# taz.de -- Hype um Online-Zertifikate: Einzigartiger Müll | |
> NFTs schaffen künstliche Einzigartigkeit. Sie kommerzialisieren das | |
> Internet, frei nach dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben. | |
Bild: „Bored Ape“ Ausschnitt ist Teil der NFT Kollektion | |
BERLIN taz | Für 1,3 Millionen US-Dollar lässt sich viel kaufen. Justin | |
Bieber erwarb kürzlich damit das Abbild eines gelangweilten Affen. Den | |
hängt er sich aber nicht ins Wohnzimmer, denn es handelt sich um ein | |
Online-Zertifikat, ein NFT, Non-Fungible Token. Übersetzt heißt das in | |
etwa: nicht übertragbarer Gutschein. 10.000 Affen verkauft der „[1][Bored | |
Ape Yachtclub]“ vierer anonymer Künstler:innen als digitale Kunst. | |
Dahinter steckt nach [2][Kryptowährung] der nächste Internet-Hype. NFTs | |
schaffen vermeintlich Einzigartigkeit. Sie stellen einen Grundbucheintrag | |
fürs Internet dar. Er hält fest, wer Originalbesitzer:in einer Datei, | |
wie etwa Justin Biebers Affenbild, ist. Die Tokens bescheinigen damit | |
unverfälschliches Eigentum. Sie lassen sich in Kryptowährung ersteigern, | |
kaufen oder verkaufen. Künstler:innen, die Galerie König, Haftbefehl, | |
selbst der WWF glaubt daran. Wieso? | |
Jörg Bibow ist Wirtschaftsprofessor am Skidmore College und forscht schon | |
lange zum digitalen Geldmarkt. Er hält NFTs für eine Modeerscheinung. „Sie | |
schaffen keinerlei gesellschaftlichen Nutzen und ähneln dem Glücksspiel“, | |
sagt er. Es fehle wie bei Kryptowährungen an Regulierung, Kriminelle | |
könnten Geld waschen, Käufer:innen seien nicht vor Betrug geschützt. | |
Genau das biete aber das Bankensystem. | |
„Dahinter verbirgt sich nichts Neues, vor allem schöpfen NFTs keinen echten | |
Wert“, sagt Ökonom Bibow. Sie tauchen auf, weil der Kapitalismus immer neue | |
Wege sucht, Geld zu verspekulieren. Das ging im Internet bisher allerdings | |
nur bedingt auf – wegen der dort lange vorherrschenden Gratiskultur. Dort | |
ziehen die NFTs aber auch ein: Ausgesuchte Sammler könnten ihre NFTs bald | |
auf Instagram zeigen, kündigte [3][Meta-Chef Mark Zuckerberg] vor wenigen | |
Tagen an. | |
Haftbefehl beteiligt sich | |
Ein Lied oder Bild, das jemand als „Creative Commons“ hochlädt, ist für | |
jede:n frei nutzbar. Kostenlose Lernvideos ersetzen für manche die | |
Lehrerin oder Privatunterricht. Lustige Bildchen verbreiten sich in | |
Sekundenschnelle. Diese kostenlosen Memes werden im Kapitalismus zur Ware, | |
er wandelt sie zu einmaligen NFTs. | |
Rapper Haftbefehl veröffentlicht nun eine NFT-Kollektion: Wer ein Token des | |
„Chabo Drop“ erwirbt, chattet mit Haftbefehl oder erhält VIP-Zugang zu | |
seinen Konzerten. Mit dieser „Creator Economy“ unterstützen Fans | |
Künstler:innen direkt, ohne Mittler. Das verbirgt sich scheinbar hinter | |
NFTs und Kryptowährungen. | |
Autor und Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt beruft sich auf Marx, um die | |
heutigen Krisen des Kapitalismus zu verstehen. In seinen Podcasts betreibt | |
er Ideologiekritik. Dafür bittet er um Spenden, auf traditionelle Art: „Mit | |
einer Banküberweisung unterstützt man Künstler am effektivsten“, sagt | |
Schmitt. Bei NFTs hingegen gebe es wegen der Wallets Transaktionsgebühren | |
von bis zu 17 Prozent. „Das wäre bei Kreditkarten unvorstellbar“. Der Reiz | |
des Neuen vernebele vielen die Sicht. | |
Selbst der Umweltverband WWF setzt inzwischen auf den Hype. „Krypto-Kunst | |
für Artenschutz“, verspricht er mit seinen „Non-Fungible Animals“, kurz | |
„NFA“. Wer ein digitales Tier kaufen und damit spenden möchte, muss mit | |
Kryptowährung handeln. Allein Bitcoin verbraucht jährlich rund 125 | |
Terawattstunden Strom pro Jahr, so die University of Cambridge 2022. Das | |
macht 0,6 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs aus. Wie lässt sich das | |
mit Umwelt- und Artenschutz vereinen? | |
## Der WWF setzt auf die Blockchain | |
Der WWF verwendet die Kryptowährung Polygon, angeblich eine „Blockchain mit | |
sehr geringem Energieverbrauch“. Und auch Ökonom Bibow sieht viel Potenzial | |
in der Technik, etwa bei Auslandsüberweisungen. „Als Bankersatz oder | |
Währungen taugen Bitcoin und NFTs aber nicht. Damit begeben wir uns zurück | |
in die Steinzeit“. Schließlich gebe es mit Kryptowährungen keine | |
Errungenschaften wie die Einlagensicherung. | |
Wolfgang M. Schmitt ist ebenfalls skeptisch. „NFTs sind symptomatisch für | |
den Kapitalismus“, wie sich an mehreren Aspekten zeige. Zunächst trieben | |
sie den Marx'schen Warenfetisch auf die Spitze. Der Kapitalismus verknappe | |
künstlich und schaffe so den Wert – der ohnehin bei NFTs fragwürdig sei. | |
NFTs bedienten zudem die „Eigentumsideologie“, sagt Schmitt. Der Mensch im | |
Kapitalismus müsse besitzen wollen, auch wenn überhaupt kein Bedarf | |
besteht. Daher dürste es ihn etwa nach dem Abbild eines gelangweilten | |
Affen. | |
Der Kapitalismus habe außerdem immer mehr zuvor nicht-kommerzialisierte | |
Räume und Güter erschlossen. „Wenn Sie heute durch die Stadt spazieren, | |
gibt es kaum etwas, für das Sie kein Geld bezahlen müssen. Man kann schon | |
froh sein, wenn eine Parkbank vorhanden ist“, sagt Schmitt. Das gelte auch | |
im Digitalen. Der Kapitalismus kommerzialisiert, wo es nur geht. Nun eben | |
die Gratis-Kultur in Form von NFTs. | |
## Wenige besitzen viel | |
Schließlich propagierten Krypto-Jünger, Teil einer Anarcho-Rebellion zu | |
sein. Sie demokratisierten Geld und schafften den Staat ab. Die Realität | |
sieht anders aus. Tatsächlich folgen Kryptowährung und NFTs dem | |
Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben. | |
0,01 Prozent der Nutzer:innen besitzen 27 Prozent der weltweiten | |
Bitcoins, zeigt eine aktuelle Studie der | |
Wirtschaftswissenschaftler:innen [4][Antoinette Schoar und Igor | |
Makarov]. Bei NFTs zeigt sich das gleiche Bild. Laut | |
Marktforschungsinstitut Moonstream halten 17 Prozent der Wallet-Adressen | |
mehr als 80 Prozent aller Ethereum-NFTs. | |
Vermögen konzentriert sich im Kapitalismus und fördert die Ungleichheit. | |
NFTs scheinen da wie ein weiteres Vehikel des Kapitals. Wenn Influencerin | |
Diana zur Löwen, Rapper Haftbefehl oder Youtuber Julien Bam nun mit NFTs | |
handeln, dann profitiert, wer ohnehin schon reich ist. Investmentfirmen wie | |
KKR verdienen dagegen ihr Geld mit den Auktionsplattformen für NFTs, statt | |
mit den Tokens zu handeln. Wer nicht so reich ist, muss zusehen, wie die | |
Justin Biebers dieser Welt haarige Affen erstehen. Es mag Schlimmeres | |
geben. | |
27 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://boredapeyachtclub.com/#/ | |
[2] /Guerilla-Aktion-mit-Songs-als-NFTs/!5833487 | |
[3] https://www.theverge.com/2022/5/9/23063514/nfts-coming-to-instagram-meta-di… | |
[4] https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3942181 | |
## AUTOREN | |
Nathanael Häfner | |
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