# taz.de -- Ruhtriennale unter neuer Intendanz: Solo nicht ohne meinen Dildo | |
> Die Ruhrtriennale hat eine neue Intendanz. Der Untergang in den | |
> Inszenierungen von Barbara Frey und Florentina Holzinger ist einmal | |
> leise, einmal laut. | |
Bild: Still und stimmig ist die Iszenierung von „Der Untergang des Hauses Ush… | |
[1][Barbara Frey] kam zum Theater über den Umweg der Musik, der vielleicht | |
gar kein Umweg ist. Denn sie begann als Drummerin in einer Rockband und | |
schrieb Songtexte. Rhythmusgefühl ist im Sprechtheater eine häufig weit | |
unterschätzte Gabe. | |
Frey gilt nicht als Bilderstürmerin, sondern steht für werkgerechte, | |
präzise und musikalische Literaturadaptionen. Unaufgeregtes Schweizer | |
Understatement ging ihrem Auftakt als neue Intendantin der Ruhrtriennale | |
schon voraus, [2][endlich einmal wurde nicht vorab ein Schwall | |
theoretisierenden Konzept-Geschwurbels entfesselt], keine großsprechenden | |
Reden, kein staatstragendes Tamtam. Stattdessen ein Konzert im Morgengrauen | |
und dann „Der Untergang des Hauses Usher“. | |
Der Bühnenbildner Martin Zehetgruber hat die hohen Fenster der | |
Maschinenhalle Zweckel lückenhaft mit Brettern vernagelt, sinkendes | |
Abendlicht dringt noch dämmernd in den Raum. Rainer Küng taucht die mit | |
Instrumenten, Stühlen und Büchern karg möblierte Szene in | |
magisch-schummriges Licht. Es beginnt mit einem minimalistisch hämmernden | |
Solo zweier Pianisten (Tommy Hojsa und Josh Sneesby), die eine immer | |
gleiche Akkordfolge kaum merklich vom Diskant in tiefe Basslage | |
verschieben. | |
In monoton rhythmisierter Slow Motion bewegt Frey dann ihr Personal aus | |
sechs BurgschauspielerInnen (der Abend ist eine Koproduktion mit dem Wiener | |
Burgtheater). In schwarzer Trauerkleidung schiebt sich die Truppe eng | |
beieinander nach vorne. Dann beginnt eine Folge suggestiv aneinander | |
gereihter Poe-Texte, die nicht nur von der düsteren Geschichte der kranken | |
Zwillinge Roderick und Madeline und der Rückkehr ihrer Schwester aus dem | |
Grab erzählen, sondern noch Weiteres aus dem Gesamtwerk Poes hinzuziehen. | |
## Gehypte Extremperformerin | |
Das fabelhafte Ensemble zelebriert dieses Zeitlupentheater mit | |
stummfilmhaft überzeichneter Expression. Das ist hoch virtuos gemacht und | |
setzt nicht auf laute Schauereffekte, sondern hält konsequent die | |
bedrohliche Stimmung eines namenlosen, nicht fassbaren Grauens, für das es | |
keine Bilder gibt, weil es im Inneren wohnt. Die Stilisierung hat durchaus | |
auch etwas Pathetisches in ihrer Dauerüberspanntheit, dennoch hat der Abend | |
etwas Dringliches. Ob mit der Ausstellung lähmender Dauerangst Aktuelles | |
gemeint ist, gar unser diffuses Krisengefühl, bleibt offen. | |
Als brüllend laute Antithese von Freys fein gezeichneter Arbeit zeigt sich | |
dann erwartungsgemäß die neue Show [3][der gehypten Extremperformerin | |
Florentina Holzinger]. „A divine comedy“ nimmt bestenfalls assoziativ Bezug | |
auf Dantes „Göttliche Komödie“ und fährt in der Kraftzentrale des | |
Duisburger Landschaftsparks eine knapp zweistündige Nummernrevue ab, die | |
von einer Rahmenhandlung nur dürftig zusammengehalten wird. | |
Eingestimmt von einer Handvoll selbstverständlich nackter Musikerinnen | |
(elektronisch verstärkte Geigen, Cello, E-Piano), denen jeweils ein | |
umgeschnalltes Skelett über die Schulter guckt, schickt eine | |
Hypnose-Entertainerin eine Sechsergruppe (angeblich aus dem Publikum) in | |
Fake-Hypnose und erweckt eine junge Frau (aus Holzingers Truppe) zu Dante, | |
die sich dessen rote Kappe und Umhang greift und umgehend ihre Flatulenzen | |
thematisiert. So lässt sie denn einen fahren, statt den berühmten Vers zu | |
zitieren „Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren“. Witzig? Geht so. | |
Es folgt ein Ballett der Dixie-Klos, dann nimmt langsam die Show der 22 | |
Performerinnen an Fahrt auf. Alle sind nackt, wie es die Marke Holzinger | |
verspricht, verschiedene Gewichts- und Altersklassen sind korrekt | |
abgedeckt, es sind athletische Hürdenläuferinnen dabei, aber auch ältere, | |
untrainierte Semester, sowie die über siebzigjährige Tänzerin Beatrice | |
Cordua. Sie spielt eine an Parkinson erkrankte Tänzerin, die im Caddy | |
hereinfährt und ihre oder eine Tänzerinnen-Lebensgeschichte erzählt. | |
## Ein Dildo-Masturbationssolo | |
Das sind die sogar ansatzweise berührenden Momente dieses Abends, der sich | |
in zähen Wiederholungen verliert und an seiner banalen Tonspur krankt, die | |
aus der Welt der Hochkultur nur die abgenutztesten Motive zu zitieren weiß: | |
Orffs „Carmina Burana“, den ikonischen Beginn von Beethovens Fünfter und | |
den orgiastischen Schluss von Strawinskys „Sacre“ zum echten (?) Höhepunkt | |
eines Dildo-Masturbationssolos. | |
Ansonsten spult die Nummernrevue ab: Immer wieder rauscht eine | |
Cross-Maschine herein, Hürdenläuferinnen nehmen wieder und wieder Anlauf | |
(ja ja, die Zurichtung weiblicher Körper), dann wird ekstatisch Holz | |
gehackt, eine Body-Painting-Nummer wird zur großen Suhlerei. Frauenleiber | |
rollen von Treppen herab und Dante veranstaltet ein kleines | |
Kettensägenmassaker. | |
Die Produktion, die von der Ruhrtriennale aus auf die übliche Festivaltour | |
geht, war als radikaler Totentanz geplant. Die Radikalität erweist sich | |
jedoch als Behauptung, dem Abend fehlen Tempo, Dramaturgie, Stringenz und | |
vor allem echte Härte. Wenn hier eine radikal-feministische Haltung | |
versteckt ist, dann bestenfalls in bloß angedeuteter Selbstironie. 2007 | |
inszenierte Jan Fabre bei der Ruhrtriennale einen furiosen | |
Metamorphosen-Abend, der am Ende eine Lastwagenladung zertretener Blumen | |
und ein betäubtes Publikum zurückließ. Damals waren auch Nackte auf der | |
Bühne, niemand fand etwas dabei, während nun in Duisburg – was sicher als | |
Erfolg gewertet wird – einige Abwanderungen zu bemerken waren. Großer Jubel | |
der Szene-Entourage, höflicher Beifall vom Rest. | |
23 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Regine Müller | |
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