| # taz.de -- Hausbesetzungen in Ostberlin: Der Sommer der Besetzungen | |
| > Im Sommer 1990 wurden in Ostberlin 120 Häuser besetzt. Unter ihnen war | |
| > auch die Brunnenstraße 6/7 in Mitte. Die Mieten sind bis heute günstig. | |
| Bild: Eine Zeichnung der Brunnenstraße 6/7 in Mitte | |
| Berlin taz | Es war eine Besetzung mitten im Sommer der Anarchie. Im August | |
| 1990 zog eine bunte Truppe in ein bis dahin eher unscheinbares Haus. Bald | |
| schon aber war die Adresse Brunnenstraße 6/7 in linken und autonomen | |
| Kreisen bekannt als ein weiteres besetztes Haus in Berlin-Mitte. | |
| Heute leben in den bunten Häusern der Brunnenstraße, unweit des eher | |
| touristisch geprägten Rosenthaler Platzes, rund 100 Menschen in zwölf | |
| Wohngemeinschaften. Die meisten von ihnen sind Flinta, also Frauen, Lesben, | |
| Inter-, Nicht-binäre, Trans und Agender Personen. | |
| [1][Anders als in vielen anderen Hausprojekten gibt es keinen Trend zu | |
| einer Verkleinerung der WGs und immer mehr Küchen]. Die Brunnenstraße hat | |
| als Haus, in dem gemeinschaftliches Wohnen groß geschrieben wird, ihren | |
| Charakter bewahren können wie nur wenige der ehemals 120 Häuser, die im | |
| Sommer 1990 in Ostberlin besetzt waren. Nach dem Mauerfall war der | |
| Leerstand dort besonders hoch. | |
| Es war ein Sommer, in dem vieles möglich war. Noch war nichts zu ahnen vom | |
| Schatten, der mit der [2][brutalen Räumung der Mainzer Straße in | |
| Friedrichshain] im November auf die Bewegung fallen würde. Stattdessen | |
| wurde in den Wohnungen gewerkelt und im BesetzerInnenrat darüber | |
| diskutiert, wie man das selbstverwaltete Wohnen in den ehemals leer | |
| stehenden Häusern in Mitte, Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Lichtenberg | |
| absichern kann. | |
| ## Gremium der Besetzerbewegung tagt in der Brunnenstraße | |
| In der Brunnenstraße 6/7 tagte am 20. August 1990 das wichtigste Gremium | |
| der Ostberliner Besetzerbewegung. Erster und einziger Tagesordnungspunkt | |
| war die Diskussion um das sogenannte Vertragsgremium und die Frage, mit | |
| welchem Ziel die besetzten Häuser in die Verhandlungen um Mietverträge | |
| gehen sollten. | |
| Oder sollten sie das etwa gar nicht? „In der teilweise hitzig geführten | |
| Diskussion wurde einmal mehr die Unterschiedlichkeit der Bewegung | |
| deutlich“, heißt es in einem Bericht in der Besetzerinnenzeitung über die | |
| Sitzung des BesetzerInnenrats. Der Fraktion „Schöner Wohnen“ stand die | |
| Fraktion derer entgegen, die „die Häuser als einen kritischen Gegenpol zum | |
| herrschenden System begriffen“. | |
| Auch die Brunnenstraße 6/7 war ein solcher Gegenpol geworden. Bald gab es | |
| einen Frauen- und Lesbenflügel, auch der Veranstaltungsraum „Subversiv“ war | |
| entstanden. Sollte all das mit dem Kampf gegen „das System“ aufs Spiel | |
| gesetzt werden? Nein, meinten die etwa 100 Leute, die im August 1990 in der | |
| Brunnenstraße zum BesetzerInnenrat gekommen waren. Die Mehrheit entschied | |
| sich für Verhandlungen. Allerdings wurde gefordert, so steht es in der | |
| BesetzerInnenzeitung, „dass Verträge nur dann akzeptiert werden sollen, | |
| wenn alle Häuser welche bekommen“. | |
| ## Der Westen übernimmt | |
| Nach der Vereinigung am 3. Oktober 1990 war der Sommer der Anarchie zu | |
| Ende. Nun übernahm der Westen die Regie über den Ostteil der Stadt, in dem | |
| der Magistrat bis dahin vieles einfach hatte laufen lassen. Westen, das | |
| bedeutete nicht nur Westrecht, sondern auch Westberliner Polizei. | |
| Nach der Räumung von 13 besetzten Häusern in der Mainzer Straße platzte | |
| nicht nur die erste Koalition zwischen SPD und Alternativer Liste, heute | |
| Berliner Grüne. Auch die verbliebenen Häuser standen mehr denn je unter | |
| Druck. Viele von ihnen intensivierten die Vertragsverhandlungen. Es | |
| bildeten sich in jedem Bezirk einen runder Tisch, der mit den nun | |
| zuständigen Wohnungsbaugesellschaften über Rahmenverträge verhandelte. | |
| Auch die Brunnenstraße 6/7 bekam einen solchen Vertrag. Die Verwaltung | |
| übernahm zuerst die Wohnungsbaugenossenschaft Mitte (WBM), später die | |
| landeseigene Wohnungsbaugesellschaft GSW. Doch wie sicher war die | |
| vertragliche Situation? | |
| Im Jahr 1997 wurden die Häuser rückübertragen und von der Jewish Claims | |
| Conference für 4,5 Millionen DM an die Grundstücksverwaltung Gawehn | |
| verkauft. Es folgten neue Verhandlungen an einem neuen Runden Tisch, und | |
| sie endeten mit einem Kompromiss: Der Großteil der Besetzerinnen und | |
| Besetzer bekam Mietverträge. Projekte wie das geplante Kino mussten einem | |
| Supermarkt weichen, auch die Obdachlosenunterkunft „Unter Druck“ ging leer | |
| aus. | |
| [3][Die Verträge haben bis heute Bestand], auch die niedrige Miete von 3,50 | |
| Euro nettkokalt pro Quadratmeter. Zum 25. Jubiläum des Hausprojekts vor | |
| zehn Jahren wurden sie vom Landgericht Berlin ausdrücklich bestätigt. Nicht | |
| einmal eine Mieterhöhung lässt die Vertragslage zu. Gut verhandelt, | |
| Brunnenstraße. | |
| Nach dem Urteil 2015 schrieben die Bewohnerinnen und Bewohner: „Wir freuen | |
| uns auf die nächsten 25 Jahre und noch mehr – ohne Mieterhöhung!“ Zehn | |
| davon haben sie inzwischen geschafft. Am 12. Juli findet das Hoffest statt. | |
| 10 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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