# taz.de -- Buch über Hausbesetzer: Druiden in der Germanenetage | |
> Krude Esoteriker? Auch die gab es 1990 unter den Hausbesetzern in | |
> Ostberlin. Einer, der das alles miterlebte, hat nun ein Buch verfasst. | |
Bild: In mystischem Licht: Das Hausprojekt Liebig 34 im November 2019. | |
taz: Stino, Sie sind schon immer unter diesem Spitznamen bekannt, als | |
Buchautor nennen Sie sich jetzt Antonio Porete. Warum benutzen Sie nicht | |
Ihren Klarnamen? | |
Stino: Ich führe seit 2012 Arbeitsgerichtsprozesse, am 15. Januar habe ich | |
den nächsten Termin. Sollte das Gericht meinen Namen in Zusammenhang mit | |
dem Buch bringen, rechne ich mit einer Parteinahme des Gerichts und dem | |
Verlust meines Arbeitsplatzes. Daher trete ich nicht mit meinem Namen auf. | |
Um gegen Rechtsbeugung und Mobbing vorgehen zu können, benötige ich | |
Unterstützung und rufe zur Prozessbeobachtung auf. | |
Woher kommt denn „Stino“? | |
So wurde ich von einigen Autonomen in der Zeit der Hausbesetzungen genannt. | |
Weil ich einen so harmlosen, bürgerlichen Eindruck machte. | |
Warum haben Sie nach so langer Zeit ein Buch über dieses Kapitel Ihres | |
Lebens geschrieben? | |
Berlin 1990 war die intensivste Zeit meines Lebens, die mich sehr geprägt | |
und nie losgelassen hat. Die Erfahrungen, die ich mit der Wohnungssuche, | |
der Hausbesetzung, der Räumung in der Mainzer Straße und den beiden | |
Gesellschaften in West- und Ostberlin gemacht hatte, wollte ich endlich | |
festhalten und weitergeben. | |
Wie kam es dazu, dass Sie als junger westdeutscher Student Hausbesetzer in | |
Ostberlin wurden? | |
Ich hatte in Westberlin keine Unterkunft gefunden und wusste keine andere | |
Lösung. Ich wurde also tatsächlich zum Besetzer, weil ich dringend eine | |
Wohnung brauchte. | |
Sie beschreiben einige der Probleme, die es damals innerhalb der besetzten | |
Häuser gab, etwa mit anarchistischen HausbesetzerInnen, die wenig von Plena | |
hielten. Können Sie ein Beispiel nennen? | |
Es zogen Leute ein, die lediglich die Zusage eines einzigen Bewohners | |
hatten. Die anderen wurden gar nicht gefragt. Ein anderes Beispiel war ein | |
Transparent, das plötzlich vor unserem Haus hing, ohne dass darüber vorher | |
im Plenum gesprochen worden war. Gegen solche Praktiken hatte ich mich | |
vehement gewehrt. | |
Sie gehen auch auf die heute kaum noch bekannten esoterischen BesetzerInnen | |
ein. Was hatte es beispielsweise mit der von Ihnen erwähnten | |
„Germanenetage“ in der Rigaer Straße 84 auf sich? | |
Ich hatte nicht viel mit diesen Leuten zu tun, habe aber noch eine | |
Broschüre, in der sie ihre Weltsicht darlegten. Es ging ihnen unter anderem | |
um die Wiederbelebung des Druidentums keltischer Tradition unter Einsatz | |
psychotroper Substanzen. Sie beschäftigten sich mit Tantra, Schamanismus, | |
Pilzen. Sie verstanden sich als Bewusstseinsguerilla und waren der | |
Überzeugung, dass der Krieg um das Bewusstsein der Kampf um die Kontrolle | |
der Weltmacht sei. | |
Sie erzählen von Ihrem eher zufällig zustande gekommenen Kontakt mit dem | |
damaligen SPD-Bürgermeister von Friedrichshain, Helios Mendiburu. Wie wurde | |
das von Ihren MitbesetzerInnen aufgenommen? | |
Gar nicht gut. Da gab es sehr misstrauische Reaktionen. | |
Welche Rolle spielte für Sie die Räumung der Häuser in der Mainzer Straße | |
am 14. November 1990? | |
Die Mainzer Straße war damals ein politisches Zentrum der Besetzerbewegung. | |
Nach der Räumung gewannen dann die anderen Häuser an Bedeutung. Die Rigaer | |
94 und die Liebig 34 rückten an den Platz, den die Mainzer Straße damals | |
hatte. | |
Sie beschreiben, dass es kurz vor der Räumung noch eine Menge Sympathie mit | |
den BesetzerInnen, danach aber viel Ablehnung unter den AnwohnerInnen gab. | |
Wie erklären Sie sich diesen Meinungsumschwung? | |
Die Gewalt bei der Räumung schüchterte viele extrem ein. Menschen, die die | |
Besetzungen zuvor unterstützt hatten, trauten sich nicht mehr, sich dazu zu | |
bekennen. Und Menschen, die für die Räumungen gewesen waren, hatten nun | |
weniger Hemmungen, sie hatten jetzt vor der Staatsgewalt ja nichts zu | |
fürchten. | |
Warum haben Sie sich kurz nach der Räumung der Mainzer Straße aus der | |
BesetzerInnenszene zurückgezogen? | |
Während der Räumungstage geriet ich grundlos in den Verdacht, ein Spitzel | |
zu sein. Diesem Vorwurf wollte ich mich nicht aussetzen. Die Anspannung | |
nach der Räumung war extrem hoch, sodass ich mit unüberlegten | |
Gewaltaffekten rechnen musste. Abgesehen davon brauchte ich einfach auch | |
Ruhe. Erst 20 Jahre später bekam ich wieder Kontakte zur | |
BesetzerInnenszene. | |
Haben Sie da Unterschiede zu der Szene von 1990 festgestellt? | |
Ich lebe ja nicht mehr in den Hausprojekten und habe daher nur einen | |
begrenzten Einblick. Ich habe aber den Eindruck, dass es noch immer viele | |
Dinge gibt, die heute nicht anders als vor 30 Jahren sind. | |
Wie ist heute Ihr Verhältnis zu den Projekten? | |
Ich wurde schon mehrmals zu den Häusertagen eingeladen, die von | |
Hausprojekten in Friedrichshain veranstaltet werden. Ich freue mich immer | |
sehr, dort willkommen zu sein. | |
Sie lassen das Buch mit einem Flugblatt aus der Rigaer Straße von 2019 | |
enden. | |
Damit wollte ich meine Solidarität mit den Hausprojekten ausdrücken. Das | |
gilt natürlich besonders für die räumungsbedrohte Liebig 34. Schließlich | |
handelt es sich um das Haus, das ich Mitte Juli 1990 mitbesetzt hatte. Ich | |
wünsche besonders den BewohnerInnen dieses Hauses viel Mut und Kraft. | |
17 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Peter Nowak | |
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