| # taz.de -- Entertainerin Denice Bourbon: Wie ein knallender Korken | |
| > Denice Bourbon ist lesbisch und lustig. Die Schwedin lebt in Wien und | |
| > bringt Glamour und Euphorie in eine chronisch schlecht gelaunte Stadt. | |
| Bild: Denice Bourbon bringt Glamour und Euphorie nach Wien | |
| Die berühmteste Schwedin Wiens repräsentiert auf den ersten Blick nicht | |
| das, woran man bei Schweden denkt: reservierte Menschen in Bullerbü | |
| Naturidylle, die Wert auf schlichtes Design legen. Denice Bourbon ist zwar | |
| groß und blond, macht sich aber schon von Weitem durch | |
| Stöckelschuhklackern, eine Parfümwolke und ein brüllendes Lachen bemerkbar. | |
| Kurz darauf fällt sie einem um den Hals und ruft „Omg! Hi! I love you! I | |
| love your little shirt!“ | |
| Wo Denice aufkreuzt, entsteht die Atmosphäre einer exaltierten Party, in | |
| die sie alle Anwesenden herzlich integriert wie ein knallender | |
| Champagnerkorken als Mensch. Sie ist ein glamouröses Original des Wiener | |
| Nachtlebens und bringt Euphorie in diese chronisch schlecht gelaunte Stadt. | |
| Und sie ist lesbisch. „Lesbisch! Ich bin eine lesbische Lesbe!“, ruft sie | |
| immer wieder in ihren Shows, das sei ihr sehr wichtig zu betonen. [1][Wenn | |
| wir hin und wieder gemeinsame Auftritte haben (als „Legends of | |
| Entertainment“ mit Christiane Rösinger)] würde man im Backstage eher | |
| Christiane und mich als die sich im Glitzerkleid Lippenstift auftragende | |
| Denice für Lesben halten. Ich bin noch damit aufgewachsen, dass man als | |
| linke Heterofrau bloß nicht zu feminin erscheint, auf Nagellack, Make-up | |
| und High Heels keinen Wert legt und habe erst von den Queers gelernt, dass | |
| feminine Performance nicht weniger feministisch ist. Heute ist es nicht | |
| mehr ungewöhnlich, sich auch in linken Clubs aufzutakeln, die Subkultur ist | |
| queerer geworden. | |
| Denice war immer schon eine Femme. Ende der Achtziger wuchs sie in einer | |
| trostlosen Plattenbausiedlung in einer kleinen Industriestadt zwischen | |
| Stockholm und Göteborg auf. Dort gab es Fabriken, Wälder und eine große | |
| Autobahn mitten durch die Stadt. „Da sind regelmäßig Kinder überfahren | |
| worden, das war ganz normal in den 80ern“, erzählt sie. Eigentlich ist | |
| Denice Finnin und als Kind finnischer Gastarbeiter nach Schweden gezogen. | |
| Ihre Mutter hat am Fließband Teile für Schweißroboter bearbeitet und ist | |
| davon im Alter erblindet. „Wir Finnen sind in Schweden die armen | |
| Gastarbeiter. Es gab eine große Community finnischer ArbeitsmigrantInnen. | |
| In der Siedlung waren Finnen, Leute aus Exjugoslawien und syrische | |
| Familien. Ständig sind Züge durchgefahren, aber nie stehengeblieben. Die | |
| einzige Ausgehmöglichkeit war die Tankstelle.“ | |
| Schon als Neunjährige sei sie mit Federboas, Handtaschen und Stöckelschuhen | |
| durch das Viertel spaziert. Sie sammelte obsessiv Musikmagazine, ihr Idol | |
| war Madonna. Mit anderen Kindern gründete sie eine Band: Zodiac. „Ich | |
| dachte ein Name mit Z wär gut, dann findet man uns leichter in den | |
| Plattenläden. Mit zehn hab ich sogar eine Platte aufgenommen.“ Als sie | |
| sechzehn war, zog sie in die nächstgrößere Stadt. Sie wurde Punk. „Ich war | |
| in feministischen Underground-Aktionsgruppen, die ständig Krawall machten. | |
| Wir warteten zum Beispiel am Straßenstrich auf Freier, eine Freundin | |
| verkleidete sich mit einer Perücke. Wenn einer stehenblieb, schlugen wir | |
| mit diesen Nothämmern aus dem Bus die Scheiben ein und sprühten das Auto | |
| an. Manchmal warfen wir Tampons ins Fenster, die wir in vergammelte Milch | |
| eingelegt hatten. Die Typen standen unter Schock.“ Heute findet sie diese | |
| Aktionen nicht mehr gut. „Wir dachten, wir befreien die Frauen, aber haben | |
| sie eigentlich gefährdet.“ Die Geschichte, wie sie und ihre | |
| radikalfeministische Bande eine Pornovideothek mit Colaflaschen überfallen | |
| haben, wird sie in ihrem ersten Soloprogramm im Frühling erzählen. Das | |
| Schweden, von dem Denice erzählt, ist das des aggressiven Komasaufens und | |
| das mit der höchsten Waffenkriminalität der EU. | |
| ## Erst mal als Hausfrau | |
| Als Knotenpunkt für organisiertes Verbrechen und Bandenkriminalität gilt | |
| Malmö, dort zog sie später hin und verliebte sich in eine Wienerin. | |
| Innerhalb kurzer Zeit wurden beide zusammengeschlagen, Denice wurde die | |
| Nase, ihrer Freundin der Kiefer gebrochen. Ein guter Grund wegzuziehen. Es | |
| folgten ein paar Monate Berlin und weil sie bald nicht mal mehr Geld für | |
| etwas zu Essen hatten, ging es weiter nach Wien, da hatte ihre Freundin | |
| zumindest Familie. Hier lebte sie erst mal als Hausfrau. „Es war total | |
| absurd für die Ämter, dass man als Schwedin in Österreich Sozialleistungen | |
| bezieht. Sie haben nichts hinterfragt. Man war ja ein guter Ausländer. Das | |
| Geld wurde mir förmlich nachgeschmissen.“ Arbeiten kam für sie nicht in | |
| Frage. „Ich dachte mir, ich kann ja überhaupt nichts außer Singen.“ Über | |
| Zeitungsannoncen suchte sie Anschluss in der lesbischen Community „Queer | |
| gab es damals noch nicht.“ Und bald gründete sie mit neuen Bekanntschaften | |
| die Band Bonanza Jellybean. „Wir spielten lesbischen Country und trugen | |
| Flanellhemden, das kam gut an. Wien war damals noch fader, aber ich fühlte | |
| mich sofort wohl. Für Schweden war ich immer zu extrovertiert. In Wien | |
| waren alle faul, hatten Humor und nörgelten nur rum.“ | |
| Bei einem Auftritt der Bonanza Jellybean schüttete ein Typ aus Versehen | |
| Whiskey-Cola übers Mischpult, woraufhin Denice Bourbon versuchte, die Show | |
| mit Witzen zu retten. „So bin ich draufgekommen, dass ich noch was anderes | |
| kann“, erzählt sie. Weil sie bei den Konzerten nun die meiste Zeit redete, | |
| warfen die Bandmitglieder sie aus dem Projekt. „Ich war auch unzuverlässig | |
| und immer besoffen.“ Doch längst hatten queere Veranstalter sie als | |
| Entertainerin entdeckt und buchten sie als Moderatorin, sie wurde Teil | |
| einer Burleskeshow, in der sie sich kunstvoll auf der Bühne entkleidete und | |
| schrieb für die feministische Zeitschrift Anschläge die Kolumne | |
| „Lesbennest“. Mitte 30 schrieb sie ihre erste Biografie: „Cheers! Stories | |
| of a Fabulos Queer Femme in Action“. | |
| Bald kannte sie jeder in der Szene, ihre Fähigkeit zum Smalltalk | |
| beeindruckt mich immer wieder. Während ich mich nach Auftritten auf dem Klo | |
| verstecke, stürzt sie sich in die Fans, verteilt Umarmungen und ist | |
| begeistert von jeder einzelnen Person. Selbst als wir in Heidelberg in der | |
| übelsten Absturzkneipe den schmierigsten Typen Baden-Württembergs | |
| kennenlernten, der uns einen furchtbaren Witz nach dem anderen erzählte, | |
| kreischte sie vor Begeisterung und versicherte ihm, dass er der lustigste | |
| Guy der Welt sei. Und das meint sie in dem Moment ganz ernst. Es ist eine | |
| hysterische Menschenliebe. „Ich sehe dich ein bisschen als Mutter der | |
| Wiener Queerszene, stört dich diese Bezeichnung?“, frage ich sie bei einem | |
| Kaffee. „Nein, überhaupt nicht, I love that!“, lacht sie. Gerade hat sie | |
| die letzte Aufführung ihres ersten Theaterstücks „Sodom“ im Brut Theater | |
| hinter sich. Eine Revue, die aus queerer Perspektive über das rote Wien der | |
| 1920er erzählt, in der das Verruchte, die Erforschung der Sexualität und | |
| die Psychoanalyse ins kulturelle Zentrum rückten. Selbst spielt sie darin | |
| die Rolle der „Magna Marta“, ein riesiges, in roten Stoff gehülltes | |
| sozialistisches Fabelwesen mit zwanzig Brüsten. Unter anderem erzählt sie | |
| die Biografie Anna Freuds nach. „Ich liebe educational stuff, wenn Leute | |
| nach einer Performance kommen und sagen, sie hätten etwas gelernt.“ | |
| Sich um ihre Community kümmern, hat für Denice Bourbon höchste Priorität. | |
| „Mütter haben eine Tradition in der Queerszene. Ich hatte auch so eine | |
| Mutterfigur. Eine 50-jährige Butchlesbe, die Fotografin war, hat mein | |
| Coming-out betreut.“ Ob ihr diese Rolle nicht auch manchmal auf die Nerven | |
| gehe? „Nein, das ist mein Job. Für Leute da sein, sehe ich als meine | |
| Aufgabe.“ Während ich an Humor am liebsten die Schmerzgrenzen und das | |
| Konfrontative liebe, hat Denice pädagogischere Ansprüche. Auch in ihrer | |
| monatlichen Comedyshow PCCC* im Wiener Kulturzentrum WUK. Die 400 Tickets | |
| dafür sind zuverlässig nach zwei Stunden ausverkauft. Als sie damit vor | |
| vier Jahren begann, habe sie die Leute zwingen müssen zu kommen. | |
| Mittlerweile ist die Show Kult. „Ich wollte eine Bühne, die darauf acht | |
| gibt, keine diskriminierenden Witze zu machen.“ Mit einem Sensitivity | |
| Reader werden alle Nummern vorher besprochen. „Geht dir das nicht manchmal | |
| auf die Nerven, so sensibel sein zu müssen?“, wiederhole ich mich. „Nein, | |
| das ist mein Anspruch, das ist mein Versprechen an das Publikum. That I | |
| care. Es gibt viele andere Bühnen, meine ist eben PC. Und politisch korrekt | |
| bedeutet nicht langweilig.“ | |
| ## Ein Händchen für schillernden Persönlichkeiten | |
| Langweilig sind die Abende nie. Die PCCC* Show ist eine große Zelebrierung | |
| außergewöhnlicher Charaktere, man ist ein Teil eines großen | |
| Zusammenkommens. Pro Abend gibt es ein Thema wie „Holiday“ oder „Fashion�… | |
| Mit kurzen Stand-up-Nummern unterhält Denice die Gäste und stellt vier bis | |
| sechs Performer vor. „Und wenn Dinge trotzdem als problematisch kritisiert | |
| werden?“ „Dann hör ich mir das an und reagiere nicht trotzig. Leute wollen | |
| gehört werden und oft haben sie einen guten Punkt.“ Denice geht gezielt auf | |
| Leute zu, die sie für witzig und begabt hält und motiviert sie, auf die | |
| Bühne zu gehen. Profis und Szenelieblinge wechseln sich ab mit Menschen, | |
| die zum ersten Mal vor Publikum auftreten. Die mittlerweile preisgekrönte | |
| Kabarettistin „Malarina“ oder der Tiktok Star „toxische Pommes“ gaben b… | |
| PCCC* ihr Debüt. Auch die unprofessionellen Performances bestechen meist | |
| durch schillernde Persönlichkeiten, für die Denice ein Händchen hat. So | |
| erzählt z. B. Faris Cuchi, queerer Aktivist aus Äthiopien, über sein | |
| Aufwachsen in einer strengchristlichen Familie, eine amerikanische Biologin | |
| aus der tschechischen Nachbarstadt Brno führt einen ins Storytelling der | |
| Südstaaten ein, oder „Gsindl“, eine Künstlerin aus dem Iran, bringt | |
| Anekdoten aus ihrem Alltag als Supermarktkassiererin. | |
| Es sind punkige Abende, an denen spannendere Typen als die klassischen | |
| Comedymacker zu Wort kommen. Und während andere Bühnen in der Pandemiezeit | |
| um Besucher rangen, rangeln sich die Leute für PCCC* um Restkarten. „Wir | |
| gelten immer noch als Nische, obwohl wir mittlerweile so groß sind.“ | |
| Als nächstes ist PCCC* in Linz vor dem [2][Konzert von „Pisse“] zu sehen. | |
| Trotz ihrer Bekanntheit, wird sie vergleichsweise wenig für Kooperationen | |
| angefragt. Warum? „Ich glaube, die denken wegen dem PC, ich bin total | |
| streng, dabei weiß jeder, der mich kennt, ich bin so nett. Ich bin so lieb | |
| und brav. Das ist vielleicht das einzig Schwedische an mir. Mein gutes | |
| Benehmen.“ Sie lacht so laut, dass sich jeder im Lokal umdreht. | |
| 22 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Queerfeministisch-ins-neue-Jahr/!5903398 | |
| [2] https://blogs.taz.de/popblog/2022/07/01/via-tiktok-zum-welthit-pisse-und-ih… | |
| ## AUTOREN | |
| Stefanie Sargnagel | |
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