# taz.de -- Mieterbund-Präsidentin zur Mietenpolitik: „Wohnen ist die sozial… | |
> Melanie Weber-Moritz fordert Bußgelder für Verstöße gegen die | |
> Mietpreisbremse. Wer die Wohnungsfrage lösen wolle, müsse auf Wien | |
> schauen. | |
Bild: Astronomischer Anstieg trotz Mietpreisbremse: Die Mieten in Großstädten… | |
taz: Frau Weber-Moritz, Sie sind die erste hauptamtliche weibliche | |
Präsidentin des Deutschen Mieterbunds. Leiden Frauen anders unter der | |
Wohnungsnot? | |
Melanie Weber-Moritz: Frauen haben im Durchschnitt ein geringeres Einkommen | |
und von daher weniger Chancen auf eine neue Wohnung. Das betrifft besonders | |
Alleinerziehende. Also ja, es gibt schon eine weibliche Seite der | |
Wohnungsproblematik. | |
taz: Und muss man darauf politisch reagieren? | |
Weber-Moritz: Es sind natürlich alle Mieterinnen und Mieter betroffen, wenn | |
es darum geht, ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Gleichzeitig | |
müssen wir uns um bestimmte Gruppen besonders kümmern: Alleinerziehende, | |
Obdachlose, Geflüchtete, Menschen mit geringem Einkommen und Familien mit | |
Kindern. | |
taz: Der Mieterbund möchte das Wohnen als Grundrecht ins Grundgesetz | |
aufnehmen. Was würde das konkret verändern? | |
Weber-Moritz: Das fordern wir schon seit Langem. Eine Wohnung ist ein | |
besonderes Gut, das nicht vergleichbar ist mit einem Auto oder einem | |
anderen Gegenstand, den man konsumiert. Jeder Mensch braucht ein Zuhause, | |
und das muss besonders geschützt sein. Vor allem in Zeiten, da immer mehr | |
Menschen Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren. | |
taz: 30.000 Zwangsräumungen haben im Jahr 2023 stattgefunden. Wenn wir | |
Wohnen als Grundrecht begreifen würden, wäre das dann noch möglich? | |
Weber-Moritz: Eine Verankerung im Grundgesetz würde nicht zwangsläufig alle | |
Probleme auf dem Wohnungsmarkt lösen – das gilt auch für Zwangsräumungen. | |
Aber es würde das gesellschaftliche Bewusstsein stärken, dass wir für den | |
Schutz der Wohnung mehr tun müssen. Es wird gerne gesagt, dass die | |
Wohnungsfrage die soziale Frage unserer Zeit sei. Aber das stimmt so | |
nicht, denn Wohnen ist die soziale Krise unserer Zeit. Der Staat muss im | |
Sinne der Daseinsvorsorge endlich alle Mittel ergreifen und alle Hebel in | |
Bewegung setzen, um sie zu lösen. | |
taz: Das Grundgesetz schützt explizit das Eigentum. Aber es heißt auch: | |
Eigentum verpflichtet. Was heißt das für Sie als Mieterbund-Präsidentin? | |
Weber-Moritz: Wenn Menschen eine Wohnung mieten, entsteht eine | |
Vertragsbeziehung und gehen Mieter ein Dauerschuldverhältnis ein. Dieses | |
ist in gewisser Weise geschützt, weil wir ein soziales Mietrecht haben. Ob | |
hier mehr oder weniger für Mieter:innen passieren sollte, wird von uns | |
anders beantwortet als von wohnungswirtschaftlichen Verbänden. Das Problem | |
ist: Es gibt automatisch ein Ungleichgewicht im Vertragsverhältnis. | |
taz: Wie meinen Sie das? | |
Weber-Moritz: Ein Privatvermieter hat zum Beispiel die Möglichkeit, | |
Eigenbedarf anzumelden, sodass Mieter ihre Wohnung verlieren. Hätten wir | |
einen entspannten Wohnungsmarkt, wäre das nicht ganz so schlimm. Aber wenn | |
Sie heute eine noch bezahlbare Wohnung verlieren, haben Sie in Groß- und | |
Mittelstädten wenig Chancen, eine bezahlbare Alternative zu finden. Das | |
heißt, wir haben großes Interesse daran, das Vertragsverhältnis so | |
mieterfreundlich wie möglich zu gestalten, weil eine Wohnung eben keine | |
Ware wie jede andere ist. | |
taz: Man kann die Wohnungsnot nicht nur über mietrechtliche Regularien | |
bekämpfen, oder? | |
Weber-Moritz: Definitiv brauchen wir auch mehr bezahlbaren Wohnraum. | |
Schätzungsweise 550.000 Wohnungen fehlen bundesweit, insbesondere | |
Sozialwohnungen, aber auch bezahlbare Wohnungen für Menschen, die keinen | |
Anspruch auf eine Sozialwohnung haben und aufgrund ihres niedrigen | |
Einkommens nicht jeden aufgerufenen Mietpreis bezahlen können. | |
taz: Wir haben in den letzten Jahrzehnten einen drastischen Verlust von | |
Sozialwohnungen gehabt, weil diese Wohnungen in unserem System nach einer | |
gewissen Zeit immer ihren Status verlieren. Dieses Jahr investiert die | |
Bundesregierung 3,5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau, Tendenz | |
steigend. Müssten wir nicht mal zugeben, dass dieses System überhaupt nicht | |
funktioniert? | |
Weber-Moritz: Wir haben aktuell rund 1,1 Millionen Sozialwohnungen und elf | |
Millionen potenziell Anspruchsberechtigte. Das Verhältnis stimmt also | |
überhaupt nicht. Wir sind deshalb beim Deutschen Mieterbund schon sehr | |
lange der Auffassung, dass wir aus dieser zeitlich befristeten Preisbindung | |
herauskommen müssen. Es muss gelten: Einmal Sozialwohnung, immer | |
Sozialwohnung. Die Stadt Wien hat beispielsweise mit ihren | |
Gemeindewohnungen ein wirklich großes Angebot für sehr viele Menschen | |
bereitgestellt und schafft es dadurch, die Mietpreise insgesamt zu dämpfen. | |
Das muss auch unser Ziel sein. Wir brauchen langfristig bezahlbaren | |
Wohnraum. | |
taz: Mit der neuen Wohngemeinnützigkeit, die unter der Ampelregierung | |
eingeführt wurde, können Unternehmen Steuervorteile bekommen, wenn sie | |
dauerhaft preisgünstigen Wohnraum schaffen. Verspricht das Erfolg? | |
Weber-Moritz: Es gab in der alten Bundesrepublik sehr lange eine | |
Wohngemeinnützigkeit. Damals wurden rund ein Viertel der Neubauwohnungen | |
darüber geschaffen, insgesamt 4,8 Millionen. Aber 1990 wurde die | |
Wohngemeinnützigkeit wieder abgeschafft, weil man der Auffassung war, | |
Deutschland sei „zu Ende gebaut“. In der Folge haben wir jetzt deutlich zu | |
wenige kommunale, gemeinnützige oder genossenschaftliche Wohnungen, die | |
günstige und faire Preise bieten. Die Wiedereinführung war deshalb gut und | |
richtig, aber es fehlt die dafür notwendige Finanzierung, damit sich das | |
ganze Segment etablieren kann. | |
taz: Könnte die Bundesregierung die Mittel, die für den sozialen | |
Wohnungsbau gedacht sind, nicht einfach in die Gemeinnützigkeit stecken? | |
Weber-Moritz: Wir brauchen beides. Aus dem Haushalt fließt schon zu wenig | |
Geld in den sozialen Wohnungsbau. In diesem Jahr sind es 3,5 Milliarden | |
Euro. Wir fordern von Bund und Ländern 12,5 Milliarden jährlich sowohl für | |
den sozialen Wohnungsbau als auch für den Bau bezahlbarer Wohnungen. Der | |
Bedarf ist da, die Städte wachsen – und dies wird zunehmend auch zur | |
wirtschaftlichen Frage. Menschen können einen neuen Arbeitsplatz in einer | |
Stadt nur antreten, wenn sie dort auch eine Wohnung finden. | |
taz: Gleichzeitig ist die Wohnfläche in Deutschland sehr ungleich verteilt. | |
Weber-Moritz: Wir haben einen Generationenunterschied, der sich immer mehr | |
bemerkbar macht. Die ältere Generation hat vielleicht noch | |
Eigentumswohnungen oder große, noch günstige Mietwohnungen. Aber sie zieht | |
nicht aus, weil jeder Umzug viel teurer und eine Verschlechterung wäre. | |
Gleichzeitig suchen viele junge Menschen verzweifelt nach einer passenden | |
bezahlbaren Wohnung. Auf den Wohnungsmärkten bewegt sich kaum etwas, wir | |
haben quasi einen Stillstand. Es gibt viele Ideen, wie man das verändern | |
kann, etwa durch Wohnungstausch – aber in der Praxis funktioniert es leider | |
nicht. | |
taz: Dabei gibt es an manchen Orten auch hohe Leerstände. Welches Potenzial | |
bietet der vorhandene Bestand? | |
Weber-Moritz: Allein aus Umwelt- und Klimaschutzgründen ist es natürlich | |
attraktiver, Bestände zu ertüchtigen, aufzustocken, nachzuverdichten oder | |
beispielsweise Bürogebäude zu Wohnungen umzugestalten, statt neu zu bauen. | |
taz: Eine große Herausforderung der nächsten Jahre ist, den Gebäudebestand | |
zu sanieren, um die Klimaziele zu erreichen. Leider ist das mit großen | |
Mieterhöhungen verbunden. Warum wird das so wenig thematisiert? | |
Weber-Moritz: Mir ist das Thema ein Herzensanliegen. Der überwiegende Teil | |
der 21 Millionen Mieterhaushalte lebt in alten Gebäuden, die schlecht | |
gedämmt sind und überwiegend fossil beheizt werden. Dort ist der Bedarf der | |
Sanierung am größten. Gleichzeitig erhöht sich die Miete nach einer | |
Sanierung signifikant – und das betrifft vor allem die | |
Einkommensschwächeren. | |
taz: Nach den derzeitigen Regeln kann sich eine 50-Quadratmeter-Wohnung | |
nach einer Modernisierung um bis zu 150 Euro monatlich verteuern. | |
Weber-Moritz: Wir machen im Jahr rund eine Million Rechtsberatungen, unter | |
anderem zum Thema Modernisierungsmieterhöhung. Unserer Erfahrung nach ist | |
die Miete nach einer Modernisierung im Durchschnitt um 20 bis 30 Prozent | |
höher. Andererseits: Wird nicht saniert und energetisch ertüchtigt, haben | |
Mieter das Problem steigender Energiekosten. Es ist also aus | |
klimapolitischer und sozialpolitischer Sicht nötig, die Bestände | |
schnellstmöglich zu sanieren. Wir müssen es aber für Mieter kostengünstiger | |
regeln. | |
taz: Tatsächlich sparen Mieter*innen durch eine Sanierung auch | |
Energiekosten ein, aber das gleicht nicht die Mieterhöhung aus. Wie geht es | |
besser? | |
Weber-Moritz: Wir könnten warmmietenneutral sanieren. Das könnte der | |
Gesetzgeber beispielsweise regeln, indem er die Modernisierungsumlage auf | |
rein energetische Sanierungen beschränkt. Im Moment können 8 Prozent der | |
Kosten von Modernisierungsmaßnahmen dauerhaft auf Mietende umgelegt werden, | |
zum Teil unabhängig davon, ob sie Energie einsparen – zum Beispiel auch ein | |
neuer Fahrstuhl oder Balkon. Zudem muss der Staat Sanierungen stärker | |
fördern, damit sich die Investition für Vermieter lohnt. | |
taz: Wie hoffnungsvoll sind Sie bei der aktuellen Regierung? | |
Weber-Moritz: Bei diesem Thema eher skeptisch – ich befürchte, dass es | |
hinten herunterfallen könnte. | |
taz: Wo sehen Sie im Mietrecht außerdem Handlungsbedarf? | |
Weber-Moritz: Die einfache Verlängerung der Mietpreisbremse bis 2029 reicht | |
nicht. Sie hat viele Ausnahmetatbestände, unter anderem umfassende | |
Sanierung und Neubau ab 2014. Die Mietpreisbremse muss verschärft und | |
verbessert werden, indem sie ohne Ausnahmen bundesweit und unbefristet gilt | |
und bei Nichteinhaltung ein Bußgeld droht. Darüber hinaus müssen möbliertes | |
Wohnen, Indexmieten und Kurzzeitvermietung stärker reguliert und | |
Wuchermieten geahndet werden. Für Bestandsmieten brauchen wir einen | |
bundesweiten Mietenstopp. | |
taz: Wenn heute ein Vermieter eine Wohnung laut Mietpreisbremse zu teuer | |
vermietet, muss er keine Strafe fürchten. Warum ist das so? | |
Weber-Moritz: Weil es derzeit nicht anders geregelt ist. Aber es gibt den | |
Vorstoß der Bundesjustizministerin, den Verstoß zukünftig mit einem Bußgeld | |
zu ahnden. Es soll eine Expertenkommission geben, die sich damit und mit | |
dem Thema Mietwucher befasst. Wir müssen die Mietenexplosion auf vielen | |
Ebenen besser in den Griff bekommen. | |
taz: Die Union würde eher sagen: Wir müssen die Eigentumsbildung stärken, | |
dann wären Menschen unabhängiger vom Mietmarkt. | |
Weber-Moritz: Dieser Wunsch ist an vielen Orten völlig illusorisch. | |
Deutschland ist ein Mieterland. In Berlin leben über 80 Prozent der | |
Menschen zur Miete. Bei den heutigen Bau- und Immobilienpreisen können sich | |
nur sehr wenige Eigentum leisten. Natürlich kann man auch die | |
Eigentumsbildung fördern, aber das löst nicht das Problem auf den | |
angespannten Wohnungsmärkten. | |
taz: Der Staat versucht mit dem Wohngeld Menschen bei hohen Mietkosten zu | |
unterstützen. Manche kritisieren, das sei ein Preistreiber, zudem lande das | |
Geld indirekt in den Taschen von Vermietern und Wohnungskonzernen. | |
Weber-Moritz: Das Wohngeld ist ein wichtiges Instrument, um Menschen akut | |
zu helfen. Gleichzeitig löst es nicht das Problem im Kern: Wenn die Mieten | |
steigen, muss auch der Anteil bei den Wohnkosten entsprechend wieder höher | |
angesetzt werden, damit man die Wohnung weiterhin bezahlen kann. Das ist | |
keine gute Dynamik. Wir brauchen ein Segment auf dem Wohnungsmarkt, das | |
dauerhaft bezahlbar bleibt. | |
8 Sep 2025 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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