habe ich zu Recht die Kritik
bekommen, weil ich das mit niemandem abgesprochen habe. Aber die meisten
fanden es gut. Der Michl hat ja auch seinen Dinosaurier im Hof gebaut und
sich dann Visitenkarten drucken lassen als Bildhauer und Aktionskünstler.
Er hat für sich selbst einen Beruf erfunden.
Michl: Ich gehörte damals eher zu den Handwerkern, den Künstlern. Ich hab
im Hinterhof den Saurier aufgebaut, dafür auch einen Preis bekommen.
Darüber habe ich auch meinen Job gekriegt. So ist die Linienstraße auch
meine Existenzgrundlage geworden. Der damalige Leiter des Kulturamts,
Thomas Liljeberg, wollte mich kennenlernen. Er suchte jemanden für ein
Bildhauerprojekt für Kinder im Jojo in der Torstraße. Erst habe ich eine
ABM-Stelle bekommen, dann die Gruppenleitung übernommen. Danach habe ich
das Theaterhaus Mitte geleitet, habe im Kulturhaus Mitte die
Öffentlichkeitsarbeit gemacht. So ging das weiter, bis ich im Mitte Museum
gelandet bin.
Pari: Nach dem Studium hab ich dann eine Ausbildung als Hebamme angefangen.
Heute arbeite ich als Psychologin.
Sonja: Ich denke gerne an die Zeit in der Linie zurück. Es war eine
aufregende Zeit und wir haben es genau richtig gemacht. Schade, dass so
etwas heute nicht annähernd mehr denkbar ist. Ich bin dankbar für die
Freundschaften und das Beziehungsgeflecht, was daraus entstanden und bis
heute lebendig ist. Heute bin ich für das Gebäudemanagement in einem
Sozialunternehmen verantwortlich.
Nico: Ich arbeite heute im Antigewaltbereich.
Norbert: Mit meiner Partnerin und unseren drei Kindern lebe ich in
Emmendingen in Südbaden und arbeite in einem großen
Datenverarbeitungsunternehmen. Seitdem bin ich bei den Grünen aktiv, unter
anderem im Ortschaftsrat und im Ortsvorstand. Nur wenigen habe ich erzählt,
dass ich Hausbesetzer war, das würden die meisten wahrscheinlich auch nicht
verstehen. Ein Geheimnis daraus mache ich jedoch nicht.
Markus: Meine Diplomarbeit habe ich damals zu Ende geschrieben, ich bin
dafür sechs Wochen zu meinen Eltern. Aktuell habe ich eine Weiterbildung
zum Erlebnispädagogen gemacht, wegen der Coronakrise aber nicht abschließen
können. Ich hoffe aber, bald im neuen Job arbeiten zu können.
Sönke: Über meine Vergangenheit haben immer alle Bescheid gewusst, auch bei
visitBerlin, wo ich 20 Jahre gearbeitet habe. Ich war da zehn Jahre für die
Touristeninformationen zuständig und dann zehn Jahre Kulturbeauftragter.
Inzwischen arbeite ich im Marketing beim Humboldt Forum.
Rüdiger: Ich arbeite heute in einem Antiquariat. Politisch arbeite ich zu
sexualisierter Gewalt, gehe noch auf Demos und hoffe, dass es auch mal
wieder Hausbesetzungen gibt.
David: Als ich 1993 rausging, war ich durch mit dem Thema, mit so vielen in
einem Haus zu wohnen. Aber nicht mit den einzelnen Leuten. Mit vielen
Einzelnen hab ich noch Kontakt. Und ich lebe seit der Zeit mit Sabine, die
ja auch dort gewohnt hat, zusammen. Wir haben drei Kinder, die mit diesen
Leuten groß geworden sind und sich zu engagierten linken Menschen
entwickelt haben. Wir haben eine sehr ambitionierte Idee von Zusammenleben
mit hohen Ansprüchen an uns und andere in etwas Lebbares verwandelt. Das
funktioniert auch ohne Haus. Das ist etwas, worauf ich tatsächlich stolz
bin.
Oliver: Ich bin heute an der FU Berlin tätig und berate Start-ups im
Bereich Social Entrepreneurship. Für die Naturwissenschaften ist es ja
normal, Anwendungen an den Markt zu bringen, bei den Sozialwissenschaften
ist das nicht so einfach. Aber das brauchen wir.
Sönke: Wenn ich heute an der Linienstraße vorbeigehe, denke ich immer, wie
wichtig es ist, Räume zu sichern, für Kultur, für soziokulturelle Projekte.
Oliver: Wenn ich heute zurückschaue, war die Zeit in der Linienstraße vor
allem eine praktische Erfahrung, Dinge zu organisieren zum Beispiel. Wir
waren damals auch gut darin, Papiere zu schreiben. Aber wir wollten damals
auch cool sein. Wir wollten Spaß haben, und das hatten wir auch.
Nico: Ich hab daraus fürs Leben gelernt. Ich hab gelernt zu diskutieren,
mich auszudrücken, mich durchzusetzen. Und dann war da diese Freiheit. So
was wird nie wiederkommen. Wenn ich an meine Kinder denke, so was werden
die nie erleben. Das war ein Geschenk.
Alle Protokolle: Uwe Rada. Ein Gespräch fand mit drei Protagonisten statt,
die anderen waren Einzelgespräche und wurden neu zusammengestellt. Der
Protokollant lebte ebenfalls ein Jahr in der Linienstraße 206.
Aus der Printausgabe der taz berlin am wochenende, Ostern 2020.
11 Apr 2020
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Uwe Rada
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