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# taz.de -- Tag der Wohnungslosen: „Ein Kind hat auf der Straße nichts zu su…
> Die Zahl der Wohnungslosen steigt, betroffen sind auch junge Menschen.
> Aber politisch passiert wenig. Betroffene bemängeln unzureichende
> Hilfesysteme.
Bild: Es braucht mehr Hilfsangebote für Obdachlose statt Regenschirme als Dach…
Berlin taz | Manja, die sich selbst nur mit Vornamen vorstellt, verliert
gar nicht viele Worte. Dabei sollen an diesem Donnerstag, dem Tag der
Wohnungslosen, die zu Wort kommen, die aus eigener Erfahrung sprechen
können – wie sie. 8 Jahre lang hatte Manja keine eigene Wohnung, drei Jahre
davon war sie obdachlos. „Ich habe also tatsächlich auf der Straße gelebt
und habe in der Zeit ein Kind auf die Welt gebracht“, erzählt sie. Das Baby
habe sie direkt zur Adoption frei gegeben, „weil ein Kind hat auf der
Straße nichts zu suchen.“ Das Publikum klatscht.
Bei der Veranstaltung im Haus der Demokratie und Menschenrechte in
Berlin-Mitte sind neben Journalist*innen auch viele wohnungslose oder
ehemals wohnungslose Menschen anwesend. Heute setzt sich Manja bei der
Wohnungslosenstiftung dafür ein, dass sich wohnungslose Frauen besser
vernetzen können. Alle zwei Wochen gibt es den den „Frauensalon“, ein
digitales Treffen, um sich über die [1][spezifischen Herausforderungen von
Frauen] auszutauschen. Im November soll es in Essen das erste persönliche
Treffen geben.
Laut dem Wohnungslosenbericht der Bundesregierung lebten Anfang 2024 in
Deutschland insgesamt rund 531.600 wohnungslose Menschen. Darunter fallen
obdachlose Menschen, also die, die auf der Straße leben, aber auch
Menschen, die in Notunterkünften untergebracht sind sowie Menschen, die
einfach [2][bei Freunden auf der Couch] schlafen. Das ist eine große
Bandbreite. Fest steht: Es gibt immer mehr Menschen, die aus
verschiedensten Gründen über keine eigene Wohnung verfügen.
Dabei hält auch die schwarz-rote Bundesregierung am [3][Nationalen
Aktionsplan zur Bekämpfung von Obdach- und Wohnungslosigkeit] fest, der
noch unter der Vorgängerregierung beschlossen wurde. Darin werden [4][junge
Menschen] und Frauen als besonders bedürftige Gruppe genannt. Das
übergeordnete Ziel ist aber, dass bis zum Jahr 2030 alle Menschen im Land
mit adäquatem Wohnraum versorgt sind.
Doch daran glaubt im Haus der Demokratie und Menschenrechte niemand. Die
Zahl der Sozialwohnungen sinkt, obwohl sich die Regierung mit
Rekordinvestitionen rühmt.
## Auch Kinder und Jugendliche sind gefährdet
Der im August veröffentlichte Statistikbericht der [5][BAG
Wohnungslosenhilfe] problematisiert auch die anhaltend hohe Gefährdungslage
von Familien mit Kindern. 11 Prozent der Menschen der Hilfesuchenden 2023
lebte demnach mit mindestens einem Kind im Haushalt.
„Fast ein Drittel (28,9 Prozent) der wohnungslosen Menschen in Deutschland,
die in Notunterkünften leben, ist unter 18 Jahre“, kritisiert auch Claudia
Engelmann, Expertin für das Recht auf Wohnen am Deutschen Institut für
Menschenrechte. Das seien „mehr als 137.000 Babys, Kita- und Schulkinder,
die ihre Kindheit und Jugend in diesen Unterkünften verbringen.“ Sie seien
besonders „von den unzureichenden Bedingungen betroffen.“ Das Thema müsse
politisch dringend ganz „oben auf die Agenda.“
Samara, auch sie bleibt beim Vornamen, ist am Donnerstag extra aus Leipzig
nach Berlin angereist, um über Fehler im Hilfesystem für junge Menschen zu
berichten. Samara ist selbst in einem Kinderheim aufgewachsen. Mit 16
Jahren sei sie „ausgezogen worden und in die Obdachlosigkeit geschickt
worden“, so formuliert sie es. Anfangs sei sie bei Freunden untergekommen,
sei weiter zur Schule gegangen, hätte Hilfe gesucht beim Bafögamt,
Jobcenter, sie wollte unbedingt ihren Schulabschluss machen. Hilfe habe sie
aber nicht bekommen, weil sich niemand richtig zuständig gefühlt habe. „Der
O-Ton war immer in etwa, so einen Fall wie bei ihnen hatten wir noch nie“,
sagt sie.
Genau dieses Problem beträfe viele junge Menschen, die in der Jugendhilfe
aufwachsen. Insbesondere mit dem Erreichen der Volljährigkeit wird das
Hilfesystem für junge Menschen löchrig. Viele gingen dann aber noch zur
Schule oder machten eine Ausbildung, hätten kein Geld, erzählt Samara. Es
ende dann „auch der Kontakt zu einer erwachsenen Bezugsperson, die viele
dringend brauchen“, kritisiert sie.
Die Wohnungslosenstiftung, die das Treffen organisiert hat, fordert deshalb
neben mehr bezahlbaren Sozialwohnungen auch mehr Prävention und
Sofortmaßnahmen. Viele Wohnungslose machten die Erfahrung, dass „die
sozialen Sicherungssysteme nicht gut oder gar nicht funktionieren“, heißt
es in einer Stellungnahme.
Politische Reaktionen
Auch aus der politischen Opposition kommt Kritik. Der nationale Aktionsplan
„könne nur ein erster Schritt sein“, sagt die grüne Bundestagsabgeordnete
Sylvia Rietenberg. Es sei ein Fehler „dass die Bundesregierung im aktuellen
Haushaltsentwurf für 2026 die Zuschüsse des Bundes für die Einrichtungen
der Wohnungslosenhilfe empfindlich kürzen will“, sagt sie.
Sahra Mirow, Sprecherin für soziales Wohnen der Linken-Fraktion im
Bundestag, fordert, strukturelle Ursachen von Wohnungslosigkeit beenden. Es
sei „ein politischer Skandal, dass in einem der reichsten Länder der Welt
mehrere hunderttausend Menschen wohnungslos sind“, sagt sie. Hauptgründe
dafür seien „explodierende Mieten und fehlende Sozialwohnungen.“ Es brauche
„eine radikale Wende in der Wohnungspolitik – weg von der neoliberalen
Marktlogik, hin zu einer Politik, die den Menschen in den Mittelpunkt
stellt.“
11 Sep 2025
## LINKS
[1] /Obdachlose-Frauen/!6066051
[2] /Verdeckt-wohnungslos/!6097955
[3] /Aktionsplan-gegen-Wohnungslosigkeit/!6003589
[4] /Obdachlosigkeit-und-Aufbruch/!5931604
[5] https://www.bagw.de/de/neues/s?tx_netnews_newsview%5Bnews%5D=377&cHash=…
## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
## TAGS
Obdachlosigkeit
Wohnungspolitik
Mieten
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Wohnen
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Lesestück Recherche und Reportage
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