Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Obdachlosigkeit und Aufbruch: Mein Leben auf der Straße
> Unser Autor ist auf der Straße groß geworden, der Berliner Hermannplatz
> war sein Wohnzimmer. Eine Geschichte von Gewalt, Drogen und Zusammenhalt.
> Nominiert für den Theodor-Wolff-Preis 2024
Ich öffne die Haustür, und dort steht er. Er sieht gesünder aus, als ich
ihn in Erinnerung habe, scheint weniger Knochen im Gesicht zu haben. „Was
machst du denn hier?“, frage ich erstaunt. Ich wollte das Haus verlassen,
verabredet waren wir nicht. „Hi, ich bin gerade zwei Tage raus und dachte,
ich komme mal vorbei“, antwortet er.
Er ist frisch aus dem Knast entlassen worden.
Wir sind etwas unbeholfen, nesteln an unseren Sachen herum. Über ein Jahr
haben wir uns nicht gesehen. Jetzt, an einem Sonntag im April 2023, ist er
plötzlich wieder da.
„Komm her, lass dich drücken“, sage ich. Wir umarmen uns. Ich fühle mich
verbunden. So verbunden, wie ich es sonst kaum kenne. Pascal D. zählt zu
meiner Berliner Straßenfamilie.
Wir lernten uns vor langer Zeit am Hermannplatz kennen – zwischen Karstadt
und U-Bahn, zwischen Sonnenallee und Hasenheide. Dort war unser gemeinsames
Wohnzimmer. Wir gehörten zu einer Gruppe drogenabhängiger Obdachloser, die
sich hauptsächlich an diesem Platz aufhielten.
Ich habe den Absprung geschafft. Seit etwa zehn Jahren bin ich weg von der
Straße.
Ich bin clean.
Ich arbeite.
Ich wohne.
Er nicht, zumindest nicht dauerhaft. Pascal lebt derzeit in einem
Übergangswohnheim, „Carpe Diem“ heißt es. Nüchtern scheint er auch zu se…
„Erste Schritte in ein anderes Leben“, sagt er.
Ich freue mich, ihn zu sehen. Zugleich schlägt unsere Begegnung wie eine
Bombe in meine Gegenwart ein. Eben noch sitze ich an meinem Macbook,
pünktlich zum Mittag will ich los, einkaufen im Bioladen. Nun steht Pascal
vor mir. Und mit ihm mein altes Leben.
Erinnerungen tauchen auf: Vanillepudding für 29 Cent, Schrippe dazu. Das
Kupfergeld, das wir zusammensuchen, um an der Kasse bezahlen zu können.
Lange her.
Ich bin auf der Straße groß geworden. Mit 12 Jahren haue ich erstmals von
zu Hause ab, mit 13 erneut. Zunächst pendele ich noch zwischen meinen
geschiedenen Elternteilen und der Obdachlosigkeit. Bald hänge ich nur noch
am Alexanderplatz und am Bahnhof Zoo ab. Manchmal chille ich in der Potse,
einem Jugendclub in Schöneberg.
Ich suche Hilfe, aber keiner hört mir zu. [1][Auch das Jugendamt] erkennt
meine Not nicht. Als ich im Frühjahr 2004 meine Situation dort schildere,
sagt eine Mitarbeiterin zu mir: „Wir sind für Fälle mit echten Problemen
da. Nicht für Teenies, die mal kurz keine Lust auf ihre Eltern haben.“ Ich
verlasse ihr Zimmer, verlasse das Haus. Ein Weg aus Steinplatten führt auf
die Straße. Er kommt mir unendlich lang vor.
Mitte der Nuller Jahre leben mehrere tausend Kinder und Jugendliche auf der
Straße. Heute sind den Schätzungen [2][des Deutschen Jugendinstituts]
zufolge mindestens 6.500 unter 18-Jährige obdachlos. Sie würden am ehesten
durch die sogenannten Überlebenshilfen aufgefangen, heißt es. Das ist ein
feststehender Begriff für Essen, Schlafsack, Dusche und Ähnliches.
Sozialarbeitende, zum Beispiel vom [3][Verein Straßenkinder,] fahren mit
einem Bus durch Berlin und verteilen Tee und Essen. Sie hören zu, wenn
jemand reden möchte. Auch ich habe von denen schon eine Suppe gelöffelt.
Warum ich damals von zu Hause weg bin? Ich kenne kein Straßenkind, bei dem
es „diesen einen Grund“ gibt. Die meisten kennen kein schönes Leben, und
irgendwann sind sie alt genug, um etwas zu ändern. Wir wehren uns, indem
wir fortgehen. Auf der Straße gehören wir dazu und beweisen uns. Wir
versuchen, Spaß zu haben und den Rest zu vergessen. Das Straßenleben
verbindet. Es ist zu kalt, zu warm, zu gefährlich, zu drauf, zu viel für
eine Seele.
Die Schule besuche ich in dieser Zeit nicht mehr, meine Versetzung in die
10. Klasse „scheint ausgeschlossen“, steht auf einem Zeugnis. Ich trinke
Alkohol, zu viel davon. Ich probiere vieles, auch Heroin. Mit 16 Jahren
schleppe ich mich erneut ins Jugendamt. Dieses Mal hört mir ein Mitarbeiter
zu. Jetzt bin ich offenbar „ein Fall mit echten Problemen“. Er sagt: „Wir
werden mit Cleanpeace sprechen. Aber auf jeden Fall musst du zur Entgiftung
für zehn Tage.“ Cleanpeace ist eine Koordinierungsstelle von Karuna, einem
Verein für Kinder und Jugendliche in Not. Ich möchte so gerne alleine
wohnen, mit Betreuung wäre auch in Ordnung, denke ich. Ich willige ein.
In der Psychiatrie, in der ich entgifte, steht nach fünf Tagen eine
Amtsärztin vor mir. Sie bringt mich in einer geschlossenen therapeutischen
Einrichtung in Brandenburg unter. Davon war vorher nie die Rede, es wurde
nicht mit mir abgesprochen. Wieso seid ihr nicht ehrlich? Ich hasse Euch.
Mit richterlichem Beschluss werde ich in dem Heim zehn Monate eingesperrt,
hinter einem grünen Zaun. Ich darf das Grundstück nicht verlassen, darf
kaum Kontakt nach außen haben, soll rigide Regeln befolgen, die mir nicht
einleuchten. Was habe ich eigentlich verbrochen?
Später wird der Alltag etwas lockerer. Ich lerne eine liebe Therapeutin
kennen und stehe die Zeit durch, zwei Jahre. Doch ich schaffe es nicht,
drogenfrei zu leben. Als ich wiederholt rückfällig werde, muss ich gehen.
Auch weil stationäre Jugendeinrichtungen sich nicht mehr in der
Verantwortung sehen, wenn ihre Schützlinge erwachsen sind.
Ich packe meine Sachen und steige in den Zug nach Berlin. 18 Jahre alt,
Wanderrucksack, Alexanderplatz. Ich kiffe, trinke, schmeiße Tabletten ein.
Für den Rückfall gibt es sogar ein Wort: Ehrenrunde heißt es im
Psychiatrieslang, wenn jemand erneut auf der Straße und in der Sucht
landet.
Doch von nun an begleitet mich immerhin eine Hündin: mittelgroß,
weiß-braun, vier Pfoten. Ich nenne sie Flöckchen. Sie ist [4][in der Köpi
geboren], einem linken Hausprojekt in Kreuzberg. Ein Punk vom Alex kümmert
sich um sie. Weil er wegen Körperverletzung verhaftet wird, übernehme ich
sie. Erst ist es eine Katastrophe mit uns beiden, weil ich keine Ahnung von
Hunden habe. Sechs Monate später möchte ich nicht mehr ohne sie leben. Am
Fernsehturm gammeln wir herum. Flöckchen und ich. Gestrandete, Alkies,
Punks.
Wir trinken, lachen, und manchmal steigen die Fans vom BFC Dynamo aus dem
Zug, um uns zu verprügeln. Es ist egal, ob sie ihr Fußballspiel verloren
oder gewonnen haben. Das macht denen einfach Spaß.
Über Paul, einen Altpunk vom Alex, gelange ich irgendwann in die Sparkasse
am Hermannplatz. Paul habe ich über unsere Hunde besser kennengelernt, er
gibt mir manchmal ein Bier aus. Er sagt: „Ich habe in einer Sparkasse einen
Platz gesichert und brauche den nicht mehr.“ Gute Schnorrplätze bekommt man
auf der Straße oft über Beziehungen. In der Bank gibt es Schichten, um den
Platz unter mehreren Leuten aufzuteilen. Dieses System ist an begehrten
Plätzen wie diesem üblich. Begehrt sind sie, wenn es dort „gut läuft“,
überdacht und windstill ist.
Paul ist für mich so etwas wie ein Vorbild. Die Altpunks vom Alex heißen
„die Saubande“, sie haben sich über die Zeit Respekt erarbeitet. Sie
bestimmen, was geht und was nicht. Wenn es Stress gibt, dann regeln sie
das. Oft müssen sie nur auftauchen, und die Sache klärt sich wie von
Zauberhand. Ansonsten wird die Hand zur Faust.
In ein paar Jahren gehöre ich auch dazu, bin stark und unberührbar. Das ist
alles, was ich will.
In der Sparkasse am Hermannplatz breite ich von nun an fast täglich meine
Lederjacke für meinen Hund aus und verkaufe die Straßenzeitung motz. In
meiner Freizeit sitze ich am Alex, zum Geldverdienen fahre ich in die Bank.
Das läuft erstaunlich gut. Doch nach ein paar Wochen kommt es zu einem
Moment, der einiges ändert: Ich will am Kottbusser Tor Gras kaufen, doch es
gibt nur Heroin. Ich sage „okay“, bezahle und bin wieder angefixt. Unter
den Punks ist Heroinkonsum verpönt. Ich habe keine Lust, darauf
angesprochen oder schief angeguckt zu werden. Ich löse mich vom Alex und
bleibe am Hermannplatz.
Ein Altpunk werde ich wohl nicht mehr.
Am Alex war oft Party, am Hermannplatz lebt es sich gar nicht mehr
unbeschwert. Ich lerne Wohnungslose kennen, die harte Drogen nehmen, und
werde Teil dieser neuen Gemeinschaft. Die Leute sind ernster und viel älter
als ich. Mit 20 bin ich der Jüngste unserer Gruppe. Es geht oft ums bloße
Überleben. Rund um den Hermannplatz leben viele Menschen aus türkischen und
arabischen Familien, aber die Gruppen der Obdachlosen mischen sich kaum. In
unserer Straßenfamilie sind wir zu neunt.
Das sind unsere Namen:
Pascal D.;
Jürgen G.;
Christiane F.;
Dude;
Renate M.;
Sabine weißichnichtmehr,
Björn von H.,
Goldlöckchen.
Und ich, Sam Andreas.
Ich heiße in Wirklichkeit allerdings anders. Weil nicht jeder meine
Biografie im Internet finden soll, schreibe ich diesen Text unter einem
Pseudonym.
Am Hermannplatz leben wir in einer Parallelwelt. Das große Einkaufszentrum,
Karstadt, ist unsere Basis. Die umliegenden Hausflure, Dachböden und Keller
unser Bett. Den Menschen das Geld aus der Tasche zu fragen, ist unsere
Arbeit. Freundlich, zuvorkommend, „bitte“, „danke“ und nicht zu
aufdringlich. Jeden Tag und ohne Urlaub. Dieser Job ist für beide Seiten
nicht leicht zu ertragen, schätze ich. Manchmal klauen oder dealen wir
auch. Das ist noch unbefriedigender und funktioniert oft nur kurz.
Jürgen G.: Jürgen steht an einem der Eingänge zu Karstadt und schnorrt. Ich
kenne niemanden, der Jürgen nicht leiden kann. Er redet nicht viel. Jürgen
hat sogar eine Visitenkarte: „vor Karstadt, Montag bis Samstag“, steht
darauf. Die hat ein Student für ein Projekt drucken lassen. Total absurd,
und trotzdem ist Jürgen sehr stolz darauf. Er verschenkt sein Kärtchen an
seine „Stammkunden“ und wartet dann auf die irritierten Gesichter. Jürgen
und mein Hund sind verknallt ineinander – kann man echt nicht anders sagen.
Flöckchen spaziert manchmal von selbst los, um ihn zu suchen. Wenn sie ihn
findet, wedelt ihre Rute so sehr, dass sie beinahe umfällt.
Christiane F.: Jürgens zweite große Liebe heißt Christiane. Diese Frau ist
nicht totzukriegen. Sie verabscheut alle, die sich klein machen. Wenn einer
von uns rumnörgelt, was alles scheiße läuft, hält sie dagegen. Sie sieht
immer das Positive. Christiane F. wurde durch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“
deutschlandweit bekannt; am Hermannplatz redet niemand groß darüber, sie
ist einfach eine von uns. Sie hätte eigentlich genug Geld und
Möglichkeiten, um sich zu lösen. Aber sie bleibt bei uns, ihren Freunden.
Pascal D. und Dude: Pascal besucht uns mehrmals täglich. Er ist immer auf
Achse, grast die Mülleimer und Mülltonnen nach Flaschen ab oder arbeitet
sich mit einer Straßenzeitung durch die U-Bahn. Meistens ist Dude mit
dabei. Während Pascal bereits seine Dritten trägt und so dünn ist, dass man
auf seinen Rippen Klavier spielen könnte, hält sich der jüngere Dude noch
für etwas Besseres. Er sagt immer: „So wie ihr werde ich nicht. Ich habe
eine Wohnung, und es ist alles unter Kontrolle.“ Dafür lachen wir ihn aus.
Er weiß als angehender Junkie noch nicht, mit wem er sich angelegt hat: Die
Königin H ist unbarmherzig und verschlingt jeden.
Renate M.: Renate ist am Hermannplatz eine Institution. Sie schnorrt mit
ihrem Hund Lumpi beim Übergang zwischen U-Bahnhof und Karstadt. Renate ist
nur 1,60 Meter groß, aber kaum jemand wagt, ihren Platz unabgesprochen zu
besetzen. Sie kann ausrasten – aber wie. Als ein Obdachloser von einem
benachbarten U-Bahnhof einmal ihren Platz belegt, schreit sie ihn an: „Wenn
ich dich Fatzke hier noch einmal sehe. Nein, unterbrich mich nicht.“
Schimpfworte schallen durch den Schacht. Mit der motz verpasst sie ihm
Ohrfeigen. Lumpi bellt, ununterbrochen. Der Neue haut fluchend ab, Renate
setzt sich fluchend hin. Für Kino brauche ich hier am Hermannplatz echt
kein Geld ausgeben.
Sabine: Nach meinem ersten Jahr stößt eine jüngere Frau zu unserer Gruppe
dazu: Sabine. Sie ist für die anderen keine Unbekannte, weil sie nur kurz
auf Erholung war, im Knast. Das Gefängnis kann ein überlebenswichtiger Ort
sein. Dort können wir auftanken, werden medizinisch versorgt, es ist warm,
und es gibt regelmäßig Essen. Ich kenne mehrere Obdachlose, die sich zu
Beginn der kalten Jahreszeit freiwillig stellen, um in den Knast zu kommen.
Wir haben ein Dauerticket dahin, weil Kontrolleure uns regelmäßig wegen
Schwarzfahrens in Bus und Bahn erwischen. Sabine besucht uns zunächst nur.
Sie jobbt in einem Café und wohnt bei einem Kumpel. Sie versucht sich im
normalen Leben, aber die Sucht ist bald stärker. Nach ein paar Monaten
verliert Sabine ihre Arbeit, fängt wieder an zu schnorren. Manchmal kommt
sie zu uns in die Sparkasse.
Björn von H.: Dort arbeiten Björn und ich mit Goldlöckchen im
Schichtdienst. Mit Björn verstehe ich mich anfangs nicht gut. Er gehört wie
ich zu den Jüngeren, aber er ist mir zu weich, zu schlau. [5][Bevor er
wegen Depressionen] auf der Straße landete, hat er eine Familie gegründet.
Er hat sogar studiert. Und so redet er auch. Überhaupt will Björn immer
alles mit Worten klären. Unsere Beziehung ändert sich jedoch im Laufe der
Zeit. Wir wachsen zusammen, lernen voneinander. Irgendwann ist Björn mein
bester Freund.
Goldlöckchen: Mit dem etwas älteren Goldlöckchen habe ich nicht viel zu
tun. Wir nennen ihn wegen seiner hellblonden Locken so. Er bekommt
Substitutionsmedikamente, daher hat er einen anderen Tagesablauf:
Goldlöckchen kriegt seinen Stoff zugeteilt und verdient sich etwas hinzu.
Ich hingegen muss etwas verdienen und kann mir dann den Stoff kaufen.
Damals sind wir 9 von etwa [6][22.000 Obdachlosen bundesweit]. Seitdem hat
sich die Situation noch mal deutlich verschärft. Viele osteuropäische
Obdachlose kamen nach Deutschland. Inzwischen trifft man vermehrt auch
Frauen. 37.400 Menschen leben heute bundesweit auf der Straße. So steht es
zumindest im Wohnungslosenbericht der Bundesregierung, der 2022 erstmals
veröffentlicht wurde. Die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen. Im Bericht
heißt es, dass „insgesamt relativ lange Phasen der Wohnungslosigkeit von
über einem Jahr dominieren“. Anders gesagt: Wenn jemand ganz unten ist,
kommt er oder sie schwer (wieder) hoch.
Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, die Obdachlosigkeit bis 2030 zu
beenden. Ein großes Ziel, das Teil einer europäischen Strategie ist. Geht
es nach dem EU-Parlament, sollen die Mitgliedsstaaten zu Wohnungslosigkeit
forschen, sie sollen Obdachlosigkeit entkriminalisieren, für
Gleichberechtigung von Menschen mit und ohne Wohnraum sorgen und genügend
Gelder für Hilfen zur Verfügung stellen. Bei der Forschung mag Deutschland
inzwischen ganz gut dastehen. Was die anderen Forderungen angeht –
Entkriminalisierung, Gleichberechtigung und Geld –, ist noch viel zu tun.
Meine Biografie ist vom jeweiligen Gegenteil dieser Worte durchsetzt:
Verurteilung, Ungleichheit und Armut.
Der Vorraum der Sparkasse ist um das Jahr 2010 herum unser Dreh- und
Angelpunkt. Wenn jemand jemanden sucht, kommt er oder sie bei uns in der
Sparkasse vorbei. Handys, um sich abzusprechen, haben wir keine – oder nur
kurz, bis wir sie zu Geld machen. „Unsere“ Bank halten wir sauber. Die
offiziellen Mitarbeitenden akzeptieren uns.
Wenn der Geldtransporter kommt, dürfen wir als Einzige in der Sparkasse
bleiben. Der Kastenwagen stellt sich komplett auf den Gehweg mit der
Seitentür zum Eingang der Bank. So kommt keiner mehr hindurch, während die
bewaffneten Angestellten die Geldkassetten auswechseln.
Ich könnte manchmal auch eine Waffe gebrauchen. Es muss im Herbst 2011
gewesen sein, als ein Typ mit Skimaske über dem Kopf in den Vorraum kommt.
Er hebt, mit dem Blick zu mir, den Zeigefinger an die Stelle, wo ich den
Mund vermute. Ich soll still sein. Ich bleibe sitzen und umklammere meinen
Hund. Ganz fest. Nein, eigentlich will ich keine Waffe. Ich möchte viel
lieber im Boden verschwinden. Die Skimaske bedroht den einzigen Kunden am
Automaten. Der junge Mann scheint pleite zu sein, er kann nichts geben, er
schluchzt und bebt. Und ich sitze einfach da und schaue zu. Da holt die
Skimaske plötzlich ein Messer raus, die Klinge so lang wie mein Unterarm.
Er setzt es nicht ein, sondern schlägt dem Geldlosen mitten ins Gesicht.
Der rennt, stolpert um sein Leben, raus aus der Bank. Blut fließt,
wahrscheinlich aus der Nase. Der Maskierte geht langsam hinterher und
verschwindet in eine andere Richtung.
Ich drehe mir erst mal eine Zigarette und atme. Danke, Heroin, dass du mich
vor einem Nervenzusammenbruch bewahrst. Diese Droge wirkt nach Gewöhnung
nur kurz berauschend, aber durchgängig gefühls- und schmerztötend.
Gewalt und Straße gehören zusammen wie Nudeln und Tomatensoße. Der
Vergleich klingt harmlos, banal, normal. Aber genau das ist der Punkt: Für
mich ist das normal. In der [7][Studie zur Wohnungslosigkeit der
Bundesregierung heißt es], dass „unter den wohnungslosen Suchtkranken ohne
Unterkunft 84 Prozent Gewalterfahrungen“ machen. In unserer Straßenfamilie
sind es 100 Prozent.
Jahre später finde ich unser damaliges Leben in dem Song [8][„Löwenzahn“
von Sido] wieder, er geht mir ständig durch den Kopf:
„Wenn du Scheiße laberst, trifft dich ’ne Gerade / Auf jedes krumme Ding
folgt gewiss eine Strafe / Doch dieser Mann hat keine Zeit für eure Faxen /
An der Scheiße kann man eingehen oder wachsen.“
Dann der Refrain: „Zwischen Demut und Größenwahn / All die Probleme, die zu
lösen waren / Gott, vergib uns, weil wir böse waren / Auf der Straße
aufgewachsen wie Löwenzahn.“
Am Schlimmsten finde ich die Gewalt von Außenstehenden, die gegen uns
gerichtet ist: Menschen spucken uns an, beleidigen uns, treten, beklauen
und belästigen uns. Meistens grundlos. Manchmal bewerfen mich Menschen mit
Centstücken: „Hier, du kleiner Drecksjunkie, kauf dir was Schönes“, so
etwas sagen sie.
Aber auch untereinander werden wir handgreiflich. Viele soziale Normen
kennen wir gar nicht. Außer Björn vielleicht. Wir verteidigen unsere
Schnorrplätze, um unsere Einkommensquellen zu schützen. Nach einer
Schlägerei ist die Sache geregelt, keiner ruft die Polizei. Mit denen
zusammenzuarbeiten gilt als Verrat, meistens haben wir alle „etwas offen“ �…
das wäre ein Eigentor. Außerdem wird wohl kaum eine Streife geschickt, wenn
jemand die 110 wählt und sagt: „An meinem Stammplatz sitzt ein Fremder, und
wenn er nicht geht, werde ich heute hungern und entzügig. Er ist aggressiv,
und ich bräuchte daher dringend Hilfe. Wann sind Sie hier?“
Die Polizist:innen, mit denen wir zu tun haben, sind selten böse, manchmal
geben sie uns sogar Geld. Sie wirken genauso überfordert mit uns wie alle
anderen auch.
In den Jahren am Hermannplatz kommen kaum Sozialarbeitende vorbei. Nur im
Winter gibt es Krümmeltee. Das ist ein Klassiker unter den
Überlebenshilfen. Im Sommer kalt serviert und im Winter aus der
Thermoskanne. Ansonsten haben sie in der kalten Jahreszeit manchmal einen
Schlafsack dabei, oft sind die aber schon weg.
Zum Glück ist der Vorraum der Sparkasse relativ warm. Dort kann ich mich im
Winter ab und zu aufwärmen. Nachts kommt aber die Sicherheit vorbei, dann
finde ich Unterschlupf auf Dachböden oder penne auf den obersten Etagen in
Hausfluren. Aus den Mülltonnen hole ich Material und baue ein Bett aus
Styropor und Pappe. Die BVG öffnet im Winter manche U-Bahnhöfe über Nacht
für Obdachlose. Manchmal suche ich dort Zuflucht.
Besonders schlimm ist der Winter 2010/11. Viele von uns haben Erfrierungen
an den Füßen oder Händen. Kälte zermürbt. Ich bin im Januar und Februar so
erschöpft, dass ich aufgeben will. Aber das geht ja nicht, schon wegen
Flöckchen. Im Zweifel ziehe ich ihr mein buchstäblich letztes Hemd über.
Hund mit Hoodie. Ich halte es nicht aus, wenn sie zittert. Das ist
schlimmer als selber frieren.
Im Winter bietet die Stadt Notschlafplätze an. In diese Kältehilfe geht
keiner von uns. Die Regeln sind zu streng: Es gibt Taschenkontrollen. Oft
sind keine Hunde erlaubt. Die Gäste müssen in einem bestimmten Zeitfenster
dort sein und morgens um 7 Uhr wieder gehen. Das schaffen wir nicht.
Wir sind füreinander da. Vereint als Team an den guten und notgedrungen an
allen anderen Tagen. Wir besuchen uns im Knast, im Krankenhaus, leihen uns
Geld und passen auf unsere Hunde auf. Diese Menschlichkeit wirkt intensiver
auf der Straße als im normalen Leben. Obdachlose sind authentisch. Sie
sagen und zeigen, was ist. Ungeschminkt, könnte man sagen.
Es gibt keinen Platz für uns, außer in der Klapse und anderen Stationen im
Krankenhaus. Doch dort fühlen wir uns minderwertig, bekommen zu wenig
Substitutionsmedikamente. Das Personal steckt uns in die
„Junkie-Schublade“. Aus Krankenhäusern werden wir in die Obdachlosigkeit
entlassen. Wir brauchen ein Krankenhaus für Obdachlose. Es kann nicht sein,
dass Menschen am lebendigen Leibe verwesen oder wie Geister durch die
Städte wandeln: Alle wissen, dass sie da sind, und keiner sieht sie.
Nur in der allergrößten Not suchen wir medizinische und psychologische
Hilfe. Es ist entwürdigend. In vielen Köpfen ist wie eingespeichert, dass
wir schwach oder faul wären.
Da gab es dieses Erlebnis in der Notaufnahme: Ich habe mir meinen großen
Zeh fünffach gebrochen. Der Knochen ist verrutscht, „disloziert“ nennt sich
das. Nach dem Röntgen schaut sich ein Arzt meinen Fuß an. Er greift ohne
Vorwarnung, ohne mir Schmerzmittel zu geben, an meinen Zeh und richtet ihn.
Das bedeutet: ruckartig ziehen und drehen, bis die Knochen wieder in
Position sind. Nachdem ich aufgehört habe zu schreien, frage ich ihn unter
Tränen, was das sollte. Seine Antwort: „Na, in Ihrer Akte steht:
Heroinabusus. Sie kriegen von mir keine Schmerzmittel.“
Wir sind Menschen. Und wir wollen auch so behandelt werden.
Beziehungen können helfen. In der Sparkasse lerne ich einige Menschen über
die Jahre besser kennen. Eine junge Frau bringt mir zum Beispiel jeden
Mittwoch etwas Warmes zu Essen in die Sparkasse. Dank ihr entdecke ich die
Vorfreude wieder. Sonst kenne ich nur die existenziellen Fragen für die
kommenden Stunden: Hundeversorgung, Geld, Drogen, Schlafplatz, Trinken,
Essen. In dieser Reihenfolge gestaltet sich mein Dasein.
Nun plötzlich Vorfreude. Wegen dieser Frau denke ich manchmal schon Montag
an Mittwoch. Das ist anders und schön. Es geht nicht um die Frau
persönlich, sondern um die Zuwendung. Das Essen durchbricht meine
Einsamkeit. Da denkt jemand an mich.
Auch ein Sporttrainer spricht mich immer mal wieder an. Er stellt mir in
Aussicht, Boxen zu lernen, wenn ich clean bin. „Du kannst gern mal
vorbeikommen. Wir kriegen das auch hin mit den Mitgliedsbeiträgen. Also
wenn du dich entscheidest, ich würde mich freuen“, sagt er.
Auch wegen solcher Erfahrungen entscheide ich irgendwann, etwas zu ändern.
Ich will aus der Sparkasse in die Klapse, zur Entgiftung von Heroin.
Der Schritt dahin ist nicht leicht: Die meisten Obdachlosen werden eher
früher als später beklaut. Dann sind der Ausweis und die Krankenkassenkarte
weg. Um einen Platz im Krankenhaus zu bekommen, muss aber eine
Krankenversicherung bescheinigt werden. Dafür braucht es einen
Personalausweis.
Nach Monaten habe ich beides, ich melde mich zur Entgiftung an. Flöckchen
gebe ich am Hermannplatz bei Jürgen in Obhut. Am Bahnhof verabschieden wir
uns. Ich drücke meine Hand von innen an die Scheibe der U7. Vier Jahre
waren wir nie länger als ein oder zwei Stunden voneinander getrennt. Ohne
sie wegzufahren, fühlt sich an, als würde ich einen Teil meines Körpers
dalassen.
Station 85 im Neuköllner Krankenhaus. Ich werde mit Methadon entwöhnt. Nach
zwölf Tagen Hölle bin ich clean, mit 22 Jahren. Ich stehe plötzlich
nüchtern vor den Trümmern meiner Existenz.
Vielleicht hätte mir damals eine eigene Wohnung geholfen. Der übliche Weg,
um aus der Obdachlosigkeit herauszukommen, ist: erst Psychiatrie, dann
betreutes Wohnen, Therapie und schließlich die eigene Wohnung. Inzwischen
gibt es ein Modell, das [9][die Obdachlosigkeit direkt beenden will:
Housing First]. Dabei bekommen Obdachlose eine eigene Wohnung, ohne dass
vorher geprüft wird, ob der Mensch wohnfähig ist.
Die Wohnung ist die Basis für alles. Als ich kürzlich von dem Projekt
hörte, war ich begeistert. Das könnte für viele Obdachlose tatsächlich eine
Lösung sein.
Ich rufe Sebastian Böwe an, Wohnraumkoordinator bei Housing First Berlin.
Er sagt: „Unsere Sozialpädagogen helfen, einen Ausweis zu beantragen, und
unterstützen bis zum Einzug.“ Von dort kläre sich alles Weitere wie
Beschäftigung, Entzug oder Therapie. Zurzeit würden sie fieberhaft daran
arbeiten, die Bewerberliste abzuarbeiten, sagt Böwe. Das Berliner Projekt
nimmt seit Januar 2023 niemanden mehr auf, weil die Nachfrage so hoch ist.
Über 600 Menschen hätten sich schon beworben. Allerdings würden davon „eine
ganze Menge“ nicht ins Profil passen. Seit 2018 seien 58 Mietverträge
unterschrieben worden.
Ganz bedingungslos arbeitet auch dieses Modell nicht. Läuft jemand mit
Decke umwickelt durch die Straße und redet wirr, dann ist er oder sie zu
krank für Housing First.
Für einige wenige baut sich also allmählich eine Alternative zum
bestehenden System auf. Für die meisten gibt es weiterhin keine
Anlaufstellen, außer der Klapse.
Ich hätte eine Wohnung nach meinem Entzug dringend gebraucht, aber Housing
First gibt es damals noch nicht. Ich besorge mir einen Platz in einem
Wohnheim. Flöckchen ist endlich wieder bei mir. Ich muss übermenschlich
viel Kraft aufbringen, um clean zu bleiben. Die Mitbewohner konsumieren,
die Wände engen mich ein, und das Bett überfordert mich: Es knarrt, die
Matratze ist weich unter mir. Ich schlafe die ersten Wochen lieber neben
dem Bett.
Seit vier Jahren bin ich zum ersten Mal mehrere Tage nüchtern. Die Welt ist
bunt, sie riecht so intensiv. Ich starre Bäume an, als wären sie das
Krasseste der Welt: die Farben, die kleinen Ästchen, der Himmel darüber.
Mein Körper ist schwach. Ich kann kaum drei Stockwerke laufen, ohne zu
verschnaufen. Jahrelang hat mich das Heroin betäubt. Jetzt sind die Gefühle
wieder da. Ich fange unvermittelt an zu weinen, fühle mich wie ein
Spielball in meinem entgleisten System.
Ich bin weder stabil genug, um zu arbeiten, noch bereit, nur noch in
betreuten Einrichtungen zu leben. Nach zwei Jahren kümmert sich ein
Sozialarbeiter ehrenamtlich um mich. Er hilft mir dabei, eine eigene
Wohnung zu suchen. Drei Monate später finde ich eine Bleibe. Als ich den
Mietvertrag unterschreiben kann, beichte ich, dass ich einen Hund habe. Das
hatte ich verschwiegen, weil meine Chancen dadurch noch geringer sind. Der
Hausverwalter sagt: „Ich hätte die Möglichkeit, den Vertrag zurückzuziehen.
Aber ich gebe Ihnen eine Chance: Wo kein Kläger, da kein Richter.“
Ich bin Mitte 20 und habe es geschafft. Meine Wohnung. Ich werde diesen
Tag, den 4. März 2014, nie vergessen: Flöckchen, der Schlüssel und zwei
große blaue Müllsäcke mit unseren Sachen. 40 Quadratmeter, keine
Einrichtung. Ich setze mich auf die Dielen, stehe wie im Wahn auf, ziehe
den Schlüssel aus der Tasche, schließe auf, schließe ab und setze mich
wieder hin. Immer und immer wieder. Dann heule ich.
Ich brauche noch weitere zwei Jahre, bis ich aufhöre zu schnorren und mich
an einen anderen Alltag gewöhne. Auf der Straße gab es immer etwas zu tun.
Irgendein Grundbedürfnis war immer unbefriedigt. Eine Krise jagte die
nächste. Nun habe ich ein Dach über dem Kopf und Geld vom Staat. Mir geht
es nicht gut, aber die Not ist nicht existenziell.
Der Boxtrainer aus der Sparkasse nimmt mich tatsächlich im Verein auf, ich
trainiere dort mehrere Jahre. Das Boxen ist ein Anker für mich; ich lerne
dort meine neue beste Freund:in kennen.
Ansonsten schleppe ich mich von Tag zu Tag und bin froh, wenn es Abend
wird. Dann kann ich schlafen. Ich komme über die Runden. [10][Aber in
dieser neuen Welt fühle ich mich unwillkommen, ungeeignet]. Ich sehne mich
häufig nach einem Leben im Rausch und zu meiner Straßenfamilie zurück.
Sidos Song geht mir wieder durch den Kopf:
„Zwischen Kreuzberg und Lichtenberg / Wo man all diese Geschichten hört /
Da wächst ’ne gelbe Blume aus’m Dreck / An einem Fleck, an dem sonst keine
Blume wächst / Keiner beachtet sie, alle trampeln drauf / Doch sie gibt
nicht auf, was die Rose kann, das kann sie auch / Wir kämpfen, bis wir
irgendwann mal Pusteblumen sind / Und wir warten auf den Wind.“
Manchmal frage ich mich sogar, ob ich überhaupt leben darf. Nicht weil ich
besonders selbstlos bin oder gar lebensmüde, sondern weil es so zufällig
wirkt, wer überlebt und wer nicht. Das macht mich fix und fertig.
Björn: Björn, der immer so wortgewandt war, entscheidet sich, clean zu
werden. Er hört 2015 von einem zum anderen Tag auf zu trinken. Eine Woche
später stirbt er im Urban-Krankenhaus an multiplem Organversagen und
Delirium tremens. Sein Körper verkraftet den Entzug nicht.
Jürgen: Ein gutes Jahr später sitzt Jürgen, der früher vor Karstadt stolz
seine Visitenkarten verteilt hat, im Reuterpark in Neukölln und kann nicht
mehr aufstehen. Sein Bein ist offen, infiziert. Eine typische
Junkie-Krankheit. Ein Fremder ruft den Krankenwagen, Jürgen kommt ins
Urban-Krankenhaus. In seinem Bett erleidet er einen Herzstillstand. Keiner
weiß, wie lange sein Gehirn nicht mit Blut versorgt war, weil er nicht
sofort gefunden wird. Er kommt auf die Intensivstation und liegt im Koma.
In einem Eilverfahren werde ich sein gerichtlicher Betreuer. Zusammen mit
Christiane entscheide ich nach ein paar Tagen, dass die Maschinen
ausgestellt werden können. Jürgen ist hirntot. Ich bin bei ihm, als er
seinen letzten Atemzug tut. Auf der gleichen Intensivstation wie Björn. Ein
Zimmer weiter, ein Jahr später. Jürgen wurde 62 Jahre alt.
Christiane kann seinen Tod nicht verarbeiten und zieht sich zurück. Ich
sehe sie jahrelang nicht mehr.
Renate: Renate erkrankt 2017 an Lungenkrebs. Sie kümmert sich nicht darum,
sie wird irgendwann gelb. Ihre Leber versagt. Eines Tages sitzt keiner mehr
am Übergang zwischen U7 und Karstadt.
Sabine: Ich glaube, Renates Tod ist zu viel für sie. Sabine verwahrlost,
ist auf einem Auge blind und redet wirres Zeug. Ihr Gehirn ist irgendwie
kaputt. Sie muss um die 40 sein, als sie in einem Streit am Hermannplatz
2018 vor die U-Bahn fällt. Sie stirbt im Krankenhaus.
Dude: Dude, der immer dachte, er sei etwas Besseres, ist in den vergangenen
Jahren kleiner geworden. Er besteht nur noch aus Haut und Knochen. Er fährt
mit Rollstuhl durch die Stadt, weil seine Beine offen und faulig sind.
Genau wie bei Jürgen. Eine Wohnung hat er schon lange nicht mehr. Als
Pascal mich an meiner Haustür besucht, sagt er: „Ich kann es kaum ertragen,
Dude so zu sehen. Er macht nicht mehr lange.“
Pascal: Es ist fast Mai. Ich erreiche Pascal nicht. Ich mache mir Sorgen,
dass auch er wieder an der Nadel hängt. Dann endlich eine SMS. Er schreibt:
„Hi, Sorry das ich mich nicht gemeldet habe. Dein Gedanke war richtig ich
hab konsumiert und gehe morgen zum Arzt“.
Christiane: Nach Jürgens Tod hatten wir keinen Kontakt, jetzt reden wir
wieder miteinander. Im Mai 2023 kann sie endlich die Unterkunft für
Obdachlose verlassen, nach sieben Jahren. „Ich ziehe aufs Land, wo ich
schon immer hinwollte. Mit Kühen und Schweinen kann ich in einem kleinen
Bauernstübchen alt werden“, erzählt sie. Sie will dort nüchtern bleiben.
Und ich? Ich habe Björn, Jürgen und Sabine versprochen, für sie
weiterzuleben, für sie stark zu sein. Jede Niederlage zwingt mich, dieses
Versprechen neu einzulösen. Manchmal stelle ich mich einfach auf die
Straße, schaue in den Himmel und schreie.
Und dann mache ich weiter.
Anm: an einer Stelle wurden in der ursprünglichen Fassung des Textes Fans
von Dynamo Dresden erwähnt. Tatsächlich waren es Fans des BFC Dynamo
Berlin.
14 May 2023
## LINKS
[1] /Hamburgs-Jugendaemter-sind-ueberlastet/!5911198
[2] https://www.dji.de/index.html
[3] https://strassenkinder-ev.de/
[4] /Raeumung-des-Koepi-Wagenplatzes-in-Berlin/!5808168
[5] /Hilfe-bei-Depressionen/!5864214
[6] https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutsc…
[7] https://www.bmwsb.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/Webs/BMWSB/DE/2022/…
[8] https://www.youtube.com/watch?v=3iLBFEJjdN0
[9] /Housing-first-in-Finnland/!5914243
[10] /Brief-an-die-Gesellschaft/!5867031
## AUTOREN
Samuel Andreas
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Housing First
IG
Obdachlosigkeit
GNS
Heroin
Drogensucht
Psychische Erkrankungen
Wohnungslosigkeit
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Wohnungslosigkeit
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Wohnungslosigkeit
Wohnungslosigkeit
Nationaler Aktionsplan
Wohnungslosigkeit
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Jugendliche
Kältehilfe
Obdachlosigkeit
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Obdachlosigkeit
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Hundehalter
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Schwerpunkt Coronavirus
Drogenhilfe
Schwerpunkt Armut
Sozialarbeit
Schwerpunkt Armut
Wochenkommentar
Lesestück Interview
soziale Klassen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kongress zu Wohnungslosigkeit: Die Zeit läuft ab
Bis 2030 soll niemand mehr ohne eigene Wohnung sein. Die Bauministerin
setzt auf mehr Sozialwohnungen und Prävention. Doch: Wie realistisch ist
das?
Bekämpfung von Wohnungslosigkeit: „Die Lösung: Wohnraum schaffen“
Am Tag der Wohnungslosen diskutieren in Berlin Betroffene über die Bedarfe
von Obdachlosen. Es brauche dringend bessere Notunterkünfte und Teilhabe.
Bericht zu Wohnungslosigkeit: Ganz jung und ohne Wohnung
Wohnungslosigkeit trifft auch viele junge Menschen. Das geht aus dem neuen
Bericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hervor.
Notunterkünfte in Berlin: Obdachlose müssen warten
Die geplante 24/7-Unterkunft für Menschen auf der Straße in Berlin ist noch
in weiter Ferne. Die Unterbringung soll künftig zentral geregelt werden.
Obdachlose Menschen in Berlin: „Ich schlafe immer mit Angst“
Seit fast 30 Jahren lebt Fernando Rojas in Berlin, illegal und überwiegend
obdachlos. Trotzdem ist er verliebt in die Stadt.
Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit: Schnellere Hilfe nötig
Die Regierung hat einen Plan voller schöner Worte beschlossen, um
Wohnungslosigkeit zu bekämpfen. Doch der rauscht an der Realität der Armen
vorbei.
Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit: Niemand soll mehr wohnungslos sein
Etwa 50.000 Menschen leben auf der Straße. Nun hat das Kabinett einen
ersten Aktionsplan beschlossen – mit teils vagen Formulierungen.
Experte zu Plan gegen Wohnungslosigkeit: „Wir brauchen viel mehr Prävention�…
Der nationale Aktionsplan der Bundesregierung wird Obdachlosigkeit nicht
überwinden, sagt Stefan Schneider von der Wohnungslosen-Stiftung.
Versorgung Obdachloser in Berlin: Vom Arzt auf die Straße entlassen
Im Klinikum Friedrichshain berät ein erstes Arbeitstreffen, wie obdachlose
Menschen besser versorgt werden können. Die Lage in der Hauptstadt ist
dramatisch.
Alkoholkonsum bei Jugendlichen: Die Verharmlosung hat ein Ende
Exzessiver Alkoholkonsum ist bei jungen Menschen weniger angesagt denn je.
Das sollte gerade die Älteren ihre Konsumgewohnheiten überdenken lassen.
Kältehilfe Caritas in Berlin: Die Charity Lady vom Bundesplatz
Die Wärmestube der Caritas am Bundesplatz ist bei Menschen, die von Armut
betroffen sind, sehr beliebt. Das liegt auch an Angelika Kaljic.
Obdachlosigkeit im Winter: Die soziale Kälte
Der Winter kann für Obdachlose schnell tödlich sein. Hilfe für Betroffene
wäre möglich – aber dafür müsste die Politik es wollen.
Schutz für wohnungslose Frauen: Meistens ist das Bett schon weg
In einem Berliner Hostel kommen obdachlose Frauen unter. Zu Besuch: Die
Bauministerin, die an einem Aktionsplan gegen Obdachlosigkeit arbeitet.
US-Ansatz „Housing First“: Vision gegen Obdachlosigkeit?
Bis zum Jahr 2030 will die Bundesregierung Obdachlosigkeit überwinden. Doch
der nationale Aktionsplan lässt auf sich warten.
Ausstellung über Obdachlosigkeit: Ein Zuhause wie ein Lagerfeuer
In der Ausstellung „Home Street Home“ porträtiert Fotografin Debora Ruppert
Menschen, die den Weg aus der Obdachlosigkeit geschafft haben.
Junkie-Rückstände in der Hasenheide: Das Problem ist nicht der Hundekot
Immer wieder beklagen Hundehalter*innen Vergiftungen bei ihren Tieren.
Im Hundepark Hasenheide sprechen Besitzer*innen über ihre Erfahrungen.
Obdachlosigkeit in Berlin: Die Zeit für Solidarität ist vorbei
Nach der abgesagten Obdachlosenzählung sollte ein Projekt die Vorstellungen
von Wohnungslosen ermitteln. Doch das dafür eingeplante Geld wurde
gestrichen.
Räumung einer Containersiedlung: Eine Armensiedlung darf nicht sein
In Treptow will der Bezirk wegen „menschenunwürdigen“ Verhältnissen eine
Containersiedlung räumen. Manche Bewohner fürchten für sich eine
Verschlechterung.
Obdachlosigkeit in Berlin: Mehr als ein Bett
In einer 24/7-Unterkunft in Berlin-Kreuzberg können Frauen auch tagsüber so
lang bleiben, wie sie wollen. Trotz Erfolg ist das Projekt gefährdet.
Bericht zu Überschuldung: Krankheit als Schuldenfalle
Ein aktueller Bericht zeigt die Gründe für private Überschuldung. Nach zwei
Krisen in Folge scheinen bei vielen Menschen die Reserven verbraucht.
Betteln im Bahnhof: „Geh doch arbeiten“
Eine Hamburger Amtsrichterin verurteilte einen Obdachlosen, weil er
wiederholt im Hauptbahnhof schlief. Manche Bahn-Kund:innen begrüßen das.
Armut in Deutschland: Ein Erdbeben, und niemand schaut hin
Ein Fünftel aller Menschen in Deutschland ist von Armut bedroht.
Mindestens. Doch selbst die Betroffenen, die am lautesten sind, werden kaum
gehört.
Prozess um Pyrotechnik mit Verletzten: Zur Aussage verpflichtet
Drei Sozialarbeiter:innen droht Haft, wenn sie nicht preisgeben, was
Klient:innen ihnen anvertraut haben. Ein Bündnis fordert Reformen.
Zahlen zu Armut und sozialer Ausgrenzung: 17,3 Millionen Menschen betroffen
Mehr als jede fünfte Person gilt in Deutschland als von Armut oder sozialer
Ausgrenzung bedroht. Das zeigen Daten, die sich aber auf 2021 beziehen.
Wohnungsnot in Berlin: Räumen führt zu Obdachlosigkeit
Zwei Wohnwagensiedlungen sollen geräumt werden. Für viele
Bewohner*innen könnte die Wohnsituation dadurch noch prekärer werden.
Streetworker über Wohnungslosigkeit: „Das pure Überleben“
Immer mehr wohnungslose Menschen sind psychisch krank. Zwei Streetworker
berichten, wie ihre nicht auf Zwang ausgelegte Methodik an ihre Grenzen
stößt.
Brief an die Gesellschaft: Das ist nicht fair, Deutschland!
Unser Autor ist psychisch krank und war obdachlos. Wer einmal aus dem
System fällt, musste er erfahren, dem wird es schwergemacht, wieder
reinzufinden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.