| # taz.de -- „Oedipus“ am Deutschen Theater: Der ewig Suchende | |
| > Ulrich Rasche inszeniert „Oedipus“ in Berlin. Er setzt dabei auf | |
| > emotionsgeladenen Sound, übergeht aber die politische Dimension des | |
| > Dramas. | |
| Bild: Inszenierung am Berliner DT: Elias Arens als Kreon wird von Manuel Harder… | |
| Ganz klein sind die Menschen auf dieser Bühne. Ein Ring aus weißem Licht | |
| schwebt über ihnen, später werden es mehrere Kreise sein und sie wechseln | |
| die Farbe. Dunst im Raum taucht ihn in das wechselnde weiße, orange, rote | |
| und grüne Licht, unscharf sind die Gesichter meist. | |
| Und die Menschen, die Schritt für Schritt auf der Stelle treten, gegen den | |
| Sog der Bühnenmaschinerie, bewegen sich so durch das Ortlose. Keinen Raum | |
| und keine Zeit kennt diese Inszenierung des „Oedipus“ von Ulrich Rasche. Es | |
| ist immer schon Ewigkeit, es ist immer schon das Nichts, durch das sich die | |
| Menschlein kämpfen. | |
| So ist es von Anfang an eine bedeutungsschwere Anmutung, mit der Rasche das | |
| Drama von Sophokles auf die Bühne des Deutschen Theaters in Berlin bringt. | |
| Die Körper der Darstellenden sind in stetiger simultaner Bewegung, Schritt | |
| für Schritt, Wort für Wort, doch gibt es kein Woher und Wohin. Arme und | |
| Hände, nah am Körper gehalten, deuten eine ständige Spannung an. Eine | |
| unsichtbare Last wird geschleppt. Drei Stunden lang, mit wenig Variationen. | |
| [1][Der Regisseur Ulrich Rasche] ist ein harter Stilist. Doch hat er mit | |
| seinen Bühnenmaschinerien, die das Sprechen von konstanter Bewegung | |
| begleiten lassen, schon oft Texte der klassischen Theaterliteratur neu zum | |
| Klingen gebracht, mit Spannung aufgeladen und einem Verstehen von heute aus | |
| geöffnet. | |
| ## Warum Ödipus? | |
| In seiner Inszenierung des „Oedipus“ aber, mit der das Deutsche Theater in | |
| Berlin in die neue Spielzeit startet, bleibt der Raum des Verstehens über | |
| lange Zeit schmal. Anfangs gar fügen sich die einzelne gesprochenen Worte | |
| der Verse nicht mal zu Sätzen. Später ist zwar der Sinn der Verse klar, | |
| doch der Horizont des Verstehens öffnet sich nicht über das erzählte Drama | |
| hinaus. | |
| Warum Ödipus? Die Frage stellt sich in Berlin schon deshalb, weil an diesem | |
| Wochenende auch die Deutsche Oper, die Komische Oper und später auch die | |
| Schaubühne einen Ödipus-Stoff im Programm haben. Das Drama beginnt mit der | |
| Pest in der Stadt Theben, ein Orakel besagt, dass die Stadt nur befreit | |
| werden kann, wenn ein Mord gesühnt wird. | |
| Liegt es an Corona, dass der [2][Peststoff so an Interesse] gewinnt? Aber | |
| weiter möchte man die Analogie nicht treiben. Für welche Sünden werden wir | |
| gestraft, wer soll geopfert werden? Bitte nicht. Tatsächlich macht Rasche | |
| eine solche Analogie auch nicht auf. | |
| Der „Ödipus“ von Sophokles ist ein langsam erzähltes Drama. Der Zuschauer | |
| weiß, dass der Mörder des Lajos, den der Herrscher sucht, um die verfluchte | |
| Stadt zu befreien, er selbst ist. Man begleitet ihn durch die vielen | |
| Schleier, mit der seine Wirklichkeit verhängt ist, nimmt teil an der | |
| Steigerung seines Leidens. Den Vater, den er nicht erkannte, getötet, die | |
| Mutter, die ihm fremd war, geehelicht zu haben, und doch ein Leben lang vor | |
| genau dieser Prophezeiung geflohen zu sein. | |
| ## Krise der Demokratie | |
| Obwohl das Pathos in der Inszenierung von Rasche von Anfang an da ist, sie | |
| keinen Moment auf Alltäglichkeit setzt, stellt sich die Empathie erst recht | |
| spät ein. Die Figuren bleiben so fern, als gehe einen der antike Stoff kaum | |
| etwas an. Aber viele andere Ödipus-Inszenierungen haben gezeigt, dass dies | |
| auch anders gehen kann. | |
| Denn das Drama beschreibt auch eine Krise der Demokratie. Ödipus war der | |
| Held, der mit Wissen und durch das Wort Macht gewonnen hatte, als er das | |
| Rätsel der Sphinx löste. Mit ihm beginnt die Geschichte auf den Verstand zu | |
| setzen, statt auf das Schwert. Aber im Verlauf des Dramas beginnt er den | |
| Verlust seiner Macht zu fürchten, unterstellt denen, die ihn der Wahrheit | |
| näher bringen, Neid und Machtgier. | |
| Er wird zum Tyrannen. Wie Oedipus (Manuel Harder) seinen Schwager Kreon | |
| (Elias Arens) voll Misstrauen verhört, die Hand an seinem Nacken, ihn in | |
| ein Duett im Gleichschritt zwingend, gehört auch bei Rasche zu den | |
| stärksten Szenen. Doch reicht das kaum, um die politische Dimension des | |
| Dramas herauszupräparieren. | |
| Ulrich Rasche ist diesmal so [3][etwas wie Rammstein] unter den | |
| Theatermachern. Nico van Wersch, der mehrfach mit ihm zusammengearbeitet | |
| hat, hat die Musik geschrieben, die live hinter der Bühne gespielt wird. | |
| Bild für Bild baut sich da aus erst leisen Tönen ein emotionsgeladener, | |
| treibender Sound auf, bis zu einem Kulminationspunkt, an dem er plötzlich | |
| abstürzt. Der Rhythmus sitzt den Gehenden im Nacken, das bedrohliche | |
| Schwellen der Klangflächen hält die Spielenden im Griff. Die Inszenierung | |
| macht sie zu Marionetten. | |
| 29 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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