# taz.de -- Wohnungsnot in Berlin: Ausbeutung oder letzte Zuflucht | |
> In Treptow-Köpenick leben 150 Menschen in illegalen Camps, sie sollen | |
> bald geräumt werden. Der AK Wohnungsnot fordert eine Debatte über „Safe | |
> Places“. | |
Bild: Diese Alternative kommt wohl nur für wenige Wohnungslose in Frage | |
BERLIN taz | Der Arbeitskreis (AK) Wohnungsnot kritisiert den Umgang der | |
Stadt mit informellen Wohnsiedlungen und fordert in einem offenen Brief | |
eine „Debatte, die klärt: Wann hören Räumungen auf und [1][wo fängt der | |
Safe Place an]?“ Anlass ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, eine | |
vom Bezirk Treptow-Köpenick angeordnete Räumung von zwei kommerziellen, | |
nicht genehmigten Wohnwagen-Camps zu bestätigen. | |
Der AK, ein Zusammenschluss von engagierten Menschen der Wohnungsnothilfe, | |
erklärt dazu: „Zwar verurteilen wir alle Bestrebungen, Profit mit von | |
Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen zu machen, denn die Zustände in | |
vielen dieser Anlagen sind häufig mehr als fragwürdig.“ Doch seien solche | |
Camps, wie es sie an zahlreichen Orten der Stadt gibt, für viele Menschen | |
die bessere Alternative als die Wohnungslosenunterkünfte der Bezirke – und | |
nicht einmal dort gebe es derzeit freie Plätze. „Die anstehende Räumung | |
dieser Anlagen kann und wird daher direkt in die Obdachlosigkeit führen“, | |
befürchten die Verfasser*innen. | |
Der Bezirk hatte im vorigen Sommer die Nutzung zweier Grundstücke in | |
Adlergestell und Moosstraße als Wohnwagensiedlung aus baurechtlichen | |
Gründen untersagt – offenbar gibt es weder eine Baugenehmigung, noch war | |
ein Antrag darauf je gestellt worden. Einen Einspruch des Eigentümers, der | |
auf eine Anfrage der taz bis Redaktionsschluss nicht reagiert hat, wies das | |
Verwaltungsgericht vorigen Mittwoch per Eilentscheid zurück. | |
155 Menschen leben dort nach Bezirksangaben derzeit – teilweise seit Ende | |
2021, wie ein [2][Bericht im RBB] feststellt. „Auf den betreffenden | |
Grundstücken sind unhaltbare Zustände zu verzeichnen, welche ein Leben in | |
gesunden Lebensumständen für die sich dort befindlichen Menschen fast | |
unmöglich erscheinen lassen“, sagte Umweltstadträtin Claudia Leistner nach | |
der Gerichtsentscheidung. | |
## Wenn ein Heimplatz keine Option ist | |
Eine Sprecherin des Bezirks führte auf taz-Anfrage aus: Es habe Beschwerden | |
von Nachbarn über „Müllablagerungen“ gegeben, teils hätten die | |
Wohneinheiten keine oder nur sehr kleine Fenster, zudem seien | |
bauordnungsrechtliche Anforderungen wie Feuerwehrzufahrten nicht erfüllt. | |
Christian Fender, Sprecher des AK Wohnungsnot, sagte der taz, man sehe | |
durchaus die Beweggründe des Bezirks. „Auch wir wollen ja keine Slums.“ | |
Doch seien solche Camps Ergebnis der desolaten Wohnsituation in Berlin, die | |
zunehmend Menschen vom regulären Wohnungsmarkt verdränge, sodass sie auf | |
staatliche Unterbringung angewiesen seien. Die sogenannten Asog-Heime aber | |
bedeuteten in der Regel: Mehrbettzimmer, nur einen Schrank zum Abschließen, | |
meist keine Haustiere, meist ohne Partner, keine Mieter*innenrechte. | |
Für viele sei dies keine Option, so Fender, „dann lieber selbstbestimmt in | |
einem Container, mit eigener Einrichtung, Mietvertrag, Haustier und | |
Partner“. Dies gelte zumal für Wohnungslose, die Arbeit haben: Denn sie, | |
erklärt Fender, müssten ihr Bett im Asog-Heim voll mit ihrem Einkommen | |
bezahlen. Und so ein Bett kann 30 bis 50 Euro pro Nacht und Person kosten. | |
Da sind die gut 500 Euro, die Bewohner*innen der Siedlungen – | |
beziehungsweise deren Jobcenter – laut RBB für knapp 20 Quadratmeter im | |
Container bezahlen, fast noch günstig. | |
Wo sollen die Menschen also hin, wenn geräumt wird? Dies stehe kurzfristig | |
noch nicht an, so die Bezirkssprecherin. Sollte es aber so weit kommen, | |
setze das Bezirksamt alles daran, Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Das | |
Sozialamt werde die Betroffenen kontaktieren und „etwaige Hilfebedarfe“ und | |
Zuständigkeiten ermitteln. Andere bezirkliche Fachstellen, zum Beispiel | |
Soziale Wohnhilfe, Jugendämter, „sind involviert“. | |
## „Formale Unterbringung“ | |
Darüber hinaus rät die Sprecherin des Bezirksamt: Um „adäquate | |
Ausweichunterkünfte zuweisen zu können“, lade man die Betroffenen schon | |
jetzt ein, mit dem Bezirksamt Kontakt aufzunehmen und die Beratung der | |
Fachstelle Soziale Wohnhilfe aufzusuchen. | |
Klar ist aber schon jetzt: Es werde „natürlich nicht“ möglich sein, allen | |
Bewohner*innen Mietwohnungen zu vermitteln: „Das Bezirksamt strebt an, | |
dies in Einzelfällen zu ermöglichen.“ Aber auch den Übrigen werde es besser | |
gehen als im illegalen Camp, meint die Sprecherin: Die „ordnungsrechtliche | |
Unterbringung“ erfolge in „professionellen Unterkünften“, die | |
Mindeststandards erfüllen und regelmäßig kontrolliert würden. „Auch wenn | |
der Umzug vielen Betroffenen verständlicherweise schwerfallen wird, wird | |
sich deren Wohnsituation durch die formale Unterbringung, die stets auch | |
mit einer Betreuung durch die Fachstelle des Amts für Soziales einhergeht, | |
stabilisieren.“ | |
AK-Wohnungsnot-Sprecher Fender befürchtet jedoch, es könnte so werden wie | |
[3][bei der Rummelsburger Bucht]. Auch dort habe man den Bewohner*innen | |
des Camps vor der Räumung versprochen, sich um Unterbringung zu kümmern. | |
„Dann bekamen sie tatsächlich Plätze in einem 24/7-Hostel. Aber nur für | |
vier Monate – danach wurden alle auf die Straße gesetzt.“ | |
Die Forderung des AK Wohnungsnot: Die Politik müsse den Kreislauf von | |
illegalen Siedlungen und ihrer Räumung durchbrechen – aktuell steht auch | |
infrage, wie es mit dem wilden Obdachlosencamp am Hauptbahnhof weitergehen | |
soll, [4][das der Bezirk Mitte laut RBB gerne weghaben möchte]. | |
Der AK sagt: Statt zu vertreiben, was zumeist bald darauf an anderer Stelle | |
neu entsteht, brauche es eine öffentliche Debatte darüber, wie solche Orte | |
sichere Wohnorte für ein selbstbestimmtes Leben werden könnten, sprich: | |
was die Qualitätsmerkmale für echte „Safe Places“ sind. „Bis dahin darf | |
eine Auflösung dieser Anlagen nicht gegen den Willen der Betroffenen und | |
nur im Zusammenhang mit einer adäquaten Wohnalternative durchgeführt | |
werden!“ | |
30 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Bekaempfung-von-Obdachlosigkeit/!5908034 | |
[2] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/03/berlin-container-dorf-raeumun… | |
[3] /Obdachlosencamp-in-Berlin/!5758962 | |
[4] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/03/berlin-hauptbahnhof-mitte-cam… | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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