# taz.de -- Wohnungsnot in Berlin: Letzte Zuflucht Trailerpark | |
> Die Container- und Wohnwagensiedlung in Grünau ist für ihre | |
> Bewohner*innen ein Zuhause. Dass der Bezirk räumen lassen will, macht | |
> ihnen Angst. | |
Bild: Will nicht ins Wohnheim: Lothar Franck mit Hund vor seinem Wohnwagen | |
BERLIN taz | Als Lothar Franck die Tür zu seinem Wohnwagen aufschließt, | |
springt ihm sein kleiner Mischlingshund in die Arme. Trotz der Kälte | |
draußen ist es drinnen bullig warm, Franck entschuldigt sich, dass nicht | |
ganz aufgeräumt sei, und bittet, in der Sitzecke Platz zu nehmen. | |
Er kommt gleich zur Sache: „Ins Wohnheim möchte ich nicht mehr. Dann müsste | |
ich den Hund abgeben, das will ich nicht, sie war ein Geschenk von mir an | |
meine verstorbene Lebensgefährtin“, sagt der dünne 65-Jährige, seine blauen | |
Augen füllen sich mit Tränen. Als seine Liebste vor eineinhalb Jahren | |
starb, habe er es nicht mehr ausgehalten in ihrem Wohnheim, wo | |
ausnahmsweise Hunde erlaubt waren. „Da habe ich den Oliver angerufen und er | |
sagte, ich könne zurückkommen. Hatte ja schon vorher ein paar Jahre hier | |
gewohnt.“ | |
Der erwähnte Oliver, Nachname Seelig, ist ein Mann mittleren Alters mit | |
glattem Babygesicht und Bierbauch. Er sitzt ein paar Meter von Francks | |
Wohnwagen entfernt auf einer Bierbank – das Gespräch der Journalistin mit | |
einem seiner Mieter wolle er nicht mithören, hat er erklärt. „Sie sollen ja | |
nicht denken, ich wolle hier was beeinflussen.“ Seelig handelt mit | |
Wohnwagen und vermietet sie, etwa 35 stehen auf dem Grundstück Adlergestell | |
552 am S-Bahnhof Grünau, das einem Mann namens Ulrich Ziegler gehört. | |
Seelig hat von ihm einen Teil des Grundstücks gepachtet. | |
Der Trailerpark ist keine Wagenburg für Aussteiger, die vom freien Leben | |
träumen. Die Menschen hier haben auf dem Wohnungsmarkt keine Chance. Die | |
Gründe sind bekannt: wenig Geld, teilweise Schulden, teilweise Drogen | |
und/oder psychische Probleme, Vorurteile von Vermietern. Hier leben | |
Arbeiter, manche aus Rumänien und Bulgarien, teils mit Familien, | |
Erwerbslose, Rentner, Geflüchtete. | |
## „Unhaltbare Zustände“ | |
Hinter einem blickdichten Zaun stehen Wohnwagen und Container älterer | |
Bauart dicht an dicht, in der Mitte ist ein freier Sandplatz mit | |
Sitzgelegenheiten, vor einem Wagen stehen auch drei Blumentöpfe. Außerhalb | |
des Zauns, rechts und links vom Wagenplatz, stehen Container zweistöckig | |
übereinander wie auf Baustellen, zu den oberen führen Holztreppen mit einer | |
Veranda. Das Ganze befindet sich in einer wenig ansprechenden Umgebung: | |
vorne reichlich Autoverkehr, hinten rattert die Bahn. | |
[1][Der Bezirk will den Platz weghaben] – ebenso einen anderen in der | |
Moosstraße vom selben Eigentümer. Stadträtin Claudia Leistner (Grüne) | |
spricht von „unhaltbaren Zuständen“, es gebe keine Baugenehmigung, der | |
Brandschutz und andere Vorschriften würden nicht eingehalten, zudem | |
beschwerten sich Anwohner wegen Vermüllung und Ratten. Dem Eigentümer | |
Ziegler wirft das Bezirksamt „kriminelles Gebaren“ vor – und dass er an d… | |
Notlage der Menschen viel Geld verdiene. | |
Zu dieser Einschätzung trägt wohl der Umstand bei, dass Ziegler früher | |
tatsächlich kriminell war. 2012 sei er zu sieben Jahren Freiheitsstrafe | |
wegen „Bandendiebstahl und Bandenbetrug“ verurteilt worden, erzählt er | |
freimütig. Als er 2014 aus dem Untersuchungsgefängnis Moabit ausbrach, | |
[2][wurde bundesweit über ihn berichtet]. Vor vier Jahren „wegen günstiger | |
Sozialprognose“ entlassen, versuche er nun, legal sein Geld zu verdienen, | |
etwa mit Grundstücksgeschäften. In anderen Städten sei er damit auch | |
erfolgreich. | |
In Berlin nicht: 450.000 Euro Bußgelder habe Treptow-Köpenick inzwischen | |
gegen ihn verhängt, sagt Ziegler. Auch um ein drittes Grundstück in der | |
Puschkinallee gebe es Zoff, hier soll er gegen Denkmalschutz verstoßen | |
haben. Einen weiteren Trailerpark mit rund 200 Bewohner*innen hat er im | |
Hönower Wiesenweg 25 in Lichtenberg, auch der soll weg. Auch hier wirft der | |
Bezirk Ziegler einen Verstoß gegen die Bauordnung vor, dazu die illegale | |
Nutzung eines Teils des Bürgersteigs. Auch hier hat es Bußgelder gehagelt. | |
## Bezirke haben auch keine Wohnungen | |
Doch wohin mit den Menschen, wenn geräumt wird? Treptow-Köpenick verspricht | |
zwar, sich um die laut Ziegler rund 300 Leute zu kümmern. Klar ist aber: | |
Wohnungen für sie alle wird der Bezirk nicht finden, die meisten würden | |
wohl in Heimen für Wohnungslose landen oder, weil auch die meist voll sind, | |
in Pensionen der Kategorie „sehr einfach“, für die Bezirke Tagessätze von | |
30 bis 50 Euro pro Person zahlen. | |
Ziegler will jedenfalls nicht räumen. Er nennt die Siedlungen „soziale | |
Wohnprojekte“, bei ihm kümmere man sich um die Menschen und lasse sie nicht | |
im Stich. Um den Konflikt zu entschärfen und die Bußgelder abzuwenden, | |
[3][hat der 34-Jährige kürzlich beiden Bezirken angeboten], die Grundstücke | |
samt Bewohner*innen für zehn Jahre mietfrei zu übernehmen und sie zu | |
„safe places“ für Wohnungslose weiterzuentwickeln. Irgendwann später wür… | |
er mit dem Verkauf der Grundstücke gerne Geld machen, gibt er zu – aber | |
derzeit sei die Marktlage ohnehin nicht günstig. | |
Ob Treptow-Köpenick das Angebot annimmt, ist noch nicht entschieden, am | |
Dienstag ist ein Hintergrundgespräch für Journalist*innen angesetzt. | |
Aus Lichtenberg erklärt Sozial- und Stadtentwicklungsstadtrat Kevin Hönicke | |
(SPD) auf Anfrage: „Ich verhandle nicht mit Kriminellen, die ihr schäbiges | |
Geschäft auf Kosten von Menschen betreiben.“ | |
Derweil geht bei den Bewohnerinnen im Trailerpark Adlergestell, sofern sie | |
von dem Konflikt wissen, die Angst um. „Ich weiß nicht, was werden soll, | |
wenn sie den Platz räumen“, sagt Sina, eine junge Punkerin. Seit „vier, | |
fünf Jahren“ lebe sie hier, nie habe sie eine eigene Wohnung bekommen, sie | |
lebt von Grundsicherung. Ihr gefalle es hier, sagt sie, vor allem die | |
Nachbarschaft. „Wenn Eier fehlen, fragen wir beim Nachbarn, ganz normal wie | |
im Mietshaus“. Auch Frührentner Franck schwärmt vom Zusammenhalt unter den | |
Mieter*innen. „Wir helfen einander, im Sommer sitzen wir zusammen und | |
grillen. Und wenn einer Ärger macht, klären wir das untereinander.“ | |
## Besser als gar nichts | |
Andere sehen es pragmatischer. Sonia Haddouchi und ihr Mann kamen voriges | |
Jahr aus der Ukraine als Kriegsflüchtlinge. Die beiden marrokanischen | |
Medizinstudenten haben in der ganzen Stadt vergeblich nach Wohnraum | |
gesucht, erzählen sie – bis sie auf Ebay Kleinanzeigen eine Annonce von | |
Seelig gelesen haben. Nun bewohnt das Paar einen möblierten Container von | |
etwa 25 Quadratmetern mit Duschecke und WC, Schlafkabine und Wohnbereich | |
mit riesigem Fernseher und kleiner Kochecke. Dass sie dafür 560 Euro | |
bezahlen, findet Haddouchi in Ordnung: „WG-Zimmer kosten ja auch so viel.“ | |
Die Mieten sind in der Tat wie bei Wohnungen: Er nehme zwischen 350 und 560 | |
Euro, sagt Seelig, die von der taz befragten Mieter*innen bestätigen | |
Preise von 420 bis 560 Euro. Immerhin inklusive Strom: verdeckte | |
Mehrkosten, etwa fürs Heizen, gibt es also nicht. | |
Uwe Töllies hat sich seinen Wohnwagen in den zweieinhalb Jahren, die er | |
hier lebt, wohnlich eingerichtet, mit Teppichen an den Wänden und einem | |
riesigen Flachbildschirm an der Stirnseite. In der Mikrowelle auf der | |
Anrichte drehen sich Chickennuggets. Der 57-Jährige war gerade einkaufen | |
und plumpst erschöpft auf sein Bett. Vor eineinhalb Jahren hatte er einen | |
Schlaganfall, er kann nur undeutlich sprechen, braucht für die Strecke zum | |
Supermarkt einen Rollator und hat einen gesetzlichen Betreuer. „Der soll | |
eigentlich was für mich suchen, am besten betreutes Einzelwohnen, aber er | |
findet nichts“, nuschelt er resigniert. | |
Ins Obdachlosenheim will Töllies auf keinen Fall: Da werde geklaut, hat er | |
gehört, „und mit anderen auf ein Zimmer will ich auch nicht“. 420 Euro | |
zahlt Töllies, der vor dem Schlaganfall als Postsortierer gearbeitet hat, | |
an Seelig. Noch sei das kein Problem, sagt er, noch bekomme er 1.000 Euro | |
Krankengeld. Aber wie lange noch? | |
Seelig beteuert, wenn jemand eine Zeitlang nicht zahlen könne, sei das kein | |
Problem, er sei kein herzloser Vermieter. Auch Ziegler betont, ihm gehe es | |
nicht ums Geld. Ohnehin habe er nichts von den Mieteinnahmen, denn er habe | |
seine Grundstücke Pächtern wie Seelig kostenlos zur Verfügung gestellt, die | |
eigenständig ihre Vermietungsgeschäfte machten. Neben Seelig seien das | |
Firmen wie die Terra 4 Verwaltungs GmbH oder die Hönower Wiesenweg 25 | |
Verwaltungs GmbH, mit denen er, Ziegler, nichts zu tun habe. | |
## Ein Geflecht von Firmen | |
So ganz überzeugend ist das nicht. Bei Northdata, einer Online-Datenbank | |
mit Firmen-Daten, wird als Geschäftsführer der beiden GmbHs ein Michael | |
Mikota genannt, mit dem Ziegler früher gemeinsamer Geschäftsführer der M | |
und Z Immobilienverwaltungs GmbH war. Überhaupt spinnt sich ein | |
regelrechtes Geflecht von älteren und neueren Firmen um beide Namen – und | |
die Postanschrift von Terra 4 ist dieselbe wie die Zieglers. | |
Zumindest in einer Hinsicht ist seine Beteuerung, dass es ihm nicht ums | |
Geld gehe, aber durchaus glaubhaft: Nehmen die Bezirke sein Angebot an, hat | |
er für die nächsten 10 Jahre keine Einnahmen durch die Grundstücke. Zudem | |
hinterlässt der Konflikt schon jetzt finanzielle Spuren: Der taz liegen | |
E-Mails und gescannte Briefe vor, aus denen hervorgeht, dass das Jobcenter | |
Treptow-Köpenick seit Ende Januar Mietzahlungen für die Moosstraße | |
eingestellt hat – offenbar auf Hinweis des Bezirksamts, dass es keine | |
Genehmigung für den Wohnpark gibt. Und es gibt Mails, in denen Terra 4 | |
Mietern versichert, dass sie auch ohne Mietzahlung nicht ausziehen müssten | |
und so lange bleiben könnten, wie sie wollen; auch dem Jobcenter wurde dies | |
mitgeteilt. Laut Ziegler betrifft dies mindestens ein Drittel der Mieter | |
beider Treptower Siedlungen. | |
Auch Seelig will beim Rundgang in Grünau zeigen, dass er kein Wucherer ist | |
und seine Mieter für ihr Geld etwas bekommen: zum Beispiel einen | |
Sanitär-Container mit je zwei Duschen, Toiletten und Waschmaschinen, der | |
zwar ein wenig nach Urin riecht, insgesamt aber sauber wirkt. „Wenn sich | |
ein Mieter wegen eines verstopften Klos beschwert, ist das in einer Stunde | |
erledigt“, beteuert er. „Und was die Ratten angeht“: Seelig zeigt auf den | |
Aufkleber eines Schädlingsbekämpfers an der Tür zum Sanitärbereich. | |
Sein ganzer Stolz ist aber der riesige Feuerlöscher, etwa einen Meter hoch | |
und sicher zentnerschwer, den er kürzlich für ein paar tausend Euro gekauft | |
habe. Apropos Brandschutz: Neben jedem Wohnwagen hat Seelig zwei (normal | |
große) Feuerlöscher postiert, eine ganzes Bataillon davon steht neben den | |
Bierbänken in der Platzmitte. | |
Das Müllproblem scheint allerdings nicht im Griff zu sein, auch wenn es auf | |
dem Gelände sechs Tonnen gibt, die die BSR laut Seelig einmal pro Woche | |
leert. Draußen, zwischen Zaun und Bürgersteig, liegt ein Berg von schwarzen | |
Müllsäcken, daneben rotten Sperrmüll, alte Gerätschaften und Grünschnitt | |
vor sich hin. Das sei gar nicht ihr Müll, sagt Seelig. „Ehemalige Mieter, | |
die ausgezogen sind, haben damit angefangen. Inzwischen stellen Pendler, | |
die vorbeikommen, ihren Müll einfach dazu.“ | |
24 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Wohnungsnot-in-Berlin/!5924375 | |
[2] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/berlin-polizei-fahndet-nach-ausbrech… | |
[3] /Obdachlosigkeit-in-Berlin/!5925694 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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