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# taz.de -- Hype um digitale NFT-Kunstwerke: Virtuelles Nichts oder Kunst?
> Zertifikate sollen an sich kopierbare Digitalkunst zu Unikaten machen.
> Unser Autor hat sich solch ein NFT-Werk gekauft und war genervt.
Bild: Doch, doch, das ist ein Original-Kunstwerk (Ausschnitt)
NFTs werden zurzeit als die Hoffnung für digitale Kunst dargestellt. Sie
sollen eine Methode sein, digitale Kunstwerke, die zuvor auf dem Kunstmarkt
keinen leichten Stand hatten, so easy zu verkaufen wie Gemälde oder
Skulpturen. Das ist nicht so, wie ich nun am eigenen Leibe erfahren habe.
Ein NFT-Kunstwerk zu erwerben ist ein umständlicher, langwieriger und
nerviger Prozess.
Aber zunächst mal für alle, die gerade erst zugestiegen sind: NFT steht für
Non-Fungible Token, also ein einmaliges, digitales Zertifikat. Es ist ein
Stück Hexadezimalcode, den man mit einer Kryptowährung wie [1][Bitcoin oder
Ether] erwerben kann und der als Beweis für die Originalität zum Beispiel
eines digitalen Videos, eines Memes oder einer GIF-Animation betrachtet
wird, weil dieser Code in der Blockchain, einer dezentralen Datenbank im
Internet, registriert ist.
Mit dieser Methode haben einige Künstler zuletzt ordentlich Geld verdient.
Die Popsängerin Grimes konnte so – scheinbar – die Eigentumsrechte an ein
paar potthässlichen Musikvideos für Millionensummen verkaufen. Der Grafiker
Beeple verkaufte beim Auktionshaus Christie’s gar ein NFT für sein
Lebenswerk „Everydays“ für knapp 70 Millionen Dollar [2][an einen Geek] in
Singapur.
Ich schreibe seit einem Vierteljahrhundert über digitale Kunst. Seit Ende
der 90er Jahre kenne und beschreibe ich das Problem, dass Künstler, die im
Internet oder mit digitalen Medien arbeiten, Schwierigkeiten haben, diese
Arbeiten auf dem Kunstmarkt zu platzieren. Denn digitale Dateien sind
verlustfrei kopierbar. Es gibt kein auratisches Original wie bei einem
Ölgemälde, sondern nur tendenziell endlose Kopien und Kopien von Kopien.
Manche Digitalkünstler unterrichten darum an Kunstakademien oder schaffen
auch leichter verkäufliche traditionelle Kunstwerke, um mit ihrer Arbeit
Geld zu verdienen. Schon lange vor dem Aufkommen der NFTs gab es aber auch
Künstler, die tatsächlich digitale Kunst verkauft haben. Der holländische
Künstler Rafael Rozendaal – der zuletzt für sechs NFT insgesamt 1 Million
Dollar bekommen hat – verkauft schon seit Jahren einzelne Websites an
Sammler.
## Besitz aktenkundig machen
Andere Künstler haben mit den Käufern ihrer Werke Verträge abgeschlossen
oder ihnen Echtheitszertifikate ausgestellt, die ihren Besitz aktenkundig
machen.
Man braucht also nicht unbedingt NFTs, um die Originalität eines digitalen
Kunstwerks zu attestieren – zumal auch die Registrierung in der Blockchain
keineswegs den Ewigkeitswert haben muss, der ihr immer unterstellt wird.
Die Erfahrung mit Computern zeigt vielmehr, dass Betriebssysteme und
Software, Internetverzeichnisse und digitale Dokumente schnell veraltet
oder ganz perdu sind.
Ich gönne es jedem Netz- und Computerkünstler, dass es nun eine neue
Methode gibt, mit ihren Arbeiten Geld zu verdienen. Ich persönlich hatte
solche Käufe für mich jedoch ausgeschlossen. Doch dann erschien bei Twitter
in meiner Timeline der Hinweis auf die Arbeit [3][„Zen for NFT“] des
Münchner Künstlers Volker Möllenhoff. Der hatte eine Arbeit geschaffen, die
sich mit der technischen Grundlage von NFTs beschäftigt.
## Funktion neuer Medien
Netzkunstarbeiten, die die Bedingungen ihrer Existenz untersuchen und
kritisch in die Funktionsweise neuer Medien intervenieren, sind der Grund,
warum ich mich für dieses Genre interessiere. Ich nahm mit dem Künstler
Kontakt auf, um die Arbeit zu erwerben.
„NFT for Zen“ wurde bei der NFT-Börse Openseas angeboten. Dort befindet es
sich in der Gesellschaft von kleinen Animationen und digitalen Bildern, die
von einer Armee frisch gebackener Künstler geschaffen werden, die am
derzeitigen NFT-Boom partizipieren wollen. Die meisten von ihnen könnten
kaum banaler sein: Manga-artige Gestalten und Landschaften wie aus einem
Fantasy-Epos, Comicfiguren und kleine Wackelanimationen.
Volker Möllenhoff aber hat gar kein Bild geschaffen, sondern bei Openseas
eine Datei hochgeladen, die zwar für einen Computer wie eine Bilddatei
aussieht, aber keinerlei Daten enthält – ein sogenanntes Zero-Byte File.
Wenn man sich die Arbeit auf der Plattform ansehen will, versucht diese ein
Bild zu zeigen, das es überhaupt nicht gibt.
## Mir gehört eine leere Datei
Stattdessen sieht man lediglich einen „Throbber“, also einen kleinen
rotierenden Kreis, der signalisiert, dass da etwas geladen wird – so
ähnlich wie bei YouTube, wenn das Video nicht starten will. Ich habe also
im Grunde nichts gekauft – wie übrigens auch alle anderen NFT-Inhaber. Ich
besitze lediglich ein Stück Code, das beweisen soll, dass mir diese leere
Datei gehört.
Der Titel „Zen for NFT“ bezieht sich übrigens auf eine historische Arbeit
von Nam Jun Paik: „Zen for film“ (1963), ein Film ohne Bilder, der durch
seine Vorführung im Projektor langsam Staub fängt und zerkratzt, wodurch
das projizierte Nichts mit Spuren seiner physischen Existenz markiert wird.
Auch meine Arbeit beginnt langsam, Spuren der Zeit zu zeigen. Wohl weil im
Hintergrund immer weiter an der Programmierung der Plattform gearbeitet
wird, verändert sich auch die kleine Animation immer wieder: Der rotierende
Kreis wurde in den zwei Monaten, seit ich dieses Nichtwerk „besitze“, erst
kleiner, dann wieder größer. Aktuell wird oben und unten ein Teil des
Kreises abgeschnitten.
## Zeichen von Vergänglichkeit
Das „ewige“ digitale Kunstwerk zeigt also bereits Zeichen seiner
Vergänglichkeit. Vielleicht kommt irgendwann jemand bei Openseas auf den
Trick mit dem Zero-Byte File und macht dieser Fehlfunktion ein Ende. Dann
verweist mein NFT sichtbar auf ein Nichts.
Um als Inhaber dieses Werks zu gelten und es nun auf meinem Smartphone
staunenden Kunstfreunden zeigen zu können (die bragging rights dürften
neben Spekulation der Hauptgrund sein, warum sich Leute solche Werke
überhaupt zulegen), musste ich ein mühsames Verfahren über mich ergehen
lassen. Zunächst musste ich mich bei einer Börse für Kryptowährungen
anmelden – denn bei Openseas kann man nur mit dem Digitalgeld Ether
bezahlen.
Um Ether zu kaufen, musste ich wiederum ein Konto bei der Onlinebank
eröffnen, mit der die Kryptobörse zusammenarbeitet – inklusive einer
Onlinevideokonferenz, bei der ich einer schemenhaften Gestalt am anderen
Ende per Webcam meinen Personalausweis zeigen musste, um meine Identität zu
bestätigen. Der Vorgang hatte etwas dezidiert Anrüchiges.
## Gebraucht: 0,1 Ether
Dann musste ich Geld von meinem Bankkonto auf das neue Konto überweisen, um
Ether erwerben zu können. Da der Kurs der Kryptowährung in dieser Zeit
dauernd kletterte, stieg auch der Preis für die 0,1 Ether, die ich
benötigte, um „Zen for NFT“ zu erwerben. Ich musste im Wettlauf mit dem
Kurs mehrfach Geld nachschießen, bis ich endlich genug zusammen hatte, um
ein Zehntel Ether bei einem mir persönlich unbekannten namenlosen Trader
mit einem Bankkonto bei der Stadtsparkasse Villingen zu erwerben – denn
Kryptowährungen werden nicht von den Kryptobörsen selbst angeboten.
Die sind nur Vermittlungsplattformen, auf denen die Inhaber von Kryptogeld
dieses zu ständig nach Angebot und Nachfrage wechselnden Kursen hin und her
verkaufen.
Zum Schluss musste ich noch ein „Wallet“, also eine virtuelle Geldbörse,
bei der Firma Metamask anlegen, um bei Openseas Digitalkunst shoppen zu
können. Um diese Transaktionen zu sichern, war ein Wust von Passwörtern und
aufs Handy geschickten PINs notwendig. Sollte ich ein Passwort vergessen
und die Datei, in der es verzeichnet ist, verbaseln, ist alles futsch. Ob
Metamask, Openseas oder die Kryptobörse im kommenden Jahr noch existieren,
weiß natürlich kein Mensch.
## Ein schlechtes Geschäft
Als Investition war das Ganze übrigens ein schlechtes Geschäft: Seit meinem
Kauf ist der Kurs von Ether dramatisch gesunken. Das kann man gleich am
Openseas-Listing ablesen – es ist, als ob ein Kunstwerk immer zusammen mit
seinem Preisschild ausgestellt würde.
Es gab zwar schon einen Kaufinteressenten, der mir 0,15 Ether für „NFT for
Zen“ geboten hat. Ich bin darauf aber nicht eingegangen. Lieber erfreue ich
mich weiter daran, wie sich ein kleiner rotierender Kreis in meinem
Browserfenster gelegentlich etwas verändert. Und daran, dass ich ein
virtuelles Nichts „besitze“, durch das der Künstler das ganze NFT-System ad
absurdum geführt hat.
Volker Möllenhoff war übrigens freundlich genug, mir zwei signierte Drucke
der Arbeit und des absurd langen, dahinter verborgenen Codes zu schicken –
ganz altmodisch auf Papier. Das bleibt auch dann, wenn die Blockchain
irgendwann ins virtuelle Nirwana verschwinden sollte. Sicher ist sicher.
11 Jul 2021
## LINKS
[1] /Wert-der-Kryptowaehrung/!5737971
[2] /HTML-Erfinder-Tim-Berners-Lee/!5774319
[3] https://opensea.io/assets/0x495f947276749ce646f68ac8c248420045cb7b5e/262989…
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
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