# taz.de -- „Schwarzwasser“ am Berliner Ensemble: Überzeugende toxische M�… | |
> Am BE inszeniert Christina Tscharyski „Schwarzwasser“ von Elfriede | |
> Jelinek. Doch die Aufführung verwischt die sprachliche Schärfe des | |
> Textes. | |
Bild: Szene aus „Schwarzwasser“ von Elfriede Jelinek mit Claude De Demo, Be… | |
Der Anfang ist vielversprechend. Drei Musikerinnen betreten gelassen die | |
Bühne im Neuen Haus des Berliner Ensembles. Entschlossen streben sie ihrem | |
Equipment zu. Ihre Aufmachung erinnert ein wenig an Pussy Riot. Um | |
Politpunk wird es ja auch gehen. Virtuos greift [1][Laura Landergott,] | |
bekannt aus Bands wie Ja, Panik und City at Dark, in die Saiten ihrer | |
E-Gitarre. | |
Kühl perlen Worte aus dem Munde von Jessyca R. Hauser, einer | |
Videokünstlerin und Performerin, die zuletzt in Florentina Holzingers | |
Extremperformance „Tanz“ durch die teils verstörte Bühnenwelt tourte. Ein… | |
Neonpunk-Akzent setzen die fluoreszierenden Stöcke, mit denen Maya | |
Postepski, die aus Kanada stammende Musikerin und DJane, ihr Drumset | |
bearbeitet. | |
Über die Videowand in ihrem Rücken flimmern derweil [2][Schlagzeilen und | |
Fotos zu Ibiza-Gate]. Auf der Ferieninsel hatte eine falsche | |
Oligarchennichte aus Russland den späteren Vizekanzler Österreichs | |
Heinz-Christian Strache ermuntert, sich Österreich mal ganz anders | |
vorzustellen, mit gekaufter Presse, privatisierter Wasserwirtschaft und | |
weiteren politmafiaartigen Sauereien. Strache machte in dem Video ganz den | |
Eindruck, all das umsetzen zu wollen. | |
Das entlarvende Video wurde zwei Jahre später Medien zugespielt, weil einer | |
der Initiatoren den Eindruck hatte, die Politik von Strache, mittlerweile | |
Vizekanzler, ziele auf die Erfüllung der finsteren Videopläne ab – obwohl | |
die Oligarchennichte ja eine falsche war. | |
## Mittendrin in der Ibiza-Disko | |
Von der Aufmachung her erinnerten dann die drei Musikerinnen im BE an | |
diesen Lockvogel. So konnte man sich mittendrin in einer Ibiza-Disko | |
fühlen. Das Stroboskop-Licht, das durch den Raum blitzte, verstärkte diesen | |
Eindruck. | |
[3][Gut gesetzt war von der österreichische Regisseurin Christina | |
Tscharyiski] auch der erste Auftritt von weiteren vier Frauen auf der | |
Bühne. Gekleidet in einen weißen Herrenanzug, darüber die rot-weiß-rote | |
Schärpe österreichischer Würdenträger, enterten Claude De Demo, Bettina | |
Hoppe, Cynthia Micas und Stefanie Reinsperger die Szene. | |
Sie setzten ein fieses Grinsen in ihre Gesichter, das überzeugend | |
toxisch-männlich war. Gleich danach flachte der Abend aber ab. Beim | |
chorischen Sprechgesang konnten sich die vier nicht auf einen gemeinsamen | |
Atem einigen. Mal perlte die eine Stimme vor, mal zottelte die andere | |
hinterher. Die Abweichungen waren minimal; sie störten dennoch. | |
## Jelineks Wühlen in der Sprache | |
Jelineks Wühlen in der Sprache, dieses permanente Aufklappen immer neuer | |
Bedeutungsfenster durch kleinste Verschiebungen – „Wir opfern alles, was | |
uns nicht gehört“ ist eines dieser vielen glitzernden Juwele – wird zu | |
einem Strom, der zwar gewaltig aus den Mündern quillt, der aber zu selten | |
eine schlüssige Form erfährt. | |
Nur bei Reinsperger, der gebürtigen Wienerin, erhält die Sprache jenen | |
grantelig-nörgelnden Unterton, der das Jelinek’sche Umdrehen von Worten und | |
Sinneinheiten geradezu natürlich wirken lässt und über die gelegentlichen | |
Kalauer hinaus auch ganz gefährlich witzig macht. | |
Ansonsten fühlt man sich wie in einer weiteren Präsentation von Produkten | |
einer an Elfriede Jelinek trainierten Sprach-KI, die die Memes Ibiza, | |
Strache, Korruption und Machtrausch verarbeitet und von professionellen | |
Stimmen in die Welt gepustet wird. | |
## Technische Mängel | |
Zur weiteren Irritation trägt die lange Verzögerung zwischen Livespiel und | |
Videoprojektion des Livespiels bei. Zuweilen sind Ton und Lippenbewegung so | |
weit von einander entfernt, dass der Eindruck entsteht, die Spielerinnen | |
synchronisierten live die Szene der stummen Videokonserve. Das wäre noch | |
ein schöner Effekt. Beim weiteren Einsatz der Kamera wird aber deutlich, | |
dass der Delay technisch bedingt und nicht ästhetisch gesetzt ist. | |
All diese Mängel sind bedauerlich. Denn Jelineks Text über Politiker im | |
Übertretungsrausch ist ja brandaktuell. So aktuell wie vor mehr als 100 | |
Jahren wohl auch Alfred Jarrys Groteske um König Ubu. Diese | |
Mehrgenerationen-Aktualität führt dann auch dazu, dass das Gift, das | |
eigentlich in dem Text steckt, gar nicht mehr zu heftigen | |
Immunabwehrreaktionen führt. Man guckt und sitzt und nickt. | |
Gelegentlich bleibt das Auge an jenem großen Bühnentier hängen, das mal | |
Wolf, mal Hamster ist und über Ohren verfügt, die ganz neckisch an die | |
Horcher des aktuellen Kanzlers Sebastian Kurz erinnern. | |
Stoisch wickeln derweil die Musikerinnen ihr Programm ab. Man wünscht ihnen | |
mehr Platz, denn immerhin, sie halten souverän ihren Beat. Die teils | |
malerischen Videoüberlagerungen (Video und Bühne: Dominique Wiesbauer) | |
verschmelzen mit ihrem Sound, wie das bei gut gemachten Musikvideos auch | |
geschehen soll. Und am liebsten lassen sich die Augen auf den tanzenden | |
Neonsticks von Drummerin Postepski nieder. Viel Drumherum also für diesen | |
minimalistischen Nebenreiz. | |
20 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Album-von-Ja-Panik/!5769457 | |
[2] /Elfriede-Jelineks-Ibiza-Stueck-in-Wien/!5658829 | |
[3] https://www.berliner-ensemble.de/inszenierung/schwarzwasser | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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