# taz.de -- Nachruf für Hermann Nitsch: Erst Störung, dann Ehrung | |
> Farbe verschwenden und Blut verspritzen gehörte zur Aktionskunst des | |
> österreichischen Künstlers Hermann Nitsch. Nun ist er gestorben. | |
Bild: Der Künstler Hermann Nitsch 2021 in Bayreuth | |
Die Neuauflage des Orgien-Mysterien-Theaters, geplant für kommenden Juli, | |
wird wohl nicht mehr stattfinden. Letztes Jahr wurde das Gesamtkunstwerk | |
coronabedingt abgesagt. Dieses Jahr ist Hermann Nitsch nicht mehr da. | |
Das dionysische Opferspektakel mit blutverschmierten nackten Menschen in | |
geschlachteten Rindern, Kreuzigungsszenen und orgiastischem Wühlen in | |
Eingeweiden – 1998 über sechs Tage zelebriert – hat Nitsch einst berühmt | |
gemacht und für Skandale gesorgt. Besonders mit der katholischen Kirche, | |
aber auch mit Tierschützern und der Justiz hat er sich angelegt. Dabei | |
wollte der 1938, kurz nach dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland, | |
in Wien geborene Künstler ursprünglich Kirchenmaler werden. | |
„Die Aktionsmalerei ist quasi die erste Stufe – ursprünglich wie auch | |
heute. Damals ging es mir eher ausschließlich um die Substanz, die Materie | |
der Farben. Ich wollte im Farbschleim wühlen, Farbe verschwenden, | |
verschmieren, verspritzen“, erklärte er einer kleinen Gruppe von | |
Kunstkritikern und Presseleuten, die er im Sommer 2020 in sein Museum in | |
Mistelbach und seinen Landsitz Prinzendorf im niederösterreichischen | |
Weinviertel eingeladen hatte. | |
## Einladung in die USA | |
Erste internationale Anerkennung wurde ihm schon 1966 in London zuteil. Auf | |
den Abbruch seiner 21. Aktion durch die Polizei folgte eine Einladung in | |
die USA. Die ideale Kulisse für seine Aktionen fand er aber im barocken | |
Schloss Prinzendorf, in das Ehefrau Nummer 2, die deutsche | |
Industriellentochter Beate König, auf Drängen ihres mittellosen Angetrauten | |
ihr Erbe steckte. | |
50 Jahre lang war es Zentrum und Gravitationspunkt des Künstlers, der in | |
den 1960er Jahren mit Otto Mühl nicht nur die etablierte Kunstwelt | |
provoziert hatte und wegen Erregens öffentlichen Ärgernisses und Störung | |
der öffentlichen Ordnung 14 Tage im Gefängnis absitzen musste. | |
„Bis zur Hälfte meines Lebens hab ich nichts verdient und hab von meinen | |
Frauen gelebt“, so gestand Nitsch einmal nicht ohne Koketterie. Nach einem | |
zehnjährigen Exil in Deutschland und dem Unfalltod seiner Frau kehrte | |
Nitsch 1978 nach Österreich zurück. Er entwickelte seine umstrittene | |
Schütt-Technik, für die er nicht nur Acrylfarben, sondern vor allem bei | |
seinen Aktionen immer wieder auch Blut einsetzte. | |
Dass religiöse Symbole dabei oft eine Rolle spielten, trug ihm den Vorwurf | |
der Blasphemie von der katholischen Kirche ein. „Ich habe mich immer für | |
Religionen interessiert, habe eigentlich gleich Religionswissenschaften | |
betrieben und nie die Absicht gehabt, eine Religion zu beleidigen oder | |
herabzuwürdigen.“ Aber: „Ich hab halt in meinem Werk die Erotik und | |
Sexualität religiösen Phänomenen gegenübergestellt. Das hat die halt | |
aufgeregt.“ Längst versöhnt mit dem Klerus, hat Nitsch in seiner letzten | |
Ausstellung Messgewänder verarbeitet und immer wieder das Kreuz als Symbol | |
des Opfers integriert. | |
Auch in der Politik hatte der einst Geschmähte zuletzt nur mehr Freunde. | |
Die Republik verlieh ihm 2005 den Großen Österreichischen Staatspreis für | |
bildende Kunst, der konservative Landeshauptmann von Niederösterreich, | |
Erwin Pröll, schenkte ihm in Mistelbach ein Museum in einer stillgelegten | |
Fabrikhalle. Auch in Neapel gibt es ein Nitsch-Museum. | |
Zuletzt widmete er immer mehr Zeit der Musik, komponierte Symphonien aus | |
Sphärenklängen, die die Aktionen begleiten. Besondere Genugtuung bereitete | |
Nitsch vergangenen Sommer der Auftrag, bei den Bayreuther Festspielen eine | |
konzertante Version der „Walküre“ szenisch zu begleiten. Für jeden [1][der | |
drei Akte hatte er eine umfangreiche Malaktion konzipiert.] Seine Bilder, | |
die im Atelier am ehemaligen Getreidespeicher von Schloss Prinzendorf | |
entstanden, werden zu hohen fünfstelligen Beträgen gehandelt. Hermann | |
Nitsch starb nach längerer Krankheit am Ostermontag im Spital von | |
Mistelbach. | |
20 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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