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# taz.de -- Ausstellung zur Hausbesetzer-Geschichte: Schneisen in der City
> Vor 50 Jahren wurde in Frankfurt das erste westdeutsche Haus besetzt.
> Eine Ausstellung im Stadtteil Bockenheim widmet sich dem Häuserkampf.
Bild: War richtig was los: Straßenschlacht am Kettenhofweg, Frankfurt 1973
Die Protestkultur, die sich in der westdeutschen Studentenbewegung seit
1967 entfaltete, verschwand nach 1970 nicht. Sie verlagerte sich jedoch. An
vielen Orten dominierten nach dem Erlahmen der Studentenbewegung
kommunistische Gruppen, die sich proletarisch-revolutionär kostümierten und
als „Parteien“ auftraten. In Frankfurt dagegen dominierte die linksradikale
Gruppe „Revolutionärer Kampf“ (RK), die sich als Spontaneisten sogenannte
„Spontis“ verstanden und sich zunächst der Arbeit in Betrieben – etwa bei
Opel – widmeten und erst ab 1971 [1][dem Kampf um Wohnungen] verschrieben.
Aus Anlass der ersten Hausbesetzung vor fünfzig Jahren, am 19.September
1970 im Frankfurter Westend läuft momentan eine Ausstellung des
„Frankfurter Archivs der Revolte e. V.“ unter dem Titel „Dieses Haus ist
besetzt!“ Kuratiert wurde die sehr informative Schau von Michaela Filla,
Rolf Engelke und Norbert Saßmannshausen mit Beständen des Archivs der
Revolte, aber auch mit privaten Leihgaben, Fotos, Büchern, Flugblättern und
Plakaten des Grafikers Henner Drescher. Er prägte auch die Außendarstellung
des Häuserkampfs.
## Robuste Maßnahmen
Die schon 1969 gegründete „Aktionsgemeinschaft Westend“ (AGW) von Odine
Bott und Otto Fresenius leistete Vorarbeit für die ersten Hausbesetzer. Für
die AGW wurde „der Bombenkrieg im Westend von den Baggern weitergeführt“.
Zu den Besetzerpionieren gehörten kinderreiche Familien, ausländische und
deutsche Arbeiter und Studenten.
Sie erklärten lapidar: „Wir haben das Haus besetzt, weil es keine andere
Wohnung für uns gab.“ Sie waren bereit, eine kleine Miete zu zahlen und das
heruntergekommene Haus zu renovieren. Der Besetzung vorangegangen waren
robuste Maßnahmen von Hausbesitzern und -verwaltungen zur „Entmietung“ und
zur „forcierten Verwohnung“ von Häusern durch Überbelegung. Wohnungen
wurden in Büros, Praxen und Kanzleien umgewandelt, langjährige Mieter
herausgeklagt oder herausgeekelt.
Auftrieb bekam die Häuserkampfbewegung aus diversen linken Gruppierungen,
Kirchen, Gewerkschaften und Jusos. Der [2][nur in den Köpfen der
Aktivisten] existierende „Häuserrat“ wurde von den Medien als auch von der
sozialdemokratischen Modernisierungspolitik begleitet.
Die Frankfurter Neue Presse sah in besetzten Häusern „Brutstätten der
politischen Kriminalität“ und Bild imaginierte „blutige Straßenschlachten
in der Frankfurter City“, sekundiert von der Pressestelle der Polizei, die
eine 40-seitige Dokumentation bastelte, in der die Gewalt der aufgerüsteten
Einsatzkräfte gar nicht erst vorkam. SPD-Oberbürgermeister Rudi Arndt
beerdigte seine Wiederwahlchancen mit dem Satz, Hausbesetzer seien
„schlimmer als SA-Horden“. Die FAZ dagegen sah die andere Seite:
„Stadtplaner zerstören ein Wohnviertel“ (14. April 1973).
## Autogerechte Stadt
Nicht nur dadurch bekam der Häuserkampf Auftrieb, sondern auch durch den
Modernisierungsplan des SPD-Baudezernenten Hans Kampffmeyer und dessen
„Fünffingerplan“ für eine „autogerechte Stadt“. Um die [3][Frankfurter
City] zu erweitern, sollten – vom Opernplatz ausgehend – fünf
Verkehrsschneisen geschlagen werden mit Grundstückgrößen von etwa 2.000
Quadratmetern, damit der Bau von Bürohochhauskomplexen möglich wurde.
Dies wurde zum Startsignal für Spekulanten, Investoren, Banken und
Projektentwickler, Grundstücke zu arrondieren und mit der Stadtverwaltung
Bau- und Abrissgenehmigungen für Hochhäuser auszumauscheln. Nach 1968
verschwanden so rund 4.000 Wohnungen im Westend und die Bevölkerung
halbierte sich von über 40.000 Einwohnern auf rund 20.000.
Der Modernisierungsplan der SPD war eine Kampfansage an die
Stadtbevölkerung und eine Herausforderung der oppositionellen Kräfte zum
Widerstand gegen die Hybris von Planern und Spekulanten, von denen die
meisten aus der Deckung agierten und Strohmänner vorschickten. Ausnahmen
waren der Iraner Ali Selmi und Ignatz Bubis, seit 1966 Vorstandsmitglied
der jüdischen Gemeinde in Frankfurt, die persönliche Angriffe auf sich
zogen und so die hinter ihnen agierenden wirklichen Investoren abschirmten.
## Denkmalschutz versus Kahlschlag
Ab dem 23. April 1974 verhinderte ein neues Denkmalschutzgesetz den
völligen Kahlschlag im Westend. Für rund 9.000 bereits leer stehende,
„entmietete“ Wohnungen übernahm fortan die Städtische Wohnungsgesellschaft
die Verwaltung, regulierte Mietrückstände und bewahrte die Häuser vor dem
Abriss. Eine besondere Qualität des Frankfurter Häuserkampfs war seine
Internationalität.
Mit der autonomen linken Gruppe „Lotta continua“ und der „unione inquilin…
aus Italien beteiligten sich von Anfang auch Arbeitsemigranten, die
besonders litten unter ihrer Unterbringung in kasernierten Wohnheimen mit
Stockbetten „basta con i Wohnheim, basta stanze a Zimmer für 300 Marchi
(Mark)“, hieß es in einem Flugblatt. Durch den Frankfurter Häuserkampf
wurden in zwischen 1970 und 1974 mindestens 24 besetzte Häuser vor dem
Abriss bewahrt. Das letzte, seit 1971 besetzte Haus, ging 1986 zurück an
die Deutsche Bank und wurde unter Denkmalschutz gestellt.
21 Sep 2020
## LINKS
[1] /Urbanitaet-in-der-Krise/!5682400/
[2] /Feministische-Blicke-auf-Berlin/!5706521/
[3] /Umstrittener-Neubau-in-Frankfurt/!5696800/
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Frankfurt/Main
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