| # taz.de -- Hermann Nitsch in Bayreuth: Mit Schrubbern und Eimern | |
| > Bei den Bayreuther Festspielen kommentiert Hermann Nitsch „Die Walküre“ | |
| > von Wagner mit einer gigantischen Malaktion. Das passt erstaunlich gut. | |
| Bild: Malassistenten von Hermann Nitsch schütten Farbe von oben herunter in de… | |
| Zufall oder Trend? In diesem Festspielsommer ist auf der Opernbühne die | |
| bildende Kunst auf dem Vormarsch. In Salzburg inszenierte [1][Romeo | |
| Castellucci „Don Giovanni“] in Tableaus voller Anspielungen auf die | |
| Kunstgeschichte, mehr White-Cube-Installation als Theaterinszenierung. In | |
| Bayreuth folgt nun Richard Wagners „Die Walküre“ als konzertantes | |
| Arrangement vor einer Malaktion des für sein Orgien- und Mysterientheater | |
| berüchtigten österreichischen Aktionskünstlers Hermann Nitsch. | |
| Die Aufführung wäre ohne die Pandemie allerdings nicht zustande gekommen, | |
| denn sie ist Teil eines Ersatzprogramms für die Neuinszenierung des „Ring | |
| des Nibelungen“, die im vergangenen Jahr der Pandemie zum Opfer fiel und | |
| auf 2022 verschoben wurde. | |
| Das Ersatzprogramm bietet noch weitere Neuinterpretationen des | |
| „Ring“-Stoffs, im Festspielpark beschäftigt sich eine Komposition von | |
| Gordon Kampe, mit Puppen realisiert von [2][Nikolaus Habjan], mit „Das | |
| Rheingold“, „Siegfried“ wird multimedial aufbereitet von Jay Scheib, und | |
| die Japanerin [3][Chiharu Shiota] zeigt zur „Götterdämmerung“ ebenfalls im | |
| Festspielpark eine Installation. Die drei Kreationen sollen die Tetralogie | |
| „spiegeln, kommentieren, fortschreiben oder neuartig erlebbar machen“, wie | |
| es heißt. | |
| Nach wie vor ist die Pandemie in Bayreuth allgegenwärtig, nicht zuletzt | |
| durch die rigiden Hygieneregeln und die stark limitierten Plätze, die dafür | |
| sorgten, dass ein Teil der Pressegäste von der „Walküre“-Premiere am 29. | |
| Juli in die Generalprobe verschoben werden musste, auch die | |
| taz-Korrespondentin. | |
| [4][Den heute über 80-jährigen Künstler Hermann Nitsch] mit einer | |
| Fortschreibung der „Walküre“ zu betrauen ist tatsächlich so abwegig nicht, | |
| denn erstens „inszeniert“ er damit nicht zum ersten Mal eine Oper, und | |
| zweitens ist ja auch Nitsch ein Künstler, der sich als Gesamtkunstwerker | |
| versteht, sozusagen als Parallelentwurf zu Wagners Kunstbegriff. | |
| ## Platsch!, macht das immer wieder | |
| Zu Beginn ist die Bühne ein unschuldig weißer Raum, ein paar Besen stehen | |
| bereit und drei Stühle an der Rampe. Die Sänger*innen treten in | |
| einheitlichen schwarzen Kutten auf, und während der Dirigent Pietari | |
| Inkinen im gedeckelten Graben das Orchester zu ersten Klangstürmen | |
| aufpeitscht, beginnen zehn Maler*innen mit ihrer Arbeit: Eine Abordnung | |
| zelebriert die für Nitsch typischen sogenannten Schüttbilder, bei denen | |
| Farbe am oberen Rand der Leinwand ausgegossen wird und dann in Rinnsalen | |
| hinunterläuft. | |
| Gelb und orange leuchten die ersten Rinnsale, während eine zweite | |
| Mannschaft den Bühnenboden grober bearbeitet und meist mit schwungvollem | |
| Anlauf Farbe aus Eimern auf den weißen Boden leert. Platsch!, macht es | |
| immer wieder, gern platzt das Geräusch auch in leise Stellen oder | |
| Generalpausen herein. Die Boden-Truppe nimmt bisweilen die Besen zur Hand | |
| und schrubbt geräuschvoll Farbschlieren ineinander. | |
| Derweil bliebt es vorne am Bühnenrand durchweg oratorisch. Die | |
| Sänger*innen treten auf und ab, Spiel und Gesten bleiben bloß | |
| angedeutet, das Geschehen verlagert sich ausschließlich in die Musik und, | |
| ja tatsächlich, in die völlig abstrakte, aber immer beredtere Dynamik der | |
| rinnenden Farben, mal in dickem Fluss, mal in feinstem Strahl, von | |
| leuchtenden Neon- bis hin zu opaken Erdtönen, auf geheimnisvolle Weise | |
| synchronisiert mit den inneren Zuständen, die Wagners Musik schildert und | |
| unbewusst rumoren lässt. | |
| ## Partitur der Farben | |
| Die Maler*innen arbeiten, so heißt es, mit Knopf im Ohr und folgen, mit | |
| gewissen Freiräumen der Improvisation, Nitschs minutiösen Anweisungen, der | |
| offenbar so etwas wie eine Farbpartitur entworfen hat. | |
| Brünnhildes Todesverkündung wird vorbereitet mit einem Schwall in Mintgrün, | |
| dann folgen Flieder und Gelb, keineswegs plattes Schwarz. Je mehr das Auge | |
| sich an den Farbrausch und seine eigenwillige Dramaturgie gewöhnt, desto | |
| interessanter wird es. Tatsächlich geschieht ja nichts auf der Bühne, außer | |
| dass sich in jeder Sekunde Farbe bewegt, rinnt, tropft und spritzt und neue | |
| Farbe die alte überlagert. Die äußere Handlung von Wagners Musiktheater | |
| gerät dadurch vollständig aus dem Blick, das Geschehen wendet sich vielmehr | |
| nach innen, lauscht auf die Zustände, das Fließen der inneren | |
| Emotionsströme. | |
| Am Ende vermisst man fast nichts und schon gar keine schlechte Regie. Zumal | |
| Pietari Inkinen im Graben sich auf kongeniale Weise auf die Situation | |
| einstellt und auf kammermusikalische Transparenz, Leichtigkeit und das | |
| Herauspräparieren von Farben statt lauter Effekte setzt, wobei ihm auch die | |
| glückliche Situation entgegenkommt, dass die Sänger sich nicht in der Tiefe | |
| der Bühne verlieren. | |
| Inkinen dirigiert eine intime, klangleuchtende und dennoch enorm | |
| dramatische „Walküre“. Auch die Sänger*innen sind spürbar glücklich mit | |
| der Situation: Das festspielreife Ensemble wird überragt von Lise Davidsen, | |
| die als Sieglinde eine Wucht ist, kraftvoll und mühelos in den Höhen, Klaus | |
| Florian Vogt ist ein hell timbrierter, leichter Siegmund. Insgesamt ein | |
| interessanter Abend, keine Notlösung. | |
| 30 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Regine Müller | |
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