| # taz.de -- Punksänger Rachut über Altonas „Fabrik“: „Das war total off… | |
| > Die Hamburger „Fabrik“ ist seit 1971 Europas ältestes Gegenkulturzentrum. | |
| > Punk-Sänger Jens Rachut hat dort lange Programm gemacht und blickt | |
| > zurück. | |
| Bild: Nachmittags Kinderkram, abends Punk: So war die Fabrik 1985 | |
| taz: Herr Rachut, wann waren Sie das erste Mal in der Fabrik? | |
| Jens Rachut: Vielleicht 1977. Oder 1974? Irgendwie so. | |
| Keine genaue Erinnerung? | |
| Nicht an den ersten Besuch. Aber sonst natürlich viele. Ich war dort später | |
| lange Zeit Booker. | |
| Mich wundert, dass Sie als Punk schon zu dieser Zeit dort waren. Anfangs | |
| war die Fabrik eigentlich ein Laden für Künstler*innen. | |
| Ja! Das war ein geiler, offener Laden. Da haben auch Boxkämpfe | |
| stattgefunden, Tattoo-Messen und so was. Jazzfestivals mit großen Namen. | |
| Ziemlich divers. | |
| Das war total offen und geil. | |
| Klingt nach einer romantischen Erinnerung an die Fabrik. | |
| Nicht unbedingt an die Fabrik, aber an die Zeit. Ich glaube aber: Die Zeit | |
| hätte nicht in einem anderen Laden stattfinden können. | |
| Und dann haben Sie einfach irgendwann angefangen, dort als Booker die | |
| Punk-Konzerte zu machen? | |
| Ich bin da so ein bisschen mit reingerutscht. | |
| Wie? | |
| Ich hatte vorher für Veranstaltungen Plakate geklebt. Dann hörte der | |
| Booker, mein Vorgänger, auf und ich habe zusammen mit Andreas Schnoor die | |
| Punk-Konzerte gemacht. | |
| Wann war das? | |
| Von 1987 bis... Wann war Nirvana und der ganze Quatsch? 1994? Na ja, egal. | |
| Bis 1998 etwa. Aber ich habe noch andere Sachen gemacht, das wäre mir sonst | |
| zu eintönig gewesen. Das Booking war ein Standbein von vielen. Ich habe | |
| Touren gefahren, gekocht, Gartenauffahrten gepflastert. | |
| Und das war für das Fabrik-Umfeld kein Problem, dass dort plötzlich auch | |
| Punk-Konzerte stattfanden? | |
| Das ist wie heute auch. Die hatten Verständnis für uns – irgendwie. Wir | |
| hatten Verständnis für die – irgendwie. Für uns waren das so | |
| Hippie-Künstler. | |
| Kein Stress? | |
| Na ja, es war manchmal so, dass Punks von oben Bier auf die Bands gekippt | |
| haben. Das fanden alle scheiße. Aber sonst war das eine total geile Zeit – | |
| ohne irgendeinen Stress. Es gab nie eine Stage-Security, weil das auch gar | |
| nicht nötig war. Zum anderen: Du konntest von den Bands buchen, wen du | |
| wolltest, es war immer was los. Klingt jetzt ein bisschen komisch, aber: Es | |
| war wie eine große Familie. Und: Wir hatten die volle Unterstützung vom | |
| Chef. | |
| Horst Dietrich? | |
| Genau, das war ein totaler Freak, ein Maler. Aber die Beziehung zu ihm war | |
| von Vertrauen geprägt. | |
| Aber der konnte doch mit Punk nichts anfangen, oder? | |
| Nee, aber der war neugierig. Und wir haben ja auch schwarze Zahlen gemacht. | |
| Wir haben mal Fugazi auf einem Nachmittag spielen lassen, um 15 Uhr, im | |
| Hellen. Aber der Laden war voll. Natürlich ist auch mal Scheiße passiert: | |
| Du hattest ein bisschen Geld für eine Band in die Hand genommen und am Ende | |
| kamen nur 150 Leute. Oder: Es waren mal statt der erlaubten 1.200 plötzlich | |
| 1.800 Leute bei einem Konzert, streng verboten. | |
| Wir haben zwar mal auch Scheiße gebaut, aber das Einzige, was wirklich | |
| schief gegangen ist, war: Die Zeit ist vorbeigegangen und man merkt’s | |
| nicht. Denn klar ist: So eine Zeit wie damals, insgesamt und auch in der | |
| Fabrik, die gibt es heute nicht mehr. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Jetzt ist das ein ganz normaler Laden. Und es gibt ja auch diese Bands | |
| nicht mehr. Bands wie Fugazi, die gesagt haben, dass der Eintritt nicht | |
| mehr als 10 Mark kosten darf. Auch wir haben immer bei den Punk-Konzerten | |
| dafür gesorgt, dass die Karten nicht zu viel kosten. Heute ist das alles | |
| nur noch ein großes Business. Die Agenturen wollen – müssen – das Beste f… | |
| die Bands rausholen. Es fehlt die Wucht der Bands, irgendwann wurden sie | |
| nur noch zu Firmen. | |
| Das gab es früher nicht? | |
| Na ja, früher haben wir mit den Agenturen per Handschlag gemacht. Für die | |
| Buchhaltung gab’s obligatorisch dann noch einen Vertrag, drei Wochen nach | |
| dem Konzert. Dazu gab’s das Internet noch nicht. Die Leute waren neugierig | |
| und konnten vorher nichts checken, nicht googlen. | |
| Warum ist das ein Problem? | |
| Weil die sich nicht mehr überraschen lassen. | |
| Noch mal zurück zur Fabrik, die offenbar für ganz unterschiedliche Leute | |
| Anlaufstelle war. Das ist doch ziemlich ungewöhnlich, oder? Sonst hat doch | |
| meist jedes Milieu seine eigenen Orte. | |
| Ja? Was ist denn da mit diesem Ding in der Innenstadt? Wie heißt das noch | |
| gleich? | |
| Das Gängeviertel? | |
| Ja. | |
| Das scheint mir tatsächlich noch eine Anlaufstelle für viele zu sein. | |
| Kunst, Punk, Techno, Polit-Kram. | |
| Na siehste. | |
| Also ist die Fabrik nicht mehr dieser Ort? | |
| Ich weiß es nicht. Ich bin da manchmal noch, wegen den alten Leuten. Aber | |
| sonst habe ich dahin auch keine Verbindungen mehr. | |
| Aber Sie spielen da doch noch regelmäßig mit Ihren Bands. | |
| Ich wüsste aber auch nicht mehr, wo wir sonst in Hamburg spielen könnten. | |
| Das ist so grotesk: Das ist die zweitgrößte Stadt in Deutschland, aber ich | |
| wüsste hier keinen Ort mehr. | |
| Sie haben auch lange in Ottensen gewohnt. Ist die Entwicklung der Fabrik | |
| dieselbe wie im ganzen Stadtteil? | |
| Bestimmt! Früher haben hier um die Ecke, am Kemal-Altun-Platz, die Punks | |
| noch in Bauwagen gewohnt. Ich habe, wie gesagt, früher auch Plakate | |
| geklebt, auch an der Fabrik direkt an die Wände. Aber irgendwann wurden | |
| überall Rahmen angebracht. Auch an der Fassade der Fabrik. Dann wurde | |
| plötzlich geregelt: Wer darf wo und wie lange hängen? Verstehst du? | |
| Ja. | |
| Ich will nicht sagen, dass früher alles besser war, aber es hat alles so | |
| seine Zeit. Ich habe die erste Punk-Welle erlebt, die zweite Welle | |
| mitgemacht, und jetzt ist auch gut. | |
| Also alles Mist heute? | |
| Du kannst dich als Laden auch fragen, ob du immer stehen bleiben willst. | |
| Nach dem Motto: Wir bleiben jetzt in unserer Höhle und machen Lagerfeuer. | |
| Oder wir sagen: Okay, wir passen uns ein wenig an. Ich weiß nicht, was | |
| richtig ist. Ich weiß nur, dass damals eine wahnsinnige Welle an Bands da | |
| war. | |
| Also können sich selbst diese ziemlich etablierten Kulturzentren wie die | |
| Fabrik oder der Schlachthof in Bremen nicht so richtig gegen diese | |
| Entwicklung stemmen? | |
| Es gibt halt insgesamt nicht mehr viele Läden. Das geht bei den kleinen | |
| Läden los, die halten sich immer schwieriger. Andererseits: Ganz allgemein | |
| liegt es immer auch ein bisschen am Booker. Wenn jemand Bock hat, etwas auf | |
| die Beine zu stellen, dann klappt das auch. Wenn du was ausstrahlst und die | |
| Bands motivierst, dann kannst was aus einem Laden machen. | |
| Aber du musst dir auch immer ein bisschen was überlegen. Da haben wir dann | |
| Weihnachten im Juni gemacht, mit Truthahn und so. Das hat die Bands | |
| gefreut, die kamen gerne. | |
| 13 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| André Zuschlag | |
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