| # taz.de -- Räumung einer Containersiedlung: Eine Armensiedlung darf nicht sein | |
| > In Treptow will der Bezirk wegen „menschenunwürdigen“ Verhältnissen eine | |
| > Containersiedlung räumen. Manche Bewohner fürchten für sich eine | |
| > Verschlechterung. | |
| Bild: Cotainerwohnen in der Moosstraße | |
| Berlin taz | In weiten Teilen ist die Moosstraße in Treptow eine ruhige | |
| Wohngegend mit ein paar Einfamilien-, vielen Mehrfamilienhäusern, viel | |
| Grün. Die Hausnummer 56-58 fällt optisch aus dem Rahmen. Zwei Stahltore | |
| durchbrechen die hellgrün gestrichenen Mauern, hinter denen nur die Dächer | |
| von eingeschossigen Häuschen zu sehen sind. Vor den Mauern türmt sich der | |
| Sperrmüll. | |
| Geht man durch die nur angelehnte Stahltür in den linken Hof, sieht man, | |
| dass die „Häuschen“ Garagen sind, die teils als solche oder für Gewerbe | |
| genutzt werden, teils umgebaut wurden mit Fenstern und Türen zu kleinen | |
| Wohnräumen. In Baulücken stehen Container, und Container sind auch in der | |
| Mitte des Hofs zweigeschossig gestapelt. | |
| Janine Rothers Garagen-Wohnung ist die einzige mit Blumenampeln und | |
| Blumentöpfen vor dem Fenster. Auch drinnen ist es wohnlich eingerichtet: | |
| Das Sofa sieht neu aus, darüber an der Wand hängen gerahmte Fotos von zwei | |
| Mädchen, auf dem Flachbild-TV dudelt ein Kinderkanal. Es ist eng, vor allem | |
| in der kleinen Kochecke und dem Mini-Bad, aber Rother hält alles sauber und | |
| aufgeräumt. | |
| Doch die 38-Jährige will nur noch weg. Seit August vorigen Jahres wohne sie | |
| hier „aufgrund von häuslicher Gewalt, schauen Sie mich an“. Sie zeigt auf | |
| ihren Mund mit schiefen Zähnen und Lücken. Rother ist Mutter zweier | |
| Töchter, die 12-Jährige lebe bei einer Pflegefamilie, „da geht es ihr gut�… | |
| Die Vierjährige klammert sich an Rothers Hand und beäugt misstrauisch die | |
| Journalistin. Nur widerwillig lässt sie sich von ihrer Mutter überreden, | |
| draußen spielen zu gehen. Rother erzählt: „Fünfeinhalb Jahre habe ich eine | |
| Wohnung gesucht, in Berlin, in Fürstenwalde, in Cottbus“ – bis sie über | |
| Ebay-Kleinanzeigen auf diese Adresse gestoßen sei. | |
| Diese Geschichte wird der taz mehrmals an diesem Julinachmittag erzählt. | |
| Jede*r, der*die hier lebt, tut dies offenbar, weil er*sie nirgends eine | |
| Wohnung fand und sonst obdachlos wäre. 500 bis 600 Euro warm (inklusive | |
| Strom und Heizung und Nutzung der allgemeinen Waschmaschine) kostet ein | |
| Garagenappartement oder ein 22-Quadratmeter-Container. | |
| Der Eigentümer namens Ulrich Ziegler vermietet über ein Firmengeflecht hier | |
| und an zwei weiteren Orten – Adlergestell 552, ebenfalls Treptow, sowie | |
| Hönower Wiesenweg 24-25 in Lichtenberg – an jeden, der die 1.000 Euro | |
| Kaution und die erste Miete aufbringen kann. Und bis vor Kurzem auch an | |
| solche, die eine Kostenübernahme von Sozialamt oder Jobcenter hatten. | |
| Inzwischen haben die Ämter die Mietzahlungen eingestellt, die Betroffenen, | |
| darunter auch Rother, wohnen seit Monaten kostenlos. Ziegler betont immer | |
| wieder, er werde niemanden vor die Tür setzen. | |
| ## Soziales Wohnprojekt oder kriminelles Gebaren | |
| Sein Geschäftsmodell sah bislang so aus: Ziegler nimmt solche Menschen auf, | |
| die andere Vermieter in der Regel ablehnen – Drogenabhängige, Punks, | |
| Geringverdiener, Menschen, die als Roma gelesen werden. Deshalb nennt er | |
| seine Containersiedlungen auch „soziale Wohnprojekte“. | |
| Die Bezirksämter von Lichtenberg und Treptow-Köpenick sehen das anders. Sie | |
| werfen ihm „kriminelles Gebaren“ vor und die „Ausnutzung der Not anderer | |
| Menschen“, wie eine Mitarbeiterin der Pressestelle des Bezirksamts | |
| Treptow-Köpenick der taz schrieb. | |
| Das Kriminelle daran: Ziegler darf auf seinen Grundstücken keinen Wohnraum | |
| vermieten. Er hat keine Baugenehmigungen, und die Garagen, Container – im | |
| Adlergestell auch Wohnwagen – erfüllen diverse Vorschriften zu | |
| Bausicherheit und Brandschutz nicht. Die Stadtentwicklungsstadträtin von | |
| Treptow-Köpenick, Claudia Leistner (Grüne), nennt die Lebensumstände in | |
| Zieglers Siedlungen zudem „menschenunwürdig“. Wegen der Ratten, die es | |
| geben soll, wegen des Mülls, der auch zu Nachbarschaftsbeschwerden führt, | |
| sowie wegen der gemeinschaftlich genutzten Sanitärcontainer. Die sind nach | |
| Einschätzung der Reporterin einfach, aber sauber – und nicht schlechter als | |
| in offiziellen Flüchtlingseinrichtungen. | |
| Rother teilt das harte Urteil des Bezirks. „Es ist wirklich | |
| menschenunwürdig hier.“ In den Containern liefen tatsächlich „Ratten die | |
| Wände hoch“ – in ihrem „Mikroappartment“ zum Glück nicht. Aber hinter… | |
| Möbeln verschimmelten die Wände, der Vermieter unternehme nichts. Im Winter | |
| sei es eiskalt, im Sommer zu warm. Andauernd gebe es zwischen | |
| Mieter*innen Streit auf dem Hof, die Polizei sei so oft gerufen worden, | |
| dass sie gar nicht mehr käme. „Ich bin froh, wenn ich bald raus bin.“ | |
| Rother ist voller Zuversicht. Das Bezirksamt, erzählt sie, habe ihr | |
| geholfen, eine Wohnung „im geschützten Marktsegment“ zu bekommen. Sie warte | |
| nur noch auf den „M-Schein“, dann bekomme sie „hoffentlich“ den Vertrag. | |
| Den M-Schein erhalten von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen beim | |
| bezirklichen Sozialamt. Wenn sie viel Glück haben, ergattern sie damit eine | |
| der raren Wohnungen im „geschützten Marktsegment“. Dafür stellen die | |
| landeseigenen Wohnungsgesellschaften [1][jährlich rund 1.400 Wohnungen zur | |
| Verfügung.] Der Senat will die [2][Quote seit Jahren erfolglos auf 2.500 | |
| Wohnungen] pro Jahr erhöhen. | |
| Doch nicht nur Rother braucht Hilfe. Das Bezirksamt hat nach juristischen | |
| Siegen gegen Ziegler für den 20. Juli die Räumung der Moosstraße 56-58 | |
| angekündigt. 35 bis 50 Menschen, so genau weiß es das Amt nicht, verlieren | |
| dann ihr Zuhause, so „menschenunwürdig“ es sein mag. Am Adlergestell, wo | |
| 100 bis 120 Menschen leben, will der Bezirk sich mehr Zeit lassen mit der | |
| Räumung, hier laufen zudem noch Gerichtsverfahren. | |
| Die Anordnung zur Räumung wurde als „Allgemeinverfügung“ am 5. Mai im | |
| Amtsblatt veröffentlicht. Weil das keiner liest, hat das Bezirksamt zudem | |
| „Hinweisblätter“ in mehreren Sprachen auf dem Gelände verteilt, worin üb… | |
| die Räumung informiert wurde – sowie darüber, dass die Bewohner*innen | |
| sich an die soziale Wohnhilfe des Bezirks wenden sollen, wenn sie Hilfe bei | |
| der Wohnungssuche benötigen. Mehrfach waren Mitarbeitende der Wohnhilfe auf | |
| dem Gelände, teils mit Unterstützung von Sprachmittler*innen der | |
| Frostschutzengel, und haben Bewohner*innen angesprochen. | |
| Ziegler und seine Mitarbeiter behaupten, der Bezirk tue nichts für die | |
| Bewohner*innen. Im Gegenteil verschrecke er sie sogar mit den Besuchen, die | |
| von vielen als bedrohlich angesehen würden. Dass Menschen „mit | |
| osteuropäischem Erscheinungsbild“ von den Sprachmittlern gezielt auf | |
| Rumänisch, Bulgarisch oder Serbokroatisch angesprochen wurden, nennt | |
| Zieglers „Bekannter“ Klaus Langer, der sich als eine Art Sozialarbeiter der | |
| Siedlungen vorstellt, „Antiziganismus“. Eine Mitarbeiterin des Bezirksamts | |
| weist dies empört zurück – es gehe um Hilfsangebote. | |
| Ziegler wirft dem Bezirksamt Treptow-Köpenick vor, sich zum Schaden der | |
| Bewohner*innen dem Gespräch verweigert zu haben. Ganz anders als | |
| Lichtenberg: Dort habe man eine „sozialverträgliche Lösung“ für das Ende | |
| des Wohnparks bis Mai 2024 gefunden. Der Lichtenberger Sozialstadtrat Kevin | |
| Hönicke (SPD) stellt es so dar: Ziegler habe seine Klagen gegen die | |
| Nutzungsuntersagung des Geländes bei einer Gerichtsverhandlung am 17. Mai | |
| zurückgezogen. „Er hat nun Zeit, diese Nutzungsuntersagung bis Mai 2024 | |
| umzusetzen.“ Und er, Hönicke, erwarte, dass Ziegler das Jahr nutze, um | |
| seine Mieter*innen in „richtigem Wohnraum“ unterzubringen. Der Bezirk | |
| werde dabei gerne helfen, habe aber keine Wohnungen an der Hand. Betroffen | |
| sind auch hier etwa 100 Menschen. | |
| ## Leere Versprechungen | |
| Und Treptow-Köpenick? Was unternimmt der Bezirk, damit die | |
| Bewohner*innen ab dem 20. Juli nicht obdachlos sind? Laut Pressestelle | |
| ist das Bezirksamt mit 25 Personen in „ständigem“ Kontakt, zudem | |
| unterstützten die Kooperationspartner Gebewo Soziale Dienste und die | |
| Mieterberatung Asum „weitere Personen“. Das Versprechen: „Das Bezirksamt | |
| sucht für alle Bewohnerinnen und Bewohner des Objekts, die die | |
| Unterstützung des Amtes in Anspruch nehmen, Wohnraum.“ | |
| Die Sache hat nur ein paar Haken. Der erste: Nicht alle nehmen das | |
| Hilfsangebot an, die serbische Familie neben Rother etwa winkt ab. Mit dem | |
| Amt will sie nichts zu tun haben, das Misstrauen ist offenbar groß. Auch | |
| „die Drogensüchtigen“, von denen alle erzählen, die die taz bei ihrem | |
| Besuch aber nicht zu Gesicht bekommt, sind wohl kaum in der Lage, sich | |
| selbst zu kümmern. Das weiß man auch beim Bezirksamt. Für solche Fälle | |
| werde „es auch eine angemessene Begleitung nach der Räumung geben“. Was | |
| immer das heißt. | |
| Haken zwei: Der „Wohnraum“, den das Amt verspricht, wird nicht unbedingt, | |
| womöglich sogar eher selten eine richtige Wohnung mit Mietvertrag sein – | |
| die gibt es ja kaum in Berlin. „Wohnraum“ kann laut Bezirk auch | |
| „ordnungsrechtliche Unterbringung“ bedeuten, sprich: Zuweisung ins | |
| Wohnungslosenheim. Das Bezirksamt meint, auch die Heime seien immer besser | |
| als Zieglers Containerparks, da „professionelle Unterkünfte, die die | |
| berlinweit festgelegten Mindeststandards erfüllen“. Zudem gebe es hier | |
| sozialarbeiterische Hilfe. | |
| Manche Bewohner*innen, die Erfahrungen mit Wohnheimen haben, sehen das | |
| anders. [3][Im Containerpark Adlergestell traf die taz im April einige], | |
| die aus Wohnheimen abgehauen waren. Bei Ziegler müssen sie kein Zimmer | |
| teilen, haben ihre Ruhe, sind ihr „eigener Herr“. | |
| Kai Werner fühlt sich in der Moosstraße ebenfalls wohl. Am späten | |
| Nachmittag sitzt er vor seinem Container, raucht eine Zigarette und guckt | |
| den Nachbarn bei ihren Essensvorbereitungen zu. Seit vorigem Sommer wohnt | |
| der 58-jährige Gabelstablerfahrer hier. „Menschenunwürdig“ findet er die | |
| Verhältnisse überhaupt nicht. Ratten zum Beispiel gebe es überall, wo es | |
| Grün gebe – Werner weist auf das parkähnliche Gelände hinter dem | |
| Grundstück. „Ich habe bekommen, was ich bezahlt habe.“: einen Raum, über | |
| den er allein verfügen kann, gut beheizbar, nebenan der Sanitärcontainer | |
| mit Waschmaschine. Für ihn sei „der Deal in Ordnung“. Seit er 2012 nach | |
| Berlin kam, habe er trotz Arbeit nie eine bezahlbare Wohnung gefunden, | |
| immer in Wohnheimen und Arbeiterpensionen gelebt. | |
| Werner sieht sich im Gegenteil durch die Räumung in seiner Menschenwürde | |
| verletzt. Er habe einen „ordentlichen“ Mietvertrag, immer seine Miete | |
| gezahlt, er sei ordnungsrechtlich gemeldet in der Moosstraße. Wenn man ihn | |
| nun wohnungslos mache, sei es das Mindeste, findet er, dass man ihm eine | |
| neue Wohnung besorge – „nach der Verfassung habe ich schließlich eine | |
| Menschenwürde, die der Staat schützen muss“. | |
| Seit dem 3. Mai, als er auf einer vom Bezirksamt anberaumten | |
| Infoveranstaltung gehört hat, was ansteht, sitzt er auf heißen Kohlen, sagt | |
| Werner. Seinen Job habe er danach gleich gekündigt, um Zeit zu haben für | |
| „die Papiermühle“: die Ämtergänge für M-Schein und Hilfe bei der | |
| Wohnungssuche. Ob das klappt, weiß er nicht. „Dieser Zustand wird immer | |
| mehr zu einer geistigen Belastung. Wir erleben jetzt, was ein Flüchtling | |
| durchmacht. Dabei sind wir ganz normale Mieter.“ | |
| 14 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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